Brigitte lernt fernsteuern

Bei Recherchen zu alten Artikeln über Kunstflug stach mir sofort ein Artikel ins Auge… Zu schade fürs „Altpapier“

Wir sind in der glücklichen Lage und dürfen zu unseren vorliegenden Fotos vergangener Kunstflugtreffen ausrangierte Artikel verschiedenster Modell Magazine verwenden, immer abgestimmt mit der Chefredaktion. Im vorliegenden Fall fand ich in Modell 10/1963 diesen Artikel den ich der Öffentlichkeit nicht vorenthalten möchte. Schon 1963 lernten Frauen fliegen…

Normalerweise müsste die modellfliegende Brigitte heute 70 Jahre alt sein. Vielleicht kennt Sie jemand von Euch, das wäre natürlich toll!


Brigitte lernt fernsteuern


"Gefahrlos mit Schulungssender"

Würden Sie ein 17jähriges Mädchen mit erklärtem Interesse für Cocktailkleider, gutes Essen — „dafür könnte ich kämpfen!" — und Twistplatten, aber ganz bestimmt nicht für Flugmodelle, ohne weiteres ihren sorgsam gehüteten Kahn steuern lassen? Aber wir! Seitdem wir die elektrische Sendernotbremse haben. Das ist etwas Ähnliches wie die doppelten Kupplungs- und Bremspedale in einem Fahrschulwagen.

Schon im letzten Heft wurde in dem Artikel über Go-Karts beiläufig angedeutet, dass es Möglichkeiten gäbe, eine Schulsendeeinrichtung zu installieren, mit deren Hilfe man auch völlig ungeübte Leute, die zuvor noch niemals ein Flugmodell gesehen haben, einen Vogel in der Luft fernsteuern lassen kann, wenn der „Chef-pilot" jederzeit die Möglichkeit habe, schlagartig einzugreifen und dem Schüler den Dampf wegzunehmen, damit er, wenn's brenzlig wird, mit seinem Sender keinen Unsinn machen kann. Das war damals nur so ausgedacht. Jetzt haben wir es praktisch probiert. Dazu angelten wir Brigitte. Weil: 1. sie kein Interesse an Flugmodellen hat, 2. nicht die geringste Ahnung hat, wie so ein Ding fliegt und dazu nichts weitersagen kann als „Mensch, des isch d`r Schuß", 3. nicht anzunehmen ist, dass Brigitte jemals fernsteuern will und sich deshalb besonders anstrengt und 4. sich Mädchen bei technischen Dingen im Allgemeinen etwas ungeschickter benehmen als Jungens.

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Sie hantiert an ihrem Sender herum, als kämen weiße Mäuse raus. Dass man beim Fernsteuern
vor allem nach dem Modell sehen sollte, hat sie noch nicht begriffen. Zunächst starrt sie auf den Knüppel.


Ergebnis: Brigitte konnte nach insgesamt 3 Stunden Flugzeit an zwei Flugtagen unter Aufsicht Spiralstürze fliegen und abfangen und im Übrigen das Modell wenigstens so sicher im Normalflug in der Luft halten, dass der „Fluglehrer" am Ende des Kurses sich ohne weiteres erlauben konnte, sie kurze Zeit allein zu lassen, um im Handschuhfach des Wagens Zigaretten zu suchen.

Wenn alle Anfänger ihr erstes Modell wenigstens mit diesen praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten in die Luft schicken würden, wäre gewiss schon viel gewonnen. Ihnen dazu zu verhelfen, könnte eine dankbare Aufgabe für Clubs und Vereinigungen sein, in denen es immer zwei Sender gibt, die man auf einen bestimmten Leitungsdraht und Steckbuchsen oder auch nur Lüsterklemmen zu einer Schuleinrichtung verkoppeln könnte.

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Technische Voraussetzung: Beide Sender, der Sender des Fluglehrers und des Schülers, müssen auf denselben Empfänger abgestimmt sein, also auf gleicher HF mit den gleichen Kanalfrequenzen arbeiten. Sie müssen deshalb aber nicht gleichen Fabrikats sein. Beide Sender müssen mit derselben Betriebsspannung arbeiten.
Die Darstellung zeigt den Pilotsender und den „Schüler" in Blockschaltung mit ihrer Stromversorgung. Nur die Stromversorgung ist wichtig; wie die beiden Sender sonst im Einzelnen geschaltet sind, ist gleichgültig. B ist jeweils die Betriebsbatterie. Statt eines einfachen Ein-Aus-Schalters besitzt der Pilotsender jedoch einen einpoligen Umschalter. Wenn der Pilotsender abgeschaltet wird, so wird eine Batterie auf die beiden am Gehäuse angebrachten Buchsen und das Verbindungskabel geschaltet. Die Leitung zur Batterie B des „Schülers• ist unterbrochen (Pfeil). Man kann auch die Batterie oder den Akku herausnehmen. über das Verbindungskabel und die Buchsen am Gehäuse erhält der „Schüler" seine Betriebsspannung aus dem Pilotsender, wenn der Fluglehrer selbst an dem Umschalter seinen Sender abgeschaltet hat — und natürlich der Schalter des „Schülers" eingeschaltet ist. Entweder strahlt also der Pilotsender oder der „Schüler". Der Fluglehrer kann also dem Schüler schlagartig den Saft wegnehmen und eingreifen, ohne befürchten zu müssen, dass der Flugschüler in der Aufregung vergisst, seinen Sender abzuschalten oder die Finger vom Knüppel zu nehmen, wie es der Fall sein kann, wenn man mit zwei Sendern mit jeweils eigener Stromquelle arbeiten würde. In der Darstellung steht der Schalter S des Pilotsenders auf „aus" für den Pilotsender selbst und damit auf „um" für den „Schüler". Strom erhält jetzt also der „Schüler".


Die elektrische Notbremse

Die Einrichtung besteht darin, dass der eine dieser beiden Sender keine eigene Stromversorgung hat, sondern aus dem anderen Sender, dem des „Fluglehrers", über eine Leitung seinen Strom bezieht. Der Pilotsender braucht statt eines einfachen Aus- Einschalters einen Umschalter, der, wenn der „Fluglehrer" seinen eigenen Sender ausschaltet, die Batterieanschlüsse auf die Zuleitung zum Schülersender legt, so dass jetzt der strahlt. Der Fluglehrer hat dann die Möglichkeit, in kritischen Momenten, wenn es notwendig sein sollte, ohne Zuruf blitzartig seinen eigenen Sender einzuschalten, um damit gleichzeitig den Schülersender außer Aktion zu setzen. Der Fluglehrer kann auch zwischendurch bestimmte Figuren, Flugbewegungen und Steuerrhythmen vormachen, die sein Schüler nachübt.
Für diese Einrichtung muss man nicht in die eigentliche Senderschaltung eingreifen; die Änderung bezieht sich allein auf zusätzliche Anschlüsse an der Stromversorgung, so, wie es auf dem Schaltbild mit Pilotsender und „Schüler" dargestellt ist. Wenn die Sender nachher wieder alleine verwendet werden sollen, stören die zusätzlichen Anschlüsse außen am Sendegehäuse nicht.

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Nach fünf weiteren Flügen ist Brigitte bereits zuversichtlich. Sie verfolgt das Modell, hat aber noch nicht ganz heraus, wie die Flugbewegungen mit ihren Steuerbewegungen zusammenhängen. In sicherer Flughöhe korrigiert der „Lehrer" direkt an der Taste des Schulsenders. Sein eigener Sender dient nur als Notbremse.

Ausgeführt wurde das bei uns an einem Eigenbausender in Stahlchassis als Pilot-sender und einem Grundig Variophon II als „Schüler". Der Pilotsender erhielt einen Umschalter, dessen Umschaltkontakt, mit Minus des Batterieanschlusses beim Abschalten des Pilotsenders verbunden wird. Plus und Anschluss Umschaltkontakt wurden nach außen an eine Lüsterklemme am Sendegehäuse geführt. Eine Lüster-klemme am „Schüler" wurde über 2 Leitungen mit + und — von dessen Batterieanschluss verbunden. Zwischen die Lüsterklemmen der beiden Sender wurde ein zweiadriges Kabel montiert — selbstverständlich unter Beobachtung, dass Plus an Plus und Minus an Minus kommt — und aus dem „Schüler" eine der 8 Trockenbatteriezellen herausgenommen, um dessen eigene Stromversorgung zu unterbrechen. Danach musste nur noch eines beachtet werden: wenn nicht auch der „Schüler" an dessen eigenem Schalter abgeschaltet wurde, strahlte immer einer der beiden Sender.

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Der erste Spiralsturz am zweiten Flugnachmittag. Brigitte macht die Geschichte jetzt sichtlich Spaß, vor allem, wenn der Apparat bei Dauersignal aufheulend herunterwirbelt. Angst hat sie keine mehr, denn sie ist ja für nichts verantwortlich, und der „Lehrer" hat bereits den Daumen an dem Umschalter seines Senders, um knapp abzufangen.

Mit dieser Anordnung begann nun Brigitte ihren Flugunterricht. Sie bekam den „Schüler" in die Hand gedrückt, mit dem sie offensichtlich zunächst überhaupt nichts anzufangen wusste. Als das Modell zum ersten Male abhob, bekam sie vor dem Ding sogar Angst und weigerte sich, auf den Knüppel zu drücken, bis man ihr eindeutig demonstrierte, dass sie mit dem Apparat überhaupt nichts anstellen kann, wenn man ihr außer der Erlaubnis nicht auch noch den notwendigen Strom gibt. In der sicheren Flughöhe von etwa 50 m bekam sie dann diesen Strom. Nur kurz zunächst, damit sie merkte, was passiert, wenn sie links oder rechts auf den Knüppel drückte und vor allem, wenn sie zu lange darauf drückt.

Im weiteren Verlauf des Unterrichts zeigte sich dann, dass der Flugschüler zunächst recht wenig davon hat, wenn man ihn in größerer Höhe einfach mal steuern lässt, weil er bei dieser ungewohnten Tätigkeit sehr rasch die Übersicht darüber verliert, was er zu tun hat. Sehr viel besser ist es, wenn man ihm zunächst ganz bestimmte Aufgaben stellt, z. B. das Modell gegen den Wind richtet und sagt: „Flieg jetzt mal möglichst genau geradeaus!" oder: „Flieg eine möglichst weite Kurve, so dass der Apparat ganz wenig schiefliegt!" Und dies nicht länger als 10-15 Sekunden jeweils in einem Stück während der ersten Flüge.

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Bis zum ersten Start konnte sich Brigitte nicht vorstellen, dass solch ein Apparat überhaupt fliegen kann. Und nach dem ersten Start bezweifelte sie, dass ihr dieses heulende, stinkende und mit Öl um sich schleudernde Ding je Spaß machen könnte. Selbstverständlich lässt man den Flugschüler keine Landungen fliegen, bevor er nicht den Normalflug beherrscht. Auch Brigitte hat es bei den zwei Schulflug-tagen zu keiner Landung gebracht. Aber sie steuerte bald recht sicher das Modell mit abgestelltem Motor auf Anweisung im Gleitflug und war schließlich auch so weit, mit einer weiten Landekurve in einigermaßen richtiger Höhe zur Landung an-zusetzen.Aber es kam anders.

Geflogen wurde ständig mit Kontrollempfänger, was zwar nicht unbedingt notwendig ist, aber ganz automatisch zu der Kenntnis führt, welche Knüppelstellung „hoher" und welche „tiefer" Ton ist. Und das erlaubte wieder eine sehr sichere Spiralsturzschulung. Wenn nämlich Brigitte Anweisung erhielt, dauernd ein Signal zu drücken, bis der Apparat sich aufheulend nach unten schraubt, drückte der Fluglehrer bereits an seinem Knüppel nach der Gegenseite, nahm den Daumen an den Umschalter und — zack, schaltete um, was dann schlagartig das Abfangsignal ergab.

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Am Ende des zweiten Flugnachmittags fand sie das Fernsteuern einfach „toll". „Klasse" war, dass sich das Ding so folgsam benahm. Ihre Neigung zur Funkfernsteuerung wird zwar nicht ausreichen, jetzt Balsaholz zu schleifen statt Cocktailkleider zu nähen und von Sahnetorten zu träumen. Als Versuchskarnikel hat sie aber bewiesen, dass Fernsteuern eigentlich nicht viel, aber etwas Psychologie und Draht alles ist.

Dass Brigitte am Ende des zweiten und letzten Nachmittags mit eigener Stromversorgung ohne Notbremse flog, wenn auch noch keine Starts und Landungen, ist wohl Beweis genug, dass sich diese Schulungsart bewährt und auch die Möglichkeit gibt, Freunde und Bekannte und besonders interessierte Zuschauer mal ran zu lassen. Selbst der Bruch des Kabels würde keinerlei Gefahr bedeuten, denn der „Lehrer" hätte ja trotzdem seinen stets bereiten Sender in der Hand. Brigitte hat in diesen zwei Tagen vielleicht insgesamt 60 Minuten selbst gesteuert und Jedermann wird zugeben, dass es für einen, der für sich alleine ohne Hilfe anfängt, schon einiges bedeutet, 60 Flugminuten hinter sich zu bringen.

Aber was sind eigentlich 60 Minuten? Fernsteuern von Flugmodellen ist etwa genauso schwierig oder einfach wie ein Auto zu lenken. Auf einer völlig freien und gesperrten Flugzeugstartbahn könnte einer, der sich nicht besonders dumm anstellt, schon innerhalb einer Stunde so weit kommen, mit einem Personenwagen vergnüglich umherzugondeln. Bis aber einer ein einigermaßen geübter Autofahrer wird, sind 5000 Fahrtkilometer kaum ausreichend, wie jeder Verkehrsexperte bestätigt. Das sind rund 100 Stunden reine Fahrzeit, wenn man Stadtverkehr mitrechnet. Wie sicher könnte wohl einer fliegen, der wirklich 100 volle Stunden seinen Kahn durch die Luft geschaukelt hat? In diesem Sinne sind wir, außer einigen wenigen, alle noch Anfänger. Brigittes Fluglehrer hatte ziemlich genau elf echte Flugstunden.

Autor: Charly Zwieback
Magazin Modell
10/1963

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Hallo Skyaviations,

vielen Dank für den Retro-Beitrag. 👍

Ich fand ihn belustigend und zugleich für mich Informativ.

Hatte nicht gewusst, dass es schon Damals Lehrer-Schüler Möglichkeit gab.
Wenn man bedenkt wie Komfortabel unsere heutigen Sender ausgestattet sind (Ok, ich habe auch fast einen "Retro-Sender", einen Graupner MC22s mit 2,4Ghz Hott Modul), war das Damals noch echte "Handarbeit" und sehr vorrausschauendes Fliegen.

Gruß,
Michael
 
Hatte nicht gewusst, dass es schon Damals Lehrer-Schüler Möglichkeit gab.
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Ja, das ist offtoppich, da daß ziemlich offensichtlich zwei Männer sind. Die Zeit passt aber recht gut, ich hab's aus einem Robbekatalog raus, dem eine Preisliste vom 1. Hj. '64 beiliegt. (Die Kataloge waren aufwendig in der Herstellung und teuer im Druck, die mussten eine Weile lang "halten". Nur die Preislisten wurden entsprechend der wirtschaftswunderen Inflation häufiger nachge"bessert".)

Das Modell am Boden ist der Zugvogel von Robbe.

Auch war Dieter Skyaviations schon etliche Zeit nicht mehr bei RCN, ich wünsche ihm alles Gute und will diesen Thread nicht kapern.

servus,
Patrick
 
Das tut der früh von uns gegangene Herr Langenstroer(*) ganz oben allerdings auch. Er war beim Ikarus Harsewinkel bei den noch aktiveren, nicht nur bei den ganzen anderen Normalaktiven, war in den Wertungen - zumindest den im Modell abgedruckten Wertungslisten - a) regelmäßig dabei und b) das auch gar nicht mal schlecht.

(*)
Ich weiß leider nicht, ob er wirklich der auf den Bildern ist. Harsewinkel war damals[TM] viel zu weit weg von mir.
 

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Der Artikel begegnete mir als "Lesevorschlag" hier im Network und datiert auf 2016 - ich fand ihn gesellschaftspolitisch nicht uninteressant und hab ihn noch mal kurz aktuell kommentiert - skyaviations hatte bedauerlicherweise seine letzte Aktivität 2017 - (nur zum chronologischen einordnen) - freier Meinungsäußerung sollte also nichts im Weg stehen😉
 
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