Hi Romain,
bei der "Querkraft" geht es um Folgendes:
Stelle dir einen senkrechten Schnitt durch den Holm vor. Hier müssen als Allererstes mal die gesamten (senkrechten) Auftriebskräfte des weiter außen liegenden Flügelteils durchgeleitet werden. Liegt dieser gedachte Schnitt z.B. ganz nah am Rumpf, dann ist das der halbe Auftrieb = halbes Gewicht. Das ist eigentlich so selbstverständlich, daß Nicht-Statiker im Regelfall garnicht drandenken.
Diese Schubkraft nennen die Statiker "Querkraft", weil sie quer zur Kragrichtung des Trägers wirkt.
Das wohl jedem bekannte "Biegemoment" an der Schnittstelle entsteht als Folge davon, daß die Auftriebskräfte einen Abstand zur Schnittstelle haben und damit zusätzlich ein Drehmoment erzeugen. Das Biegemoment wird in bekannter Weise als Zug- und Druckkräfte von den Holmgurten aufgenommen.
Die Querkraft (Schubbeanspruchung) wird durch den Holmsteg (oder andere Maßnahmen, s.u.) aufgenommen. Würde man das nicht vorsehen, würden sich die Holmgurte bei Beanspruchung Parallelogramm-artig gegeneinander verschieben.
Die Festigkeitslehre zeigt, daß jede Schubbeanspruchung im Werkstoff zwei senkrecht zueinander stehende Spannungen erzeugt. Die kann man sich wieder zusammengesetzt vorstellen, und die Resultierende liegt dann 45° schräg. Will man jetzt den Werkstoff optimal ausnützen, dann muß die Faserrichtung ebenfalls unter 45° schräg sein.
Sehr einleuchtend kann man sich das auch vorstellen, wenn man statt "flächenhaften" Holmstegen "konzentrierte" Diagonalleisten verwendet (was auch möglich ist). Daß diese diagonal und nicht senkrecht oder waagrecht verlaufen müssen, ist wohl jedem rein intuitiv schon klar. Hier ein Auszug aus einer ca. 90 Jahre alten Patentschrift von Hugo Junkers, der mit Rohren als Holmgurte und auch als "Diagonalen/Auskreuzungen" damals den ersten freitragenden Flügel realisiert hat:
Die diagonalen Rohre nehmen in beiden gezeigten Fällen im "Dreiecks-Verband" die Querkraft auf.
Die Faserrichtung der Verkastungs-Stege muß also im Idealfall unter 45° sein. Die Modellbauer und Baukastenhersteller lassen aber oft "fünfe gerade" sein, weil die dominierenden Kräfte und Beanspruchungen im Holm vom Biegemoment und nicht von der Querkraft herrühren. Ob man die Faserrichtung aus Einfachheitsgründen nun senkrecht oder waagrecht legt, ist zunächst egal, beidesmal ist sie um 45° falsch. Denkt man aber daran, daß die Stege auch eine "Abstandshalter-Funktion" haben und die Holmgurte vor dem Ausknicken bewahren, dann ist unter den "nichtidealen Versionen" die vertikale Faserrichtung die bessere Lösung.
Den Begriff "Gurtabtriebskräfte" kenne ich nicht; vielleicht kann das Steffen noch näher erklären.
Grüße,
Helmut