Fugeigenschaften bei langen Hebelarmen ?

Hallo Aerodramatiker,

Man liest gelegentlich, daß das Flugzeug gute Flugeigenschaften habe, weil die Massen nahe um den Schwerpunkt verteilt sind. Wie ist es aber im umgekehrten Fall. Der Flieger hat schwere Leitwerke am langen Hebelarm und Ausgleichsmasse in der Spitze einer sehr langen Rumpfnase.
Wie wirkt sich ein solche Konfiguration auf die Längsstabilität aus?

Für Antworten bin ich dankbar

Gruß
Ludwig
 

Quaxx

User
Vorteil oder Nachteil?

Vorteil oder Nachteil?

Hallo Ludwig!

Eins vorweg: ich hab über diesen speziellen Sachverhalt bislang weder viel gelesen noch praktisch probiert. Meine nachfolgenden Ideen sind somit eher spekulativer Natur - wenngleich aber (hoffentlich) logische ;) Überlegungen.

Also mal gesetz den Fall das Modell weist eine Längsstabilität (Schwerpunktvorlage und EWD) auf, die mit einem sonst gleichen Modell vergleichbar ist (gleiche Schwerpunktvorlage und bei gleichem HLW geringere EWD, weil längerer Hebelarm), dann sollte man meinen, dass die Längsstabilität so gesehen bis auf einen Aspekt die gleiche ist. Und zwar:

Das Trägheitsmoment um die Querachse ist aufgrund der größeren Hebelarme (Leitwerkshebelarm und Ballasthebelarm in Rumpfnase) größer. Welche Auswirkungen hat das auf die Längsstabilität?

Tritt eine Störung der Lage des Modells um die Querachse auf, so wird es die Störung "schwerer" haben, das Modell mit dem längeren Leitwerkshebelarm aus seinem Gleichgewichtszustand zu bringen. Diese größere Trägheit würde ich in Bezug auf die Störanfälligkeit durch äußere Einflüsse durchaus als positiv ansehen!

Dieser offensichtliche Vorteil geht - meiner Meinung nach - jedoch mit folgendem "quasi Nachteil" einher: Die größere Trägheit des Modells um die Querachse bedeutet eben nicht nur, dass es einer größeren Arbeit (Kraft mal Weg) bedarf um das Modell aus seinem Gleichgewichtszustand um die Querachse zu bringen, sondern es bedeutet eben auch, dass wenn das Modell aufgrund einer Störung (oder auch eines Steuerbefehls) ersteinmal um die Querachse in Bewegung (Rotation) gelangt ist, dass es dann aufgrund der größeren Trägheit eben auch einer größeren entgegenwirkenden Arbeit bedarf. Diese größere Arbeit kann aufgrund des langen Hebelarms des Leitwerks aber durchaus geleistet werden. So gesehen ist dieser "quasi Nachteil" nicht unbedingt ein echter Nachteil.

So gesehen steht bislang ein echter Vorteil gegen einen nicht echten Nachteil. 1:0 für die Vorteile.

Es gibt aber weitere Aspekte:

1.
Der längere Leitwerkshebelarm kann nur mit einem längeren Leitwerksausleger (sprich längerem Rumpf) realisiert werden. Das kostet Material und somit Masse. Die Flugmasse erhöht sich. Eindeutiger Nachteil.

2.
Bei längerem Leitwerkshebelarm darf dann aber der Flächeinhalt des HLW kleiner ausfallen. Das spart Baumaterial und somit Masse. Eindeutiger Vorteil.

3.
Ein kleineres HLW bedeutet aber auch
a) kleinere Reynoldsche Zahlen (mit unter jetzt kritisch oder gar unterkritisch statt bei größerem Leitwerk überkritisch). Echter großer Nachteil!

oder

b) gleiche Re-Zahl bei aber geringerer Streckung des HLW. D. h. ineffezienteres HLW. Echter Nachteil.

oder

c) kleinere Re-Zahl und kleinere Streckung. Echter Nachteil.

4.
Der bei längerem Leitwerkshebelarm längere Rumpf wird in jedem Fall destabilisiernd auf alle Achsen wirken. Also den Zuwachs an Längsstabilität durch längeren Hebelarm durch destabilisierenden Einfluss des Rumpfes mind. z. T. kompensieren. Also echter Nachteil.

5.
Da die destabilisierende Wirkung nicht nur auf die Querachse wirkt, beeinflusst das also auch die Seiten-, Richtungs- und Querstabiltät des Modells negativ. Nachteil!

6.
Längerer Rumpf heißt i. d. R. mehr Widerstand. Kleineres HLW aber auch. Fragt sich, was überwiegt.

7.
Bei längerem Leitwerkshebelarm wird der Einfluss des Tragflügelabwindes auf das HLW anders ausfallen. Das könnte man denke ich, sowohl als Vor- oder auch als Nachteil ansehen. I. d. R. wohl aber als Vorteil.

8.
Längerer Leitwerksträger heißt auch längere Anlenkung für die Ruder oder längere Zuleitungen zu den Servos im Heck. Nachteil.

Es gibt also eine ganze Reihe an Vor- und Nachteilen. Was unterm Strich vorteilhafter ist, findet man wohl nur raus, wenn man alle Aspekte nicht nur in Ihrer Wirkungsrichtung (Vorteil vs. Nachteil) bestimmt, sondern auch in Ihrer Intensität (Quantität) bestimmt, gewichtet und summiert.

Also gaaaaaar nich so einfach :rolleyes: :cry: .

Liebe Grüße

Quaxx
 

Quaxx

User
noch was...

noch was...

Angenommen zwei Modelle wären baugleich bis auf den Unterschied, dass ein Modell einen längeren Leitwerkshebelarm hat. Angenommen die beiden Modelle hätten die gleiche Schwerpunktvorlage: z. B. 12 %.

Bei dem einen Modell kann durch den längeren Leitwerkshebelarm dann das HLW im Flächeninhalt kleiner ausfallen und/ oder die aerodynamische EWD kann kleiner ausfallen, um das durch die Schwerpunktvorlage erzeugte kopflastige Nickmoment zu kompensieren.

Diese beiden Modelle hätten dann die gleiche statische Längstabilität. Stabilitätsmaß 12 %.

Trotz der gleichen statischen Längsstabilität hätte das Modell mit dem längeren Leitwerkshebelarm und der damit verbundenen breiteren Masseverteilung eine andere dynamische Längsstabilität. Es würde meiner Meinung nach wahrscheinlich dazu tendieren nach einer Störung länger nach zu schwingen, bis es sich nach einer Störung wieder eingependelt hat. Der "sinus-förmige" Flugpfadverlauf würde somit mitunter größere Ausschläge aufweisen und vermutlich auch mehr "Aufs" und "Abs".

Um dieses schlechtere Verhalten im dynamischen Bereich zu verbessern, müßte man somit - meiner Meinung nach - die statische Längsstabilität verringern. Daraus könnte man schlussfolgern, dass ein Modell mit einer Masseverteilung, die so aussieht, dass sich viel Masse weit vom Schwerpunkt entfernt befindet, nie eine so hohe Längsstabilität aufweisen kann, wie ein Modell mit um den Schwerpunkt konzentrierten Massen. Ganz einfach deshalb, weil immer dann, wenn man versucht einem Modell mit weit verteilten Massen, ein hohes Maß an statischer Stabilität zu verpassen, das Modell im dynmischen Bereich schnell überreagiert.

Wie gesagt: alles nur so meine Gedanken. Ich lass mich gerne eines besseren belehren. Bin dankbar für jede Korrektur, jeden Einwand.

Liebe Grüße

Quaxx
 
Herzlichen Dank Quaxx für Deine überaus gründliche Erklärungen. Auslöser für meine Anfrage ist das Flugverhalten meiner "Blackburn Kangaroo" An einem langen Leitwerksarm trägt sie ein doppeltes Höhen- und doppeltes Seitenleitwerk. In der extrem langen Nase habe ich 800 g Blei untergebracht. Der Schwerpunkt liegt bei 29 proz. der Flächentiefe. Profil RAF 15. Der Doppeldecker hat eine Spannweite von 5,7 m und wiegt immerhin 50 Kg.
Mit dem Flugverhalten bin ich bis auf eine kleine Gemeinheit zufrieden. Diese offenbart besonders unangenehm in der letzten Phase der Landung. Ist das Modell etwas zu langsam, so nimmt es plötzlich die Nase noch unten und fällt unsanft ins Fahrwerk. Reißen amHöhenruder ist zwecklos.
Kann man dieses Verhalten durch den langen Hebelarm der Rumpfnase erklären? Obwohl das Modell jede Menge Stiele und ca 60m Stahlseil zwischen den Tragflächen, erscheint mir die Geschindigkeit bei der das Modell nach unten wegtaucht nicht zu langsam. Das Modell wirkt dabei keineswegs pflaumig.

Oder ist das Modell kopflastig? Meine kurznasigen Doppeldecker mit gleichem Profil fliegen zum Teil mit 25 proz Schwerpunktrücklage unkritisch.
Zur Gewichtsreduktion in der Nase fehlt mir der Mut. Auch habe bis La Ferté keine Zeit mehr, Langsamflugeigenschaften in größerer Höhe zu testen. Habe ich bei den wenigen Flügen auch noch nicht probiert. Ich war immer froh, wenn sich der Flieger bei nicht gerade üppiger Motorisierung in der Luft hielt.

Nochmals Dank und Gruß
Ludwig
 

kurbel

User
Quaxx schrieb:
Bei dem einen Modell kann durch den längeren Leitwerkshebelarm dann das HLW im Flächeninhalt kleiner ausfallen und/ oder die aerodynamische EWD kann kleiner ausfallen, um das durch die Schwerpunktvorlage erzeugte kopflastige Nickmoment zu kompensieren.
Stabilität hängt nicht von einer EWD ab, sondern nur vom Stabilitätsmaß. Dämpfung ist nebenbei auch nicht das gleiche wie Stabilität.
Quaxx schrieb:
Trotz der gleichen statischen Längsstabilität hätte das Modell mit dem längeren Leitwerkshebelarm und der damit verbundenen breiteren Masseverteilung eine andere dynamische Längsstabilität. Es würde meiner Meinung nach wahrscheinlich dazu tendieren nach einer Störung länger nach zu schwingen, bis es sich nach einer Störung wieder eingependelt hat. Der "sinus-förmige" Flugpfadverlauf würde somit mitunter größere Ausschläge aufweisen und vermutlich auch mehr "Aufs" und "Abs".
Die Praxis zeigt da durchaus andere Ergebnisse. Die aerodynamische Dämpfung wächst recht stark mit dem Hebelarm, die Massenverteilung ändert sich dabei normalerweise kaum, ebenso das Massenträgheitsmoment. Modelle mit langen Hebelarmen laufen in der Regel wie auf den sprichwörtlichen Schienen.

Allerdings scheinen mir solche Überlegungen nicht zielführend zu sein bei Ludwigs Problemfall, da sollte man das gesammte Modell (Geometrie, Profile, Schwerpunkt/Stabmaß,...) mal genauer untersuchen.

Kurbel
 

Andreas Maier

Moderator
Teammitglied
@-ludwig:das von dir beschriebene verhalten Läßt im ersten moment auf
kopflastigkeit schließen. starkes durchsacken bei voll höhe.

doch hier eine frage: geschieht dies nur beim landen ? ( Bodeneffekt )

ansonsten würde ich in kleinen schritten die ewd verringern und den
sp nach hinten korrigieren.

desweiteren gibt es profile die mögen kein langsam ab einer gewissen
flächenbelastung.

-ein kopflastiges modell verbrät auch mehr antriebsenergie !

gruß Andreas
 

Quaxx

User
Hi Kurbel!

Der Einwurf mit der Dämpfung ist klasse. Altsheimer meinerseits. 8 Punkte fallen mir ein, aber Dämpfung übersehen :rolleyes:. Vielleicht kannst Du das noch ein bißchen beschreiben?!

Du schreibst:
"Stabilität hängt nicht von einer EWD ab, sondern nur vom Stabilitätsmaß."

Nichts anderes hab ich geschrieben. Lies einfach noch mal nach.;)

Liebe Grüße
 
Flächenbelastung?

Flächenbelastung?

Hallo Ludwig,

in erster Näherung fliegt ein größerer Leitwerkabstand stabiler als ein kleinerer. Das entgegengesetzte Extrem sind Nurflügel und Schwanzlose, die kämpfen mit sehr kurzen Leitwerkabständen.

Kann es nicht einfach sein, dass Du Dich in der letzten Landephase unter der Vmin befindest, die Strömung einfach abreißt und Du aufsetzt? Du hast schon geschrieben Du kämpfst mit 50 kg. Wie ist denn Dein Tragflächeninhalt?

Exakt den selben Effekt haben wir mit einem 32-Zellen BigLift (Getriebe mit 2 Bürstenmotoren), er ist einfach zu schwer, wir haben uns daran gewöhnen müssen schneller zu landen.
 

Quaxx

User
Hallo Ludwig!

Bei dem Problem, das Du beschrieben hast würde ich nicht zu erst an Punkten wie Leitwerkshebelarm und Masseverteilung suchen.

Ich schließe mich Deiner und elo-gustels Vermutung bezüglich Kopflastigkeit an. Ich würde an Deiner Stelle mal das Stabilitätsmaß nachrechnen. Wenn es über 15 % liegt, würde das die Vermutung mit der Kopflastigkeit doch stark erhärten.

Ansonsten kann ich die Empfehlung von elo-gustel nur unterstreichen. Schritt für Schritt Schwerpunkt nach hinten. Aber in vorsichtigen kleinen Schritten! Und mit dem Schwerpunkt immer schön vor dem Neutralpunkt bleiben! Also nicht zu weit zurück damit - sonst droht Bruch!

Liebe Grüße
 

kurbel

User
@Quaxx:
Für das dynamische Verhalten ist sehr wichtig, wie groß der Hebelarm ist,
da bei Rotation um die Querachse die Entfernung von Flügel und HLW zueinander
schon geometrisch zu verschiedenen Anstellwinkeln führt.
Das führt zu einem der Rotation entgegenwirkenden Moment.
Diese Dämpfung existiert unabhängig von Stabilität, also auch bei Stabmaß=0%.
EWD interessiert in dem Zusammenhang auch erstmal nicht.

Kurbel
 
Herzlichen Dank an alle,

Hier einige Daten zu meinem Modell. Die Proportionen sind unter http://www.geocities.com/kwii62/cangu.htm abgebildet. Flächeninhalt 4,8 qm; Flächenbelastung: 10,4 Kg/qm; Schwerpunktrücklage 29 proz. Stabilitätsmaß 0,16 (16 proz). Berechnete Minimalgeschwindigkeit 46 km/h;

Zu denken gab mir nicht der lange Leitwerksarm sondern der lange Hebelarm von 1,43 m vor dem Schwerpunkt.

Nach Euren Ausführungen ist dies weniger bedeutend. Ich werde in kleinen Schritten das Blei in der Nase reduzieren.

Nochmals Dank- jetzt geht es zur Abnahme nach La Ferté

Griß Ludwig
 
Flächenbelastung II

Flächenbelastung II

Hallo Ludwig,

viel Erfolg bei der Abnahme und Freude beim Fliegen.

Rein flugmechanisch kann ich den Vorrednern nicht widersprechen. Jedoch habe ich schon gelesen, dass die Flächenbelastung beim DoppelDecker anders angenommen wird. Sie bewegt sich irgendwo zwischen

Rechnerischer Belastung x 1,2 (bei Tragflächenabstand > Flächentiefe und gutem Strömungsfluss, ähnlich Eindecker)
und
Rechnerischer Belastung x 1,6 (bei Tragflächenabstand < 1 und schlechtem Strömungsfluss (Stiele, Seile usw., ähnlich alte Flugmaschinen).

Nach dem Anschauen Deines VorbildFliegers liegt Dein Modell vielleicht bei 1,4 , so gesehen hättest Du also auch eine "praktische" Flächenbelastung von eher
50000gr/500qdm*1,4 = 140gr/qdm oder auch 14kg/qm

Ich habe kein Gefühl dafür was ein sehr großes Modell wie Deines an Flächenbelastung verträgt, dies jedoch erscheint mir sehr viel. Mich würde deshalb der weitere Verlauf der Dinge sehr interessieren. Bitte schreibe deshalb doch nach Deiner Rückkunft nochmal über die Versuche zur Schwerpunktverlegung.

Viel Freude
 
Hallo Klaus,

Wir sind gerade aus La Ferté zurückgekommen. Abgesehen von dem Dauerregen am Sonntag war es für uns ein schönes Erlebnis. Unsere Modelle - wir haben 2 dieser Kangaroos- sind abgesehen von einer kräftigen Durchtränkung unversehrt geblieben und zu unser Freude mit dem Pokal für den realistischsten Flug belohnt worden. Dabei sei dahingestellt, wie realistisch unsere Flüge waren, denn von den Augenzeugen von 1918 war sicher keiner anwesend. Ich habe etwa 200 g Blei aus der Nase genommen, Günter war mutiger und hat 400 g entfernt. Wir haben keinen Verlust an Längsstabilität feststellen können. Günter hat seine Meinberg 2 Zacken tiefer getrimmt, ich habe keine Änderung an der Trimmung vorgenommen.

Wir haben unsere Modelle fast nur mit Vollgas geflogen und relativ schnell gelandet, was bei dem unendlich langen Platz unproblematisch ist. Um Langsanflugeigenschaften zu testen, war die Veranstaltung nicht der gegebene Ort.
Ich denke, den Schwerpunkt zurückzunehmen, ist der richtige Weg. Wir werden bei passender Gelegenheit die Versuche fortgesetzt.

Danke für alle Ratschläge und Gruß
Ludwig
 
hallo,

erstmal gratulation :)

zu dem thema zu große massenträgheit schreibt z.b. persecke ganz logisches,
es hat mit dem plumpser im landeanflug aber nichts zu tun (das wurde ja auch schon weiter oben diskutiert). quax hat schon richtig angesetzt, und ich kann aus eigener erfahrung mit seglern sagen, daß jedes gramm am leitwerk gespart im langsamflug die manövrierbarkeit verbessert (beim bolzen spielt das keine rolle).

die aerodynamischen rückstellkräfte tun sich mit weniger trägheitsmoment einfach leichter, und im langsamflug eiert man oft eh an gewissen grenzen rum.

grüße
hannesk
 
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