Johannes ist gegangen

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Johannes ist gegangen
Er lag des morgens in der Küche unserer Ferienwohnung in der Rhön. Im Schlafsack. Vor lauter Fliegen war es spät geworden und wer braucht da schon eine Pension.
Es war seine Art, er war nicht anspruchsvoll.
Wir hatten uns erst tags davor anläßlich eines unserer Nurflügeltreffen auf der Wasserkuppe kennengelernt. Ätzende Pfeilflügel, die er da flog. Einfachst in Konstruktion und Bau, aber merkwürdig leistungsstark.
Johannes W. Leinauer, gelernter Handwerker, hochbegabter Autodidakt, begnadeter Zuhörer.
Johannes bedurfte nicht der Lehr- und Lernanstalten dieser Republik. Seine Wissbegier hätte die Formen des institutionellen Lernens ohnehin gesprengt. Stattdessen hörte er zu und dachte weiter wie ich es bei kaum einem zweiten erlebt habe.
Unsere Kommunikation erfolgte meist über das Telefon, stundenlang - und manchmal täglich. Es ging immer um alles, um Gott und die Welt im wahrsten Sinne des Wortes. Und völlig zwanglos mündete jedes Gespräch in die Sphäre der Fliegerei. Wahrscheinlich weil uns auf eigentümliche Weise die gemeinsame Überzeugung verband, daß hinter allen unseren Konstruktionen Persönlichkeiten stecken, mit ihren Biographien, ihren Gewißheiten und Ungewißheiten, ihrer Eingebundenheit in geschichtliche, kulturelle, religiöse, politische Kontexte. Johannes war der Auffassung, daß man die Welt in allen ihren Facetten "begreifen" wollen muß, auch und gerade wenn man gute Flieger konstruieren will. Dann erst könne man es mit Heinz-Rudolf Kunze halten: "Ich geh`meine eigenen Wege, ein Ende ist nicht abzusehen. Eigene Wege sind schwer zu beschreiten, sie entstehen ja erst beim gehen."
Auf diesen eigenen Wegen entstanden Konstruktionen voller Einfachheit UND Funktionalität. Es entstanden Profile, deren Auslegungsphilosophie wir vielleicht erst in einigen Jahren nachvollziehen werden.
Johannes hat uns alle, die wir engeren Kontakt mit ihm hatten, dazu gebracht über das nachzudenken, was wir seit Jahren so getrieben haben. Nicht nur luftsportlich. Und bisweilen benutzte er dazu das Instrument der sarkastischen Provokation. Und nicht alle haben immer verstanden, daß auch dieses der Erkenntnisfindung, manchmal auch der Selbsterkenntnis, diente.

Johannes ist gegangen, keineswegs ohne Kampf. Und bis zuletzt voller Pläne und Vorhaben. Was bleibt ist eine krampfende Leere, die sprachlos macht. Die Sprache wiederzufinden, um über das sprechen zu können, was Johannes W. Leinauer ausgemacht hat, das ist jetzt unsere Pflicht.
Seiner Gattin und seinen Töchtern gilt unser Beileid und unsere Anteilnahme.

Hans-Jürgen Unverferth
 
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