"Forged Carbon" - kennt das jemand?

Addicted

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Hallo zusammen!

Da ich aktuell auf der Suche nach einer neuen Snowboardbindung bin, habe ich mich übers Wochenende mal ein bisschen schlau gemacht und die High-End Modelle der einzelnen Hersteller verglichen. Das habe ich nicht nur online getan, sondern war tatsächlich auch in div. Läden. In einem wurde mir dann eine Bindung aus "DEM" High-Tech-Material schlechthin angepriesen: "C A R B O N - dass ist das, was die in der F1 in den Autos haben. Nur, ...das hier ist noch viel besser, das kommt von Lamborghini und heißt ´forged carbon´" war die Aussage des netten und garnicht mal so inkompetenten Verkäufers. Auf kurze Nachfrage der Art des Carbons - ich dachte halt an UMS o.ä., erklärte er mir, dass es aus einzelnen Faserstücken besteht, die (mit Harz) unter hohem Druck in eine Form gepresst werden. Daraus würde sich ein Endprodukt ergeben, dass normal laminiertem Carbon deutlich überlegen sei. Vor allem könne man ohne Abfall (Verschnitt) produzieren. Leider hatte er kein solches Modell vorrätig, so dass ich es keiner manuellen Werkstoffprüfung unterziehen (=nicht befingern :D) konnte.

Innerlich habe ich das gleich mal als netten Verkaufsplausch abgetan, der mich nicht weiter beeindruckt hat und wollte das Thema abhaken, da schließlich der quasiisotrope Laminataufbau bei mir bislang als das stabilste hinsichtlich verschiedener Lastfälle gespeichert war (und nicht die Carbonschnipsel getunte Mumpe). Als er mir jedoch einen Katalog in die Hand drückte, wo ein Interview mit dem Direktor des Automobili Lamborghini Advanced Composite Structures Laboratory (ACSL) zu diesem Produkt abgedruckt ist, kam ich schon ins Grübeln.

Auszug des Interviews:

Dr. Paolo Feraboli, Direktor des ACSL, erläutert im folgenden Interview die Besonderheiten der FC Bindung und was es mit der verwendeten Forged Carbon Technology auf sich hat.

Was genau muss man sich unter der „Forged Carbon Technology” vorstellen und welche Vorteile bietet dieses Material?

Bei dieser Technologie verwenden wir Millionen von Carbonfasern, die gleichmäßig auf einer Matte verteilt werden. Die Fasern sind kürzer als bei herkömmlichen Prepreg-Matten und auch nicht parallel übereinander geschichtet, wie das bei normalen Carbonmatten der Fall ist. Durch die besondere Anordnung der einzelnen Carbonfasern werden die auf das Material einwirkenden Kräfte harmonischer verteilt. Zudem ist das „Forged Carbon“ in alle Richtungen steifer als herkömmliche Carbonfasern. [...]
Quelle: (http://newsblog.ispo.com/2014/09/15/ispo-award-winner-2014-die-fc-bindung-der-union-binding-company/?lang=de)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich hier jemand für etwas `sinnloses` hergibt, der anscheinend wirklich einen Ruf zu verlieren hat. Oder ist hier das Wort "steif" einfach der Punkt? (vgl. Steifigkeit vs. Festigkeit, steif weil einfach dicker?)

So sieht z.B. der Highback dieser Bindung aus:
UNION_FC_3.jpg

Wie seht ihr das? Ist das ein gut inszenierter Marketing-Trick, oder könnte das Verfahren tatsächlich bessere Eigenschaften liefern, als "normales" CfK?

Gruß
Chris
 

Addicted

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...Das wäre eine ziemlich billige und nicht sehr hochwertige Bauweise.

Genau das war ja meine erste Reaktion - auch der Hinweis auf die verschnittfreie Herstellung war jetzt nich unbedingt geeignet, mich davon zu überzeugen, dass es sich dabei um eine wirkliche Innovation hinschtlich der Produkteigenschaften handelt...

Da allerdings im Interview auch steht, dass es bei "besonders belastungsintensiven Bauteilen in der Boeing 787 verwendet" wurde, keimte in mir die Bereitschaft auf, mich doch noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen. Jeder bekommt seine 2. Chance.

Gruß
Chris
 

Julez

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"Forged Carbon", ja?

Also Carbon mag ja alles sein, aber bestimmt nicht schmiedbar.

Für mich sieht das nach Carbonfaser-Füllstoff bei einem ansonsten recht gewöhnlichen Spritzgieß-Prozess aus.

Das Bild, wo die Fertigteile auf dem Kunstoffgranulat präsentiert werden, ist in sofern recht verräterisch.

Für mich also ein klassisches Deja-Muh: Den Bullshit hab ich schon mal gesehen.

Irgend einem normalen Werkstoff, der Normalverbraucher nicht kennen, einen krassen Namen geben, und fertig.

Aeronaut Cam-Carbon Propeller gibt's schon seit Jahren, und die sind ja auch richtig gut. Das Produkt wird also nicht schlecht sein, und bestimmt sogar besser als die Standardfüllung mit Kalk und Glasfasern. Aber erklär das mal einem z.B. Rechtsanwalt oder Kunsthändler. Da ist es einfacher, einen Hightech-Namen zu erfinden und irgendwo noch "Lamborghini" reinzustreuen.

Und Gelenke für Sitzlehnen z.B. können auch ziemlich belastungsintensiv sein. Insofern dürfte es schwierig werden, irgendein halbwegs aktuelles Verkehrsflugzeug zu finden, in dem keine carbongefüllten Bauteile zu finden sind.

Frag ihn doch mal, welche Bauteile der Boeing genau gemeint sind. Der Holm wohl kaum...:D
 

BZFrank

User
könnte das Verfahren tatsächlich bessere Eigenschaften liefern, als "normales" CfK?

Nö, es ist aber günstiger in der Herstellung... ;)

http://en.wikipedia.org/wiki/Forged_composite

http://www.auto-motor-und-sport.de/...ohlefaserverstraertem-kunststoff-3337760.html

Dieser Prozess soll innerhalb von 360 Sekunden ablaufen, was ihn geradezu für die Großserie prädestiniert. Zwar erreicht die günstige Form des kohlefaserverstärkten Kunststoffs weder die perfekte Rautenform der Pre-Preg-Variante noch deren Steifigkeit; sie liegt aber immerhin auf dem Niveau von Stahl – bei etwa der Hälfte dessen Gewichts.

(Hervorhebung von mir)

Gruß

Frank
 

Gideon

Vereinsmitglied
Das ist eine Art High-end-SMC. Die mechanischen Eigenschaften sind hier mit Sicherheit nicht besser im Vergleich zu herkömmlich aufgebauten CFK-Bauteilen. Das ist nur etwas verschwurbelt formuliert, um die Leser zu beeindrucken. Lamborghini macht hier auch nichts anderes als alle anderen, nämlich kostensparend zu produzieren. Das Rad haben die damit auch nicht neu erfunden. Als Konstruktionswerkstoff (auch für tragendende Bauteile) kann ich mir das aber trotzdem gut vorstellen. An einer Boeing 787 wird es unter anderem für die Fensterrahmen verwendet.

Für die Automotive sind folgende Punkte wichtig:

- Verringerung der Zykluszeiten (Härtung ≤ 10 min)
- Verringerung des Abfalls (geringer oder gar kein Beschnitt)
- Hohe Reproduzierbarkeit
- Class-A Oberflächen


http://www.caranddriver.com/features/forged-composite-tech-department

http://en.wikipedia.org/wiki/Forged_composite

http://www.compositesworld.com/articles/forged-composites-replace-complex-metal-parts

http://www.quantumcomposites.com/pdf/papers/IICS-JEC-presentation-2011.pdf



Edit: Frank war schneller!
 

Claus Eckert

Moderator
Teammitglied
Hallo

Und nun kommen konsequenterweise die Fragen:
Benötigen wir für die Belastungen unserer Modell-Tragflächen tatsächlich die mechanischen Eigenschaften einer CFK-Matrix?
Oder gäbe es die Möglichkeit Schalen und Holme aus solchen Materialien zu pressen und dann zusammenkleben?
Könnte man mit Sicken auf der Innenseite und intelligent gestalteten Gitterholmen nicht eine vergleichbare Festigkeit erreichen?
Schalen ohne Profilvorgabe?
Profile durch Gitterrippen aus dem selben Material selber bestimmen?
Eine Art Steck-System konstruieren?

Oder dann doch alles zu schwer und zu kompliziert?
 

Gideon

Vereinsmitglied
Benötigen wir für die Belastungen unserer Modell-Tragflächen tatsächlich die mechanischen Eigenschaften einer CFK-Matrix?

Die auftretenden Lasten sind hier viel zu spezifisch, als dass man mit einem stark richtungsunabhängigen Material arbeiten könnte. Hier geht es vor allem auch um die "einfache" Herstellung monolithischer Bauteile, die wir so im Modellbau nicht haben.

Könnte man mit Sicken auf der Innenseite und intelligent gestalteten Gitterholmen nicht eine vergleichbare Festigkeit erreichen?

Festigkeit ist nicht Steifigkeit: http://www.rc-network.de/forum/showthread.php/480584-Composites-101?p=3550065&viewfull=1#post3550065
 
Wie hier schon gezeigt wurde, kann man sogar im 3D-Druck ein Flugmodell konstruieren. Ob man damit tatsächlich fliegen kann und wie es sich im Vergleich mit einem auf höchstem Level konstruierten und gebauten Modell fliegt sollte klar sein.
Also Claus, was willst Du so bauen? Fliegbar ist das sicher, dass man damit aber in keiner Wettbewerbskategorie einen vorderen Platz erreichen können wird dürfte auch klar sein.

Ist halt eine schnellgemachte Pampe mit besseren Eigenschaften als Spritzguss ;)

Ingenieure sollten sich nicht von Marketingabteilungen beeindrucken lassen!
 

Addicted

User
Danke für die vielen Antworten, die mich in meiner ersten Einschätzung ja bestätigen. Hätte mich auch stark gewundert...

Hallo
Und nun kommen konsequenterweise die Fragen: [...]

Darauf habe ich auch gewartet - meiner Meinung nach wäre tatsächlich ein Einsatz dieses Materials auch in unseren Modellen denkbar. Als Schale der Flächen vll. nicht unbedingt, aber als Spanten, Servorahmen, usw. könnte man sich das m.M.n. durchaus vorstellen.

Ingenieure sollten sich nicht von Marketingabteilungen beeindrucken lassen!
Meinst du mich damit? Falls ja, war ich keineswegs beeindruckt, sondern lediglich gewillt noch einmal drüber nachzudenken :D

Gruß
Chris
 

Gast_8039

User gesperrt
Der Grundstoff sind geschredderte CF-Fasern. Diese Langfasern (auch wenn sie auf ca. 20-40mm gekürzt sind, nennt man sie noch "lang") fallen bereits in größerer Menge an. Trockener Verschnitt fällt ja vermehrt an, seit gewisse Großserienprodukte aus CFK laufen. Dabei ist das Ausgangstextil ziemlich egal. Umso mehr wird preiswert verfügbar, je mehr Großserien trockene Abfälle produzieren. In manche Bauteile/ Sekundärstrukturen werden Produktionsabfälle direkt eingeschleust. So kann man z.B. die Hochleistungs-Struktur aus CF-Preforms im RTM herstellen (Anisotropie) und die Verschnitte daraus direkt in die Fertigung gepresster Flächenbauteile wie Bodenwannen, Mulden, Dachinnenseiten etc. umleiten. Der sekundär-Markt an diesem Ausgangs-Material scheint bereits zu wachsen und zunehmend profitabel zu werden. Forged ist eigentlich falsch, es sind mit Reaktions-Harz gepresste Bauteile mit quasi isotropen Eigenschafte. Allerdings kein Spritzguss wie z.B. die genannten Propeller! Für Spritzguss/ Thermoplast bräuchte man richtig kurze Fasern < 2mm was also eher Füllstoff denn Verstärkung bringt.
Man arbeitet auch am entsprechenden Down-cycling von bereits getränkten/ gehärteten CFK- Abfällen.
 

attack

User
Dieses Zeugs wurde bereits vor ca. 20 Jahren bei F2 für die Windsurfboards verwendet-
damals war es eine Kombination aus geschredderten Glasfasern die mittels einer Pistole in die Form "geschossen" wurden!
Die mehrfach zugeführten Glasrovings wurden in diesem Vorgang zerkleinert und bereits Vorgetränkt.
Zusätzlich wurde damals vorher eine Kunststoffschicht mittels Pistole aufgetragen und die Glasfasern haben sich dann damit verbunden.
Von der Festigkeit waren diese Boards ja nicht schlecht- aber mit Carbonboards aus der selben Form konnten sie nie mithalten-
Bereits damals zählte der Faktor Leichtigkeit und Steifigkeit.
Auf unser Metier umgesetzt kann man mit dieser Methode sicher Flächen bauen, aber Gewichtsmäßig und in Sachen Festigkeit und Torsion wären die Effekte nie die selben,
wie wenn man heute bewährte Materialien verwendet.

Die Frage ist nur, muss man unbedingt Hochmodulfasern verarbeiten?
Bei meinen letzten Maschinen habe ich unidirektionale Kohlematten mit 85 Gramm verarbeitet.
Ich musste zwar zusätzlich eine 50 Gramm Glasmatte als erste Lage einlegen aber bei einem viel niedrigeren Kaufpreis nehme ich die Mehr -
Arbeit und Gewicht von 100 Gramm pro Fläche gerne in Kauf!
Bei der Festigkeit und Torsion bin ich zusätzlich besser als mit einer normalen 90 Gramm Kohle Gewebematte!
Wenn ich dann eine wirklich leicht Maschine bauen will greife ich dann doch wieder zu 1,2mm Herex statt 2mm und zu einer 80 Gramm Gewebematte-
aber solche Modelle werden eher selten benötigt also von mir nicht so oft gebaut.

Aber die Zukunft wird es zeigen- sicher kommen noch Baumaterialien auf uns zu, die vielleicht leistbar sind und auch die Leichtigkeit und Festigkeit bieten werden.
Ich denke da an Schaummaterialien,....:eek:


Liebe Grüße


Hannes
 

Claus Eckert

Moderator
Teammitglied
Also Claus, was willst Du so bauen?

Nichts. ;) Ich stelle nur Fragen.
Vor 15 Jahren hätten wir darüber diskutiert, wie man denn Styroporflieger schäumen könnte. Die Einen hätten gesagt, zu teuer. Die anderen hätten gesagt, das hält nicht.
Schwupps kam ein ähnlicher Werkstoff auf den Markt und jemand der sich fand das durchdacht zu konstruieren und schon war eine Erfolgsstory geboren.

Insofern stelle ich Fragen gerne mal "quer". ;)
 

Gast_8039

User gesperrt
war es eine Kombination aus geschredderten Glasfasern die mittels einer Pistole in die Form "geschossen" wurden!
Die mehrfach zugeführten Glasrovings wurden in diesem Vorgang zerkleinert und bereits Vorgetränkt.

Zusätzlich wurde damals vorher eine Kunststoffschicht mittels Pistole aufgetragen und die Glasfasern haben sich dann damit verbunden. Von der Festigkeit waren diese Boards ja nicht schlecht- aber mit Carbonboards aus der selben Form konnten sie nie mithalten-
Faserspritzen, kein Presslaminat. Ansonsten im Groben vergleichbar.
Logisch der Unterschied in den Kennwerten: Glas vs. Carbon und geschnitten vs. endlos. Vom resultierenden Faservolumenanteil ganz zu schweigen...

Die Frage ist nur, muss man unbedingt Hochmodulfasern verarbeiten?
Klar. Wenn man deren Eigenschaften braucht. Aber sinnvollerweise nur in einem entsprechenden endlosen/ orientierten Verbund und nicht Schnittroving/ quasiisotrop.

Bei meinen letzten Maschinen habe ich unidirektionale Kohlematten mit 85 Gramm verarbeitet.
Wo gibt`s denn sowas?:confused: Oder meintest Du UD-Gelege?;)
... 50 Gramm Glasmatte ... 90 Gramm Kohle Gewebematte!
... 80 Gramm Gewebematte-
Um weitere Schmerzen zu ersparen ;), bitte Sorgfalt in den Begriffen. "Gewebe" oder "Gelege" oder "Matte" sind spezifische Begriffe die sich widersprechen. Matte ist der Begriff ausschließlich für Wirrfaser, sehr feine Wirrfasermatten für Oberflächen heißen Vliese, Gewebe sind in sich verwobene textile Verstärkungsfasern und Gelege sind solche, bei denen die Tragfasern lagenweise mit feinen Fäden zu flächigen Gebilden geheftet sind und daher im Gegensatz zum Gewebe die tragenden Fasern nicht (wesentlich) umeinander umgelenkt werden (eng. NCR = non-crimp-fabric). Letztere haben naturgemäß die höchten faserlängs-Kennwerte und i.d.R. auch die höchsten Fasergehalte im Laminat.
 

attack

User
Fast wieder in der Schule!

Fast wieder in der Schule!

Man verzeihe die Schmerzen! :cry:

Fehler sind jetzt Gott sei Dank fachlich berichtigt worden!:D

Bin halt in erster Linie Praktiker und Pilot!

LG


Hannes
 
Also mal abgesehen davon das es sicher ne top Bindung ist:

solange DU normal auf der Piste, imk Park, Schanzen, Rails usw fährst bis Du mit jeder aktuellen Burton Kunststoff Bindung besser bedient -DU brauchst einfach den Flex.
CFK Highbacks und Bindungen sind nur was für Powder.
Wenn Du stählernde Waden hast kannst Sie auch normal auf der Piste fahren :P

Hol Dir lieber ne aktuelle Mission mit Kunsttoff Highback von Burton, die hält ewig und alles aus incl Späßen wie weiten und hohen Backside Rodeo 540s etc.
Mir hats in all den Jahren noch nie eine Burton zerlegt, trotz Park, hohen Jumps, Backcountry, alles immer zuverlässig und einwandfrei mitgemacht ^^

Falls Du dennoch auf High Tech stehst: hätte noch ne Mission CFK mit CFK Highbacks zu veräußern ^^

MFG,

Chris
http://www.zdz-germany.de
 
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