Original trifft Remake: Kapitän von Aerobel

Original trifft Remake

Kapitän von Aerobel
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Jürgen Rosenberger​


Modellfliegen ist nicht einfach nur eine Freizeitbeschäftigung; für viele von uns gehört das Bauen und Fliegen zum Leben einfach dazu. Da ist es nicht verwunderlich, wenn der Anblick eines Modellflugzeuges längst verschollene Erinnerungen hervorzaubert. So ist es auch Jürgen Rosenberger gegangen, als er den Nachbau des legendären Kapitäns bei aerobel entdeckte – und gleich zur Tat schritt ...


Kapitän, do you hear again? – so schallt es aus dem Lautsprecher meines Kofferradios einer Phillips LD380AB Geogrette, die am Lenker meines Fahrrades hängt. Wir schreiben das Jahr 1957, mein Freund Friedhelm und ich fahren mit dem Fahrrad von Düsseldorf Reisholz in das 25 Kilometer entfernte Hilden, genauer gesagt zum Jaberg, wo sich an den Wochenenden die Modellflieger treffen. Dort gibt es viel zu sehen: Hobby, Passat, Rekorder; selbstgebaute ETB-Segelflugmodelle mit bis zu unglaublichen zwei Metern Spannweite bewegen sich majestätisch durch die Lüfte. Die Landungen enden nicht selten in Sträuchern oder Bäumen, denn Fernsteuerungen sind kaum erschwinglich. Wir, die zwölfjährigen Pimpfe, kommen aus dem Staunen nicht raus.


Großer Auftritt

An diesem Tag gibt es eine kleine Sensation: einen Doppeldecker mit einem Verbrennungsmotor. Da wir den Graupner-Kata- log besser kennen als unsere ekligen Lateinbücher, wissen wir sofort, dass das ein Kapitän ist, der Motor ein Taifun, wahrscheinlich ein Hobby. Der Besitzer kämpft mit seinem Motörchen, muss an der Luftschraube drehen, dann an der Kompressionsschraube, es folgt Fluchen und Äthergestank und plötzlich ein ohrenbetäubendes hochfrequentes Gezeter – das Dieselchen läuft, unser Freund rennt, fast stolpert er, zur Hangkante und wirft das Ding Richtung Hilden, Ohligser Heide ab. Der kleine Doppeldecker, natürlich ohne Fernsteuerung, zieht in engen Kreisen in den Himmel, hoch und höher. Womit weder der Besitzer noch wir, die fachkundigen oder soll ich sagen besserwisserischen Zuschauer gerechnet haben: Der Kapitän wird vom Wind kontinuierlich abgetrieben und gewinnt gleichzeitig an Höhe. Fünf Minuten vergehen, die uns wie eine Ewigkeit erschienen. Eigentlich müsste der Tank leer sein, so die Ausrufe des flummiartig herumspringenden Besitzers, aber nichts da – der Taifun läuft und läuft, bald entschwindet der Flieger unseren Blicken. Wochen später erfahren wir, dass der kleine Kapitän auf dem Gelände der nahegelegenen englischen Kaserne niedergegangen ist. Zur damaligen Zeit ist es noch selbstverständlich, heute übrigens Vorschrift, ein Modell mit Namen und Anschrift des Besitzers zu versehen.

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Post aus der Schweiz

Diese Begebenheit fällt mir ein, als dieser Tage ein Paket der Firma aerobel eintrifft. Inhalt: ein Flieger des Namens Kapitän, allerdings als Remake in modifizierter Form. Die Sendung besteht aus zwei Schachteln. In der einen ist der Kapitän-Laserbausatz für knapp 160 Euro, in der anderen, als „Antriebsset“ betitelten Packung, befindet sich vom Motor über Servos bis Klebstoff und Pinsel alles benötigte Zubehör zum Preis von weiteren 130 Euro. Der Bau kann sofort ohne weiteren Zukauf beginnen.
Das Konzept des Laserbausatzes entspricht dem der von mir bereits früher einmal vorgestellten Piper und Blériot. Eine Bauanleitung in Schwarz-Weiß mit 93 fotografisch dokumentierten, gut nachvollziehbaren Einzelschritten gehört ebenfalls dazu, so dass auch der Ungeübte kaum Fehler machen kann. „Nun besinge nicht wieder die Schweizer Präzision, das wissen wir schon“, legt mir Stephan zu Hohenlohe ans Herz. Also gut, liebe Leser, halten wir einfach fest: Was von aerobel kommt, ist mit äußerster Präzision gefertigt. Wer es nicht glaubt, möge meine früheren Artikeln über Piper und Blériot nachlesen.

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Feinster Lasercut

Für den Bau gibt es drei Fertigungsstufen: Rumpf, Leitwerk, Tragflügel, alle im feinsten Lasercut. Eine Nacharbeitung entfällt so gut wie vollständig, abgesehen von ein Millimeter breiten Stegen, die beim Herauslösen der Bauteile durchtrennt werden müssen. Der Rumpf wird als Vorder- und Hinterteil separat gebaut, um dann in Schnitt 26 zusammengefügt zu werden. Im Gegensatz zum originalen Kapitän, auf den wir noch zu sprechen kommen, hat unser Modell nur Kabinenfensterattrappen. Vorteil: größere Stabilität bei geringerem Arbeitsaufwand. Nachteil: eine etwas rustikalere Performance. Wie lautete doch der Werbeslogan? „Wer hat’s erfunden? Die Schweizer!“


Probleme mit der V-Form

Ab Schritt 37 fertigt man das Höhenleitwerk. Hier wird der Ungeübtere ein wenig gefordert, denn die Kanten der Ruder müssen in einem Winkel von 45 Grad angeschliffen und anschließend mit heiß aufzubügelndem Klebeband fixiert werden. In gleicher Weise verfährt man mit dem Seitenruder. Ab Schritt 55 beginnt der Bau der vier Tragflächenhälften, wobei im Vergleich zum Aufbau von Blériot und Piper eine kritische Anmerkung fällig ist: Die Flügelhälften, jede für sich in Jedelsky ähnlicher Bauweise erstellt, erhalten bei den vorgenannten Modellen während des Leimvorganges ihre V-Form durch eine vorgegebene Unterlegung mittels später herauszubrechender Stelze an der Außenrippe. Beim Kapitän gibt es keine solche Unterlegungsstelze. Stattdessen wird empfohlen, beide Flügelhälften jeweils über einer Dreikantleiste zusammenzufügen. Die Bauschritte 72 und 73 zeigen hierbei Bücher, die zugleich als Beschwerung und Unterlage dienen sollen, damit die jeweilige V-Form erreicht wird. Eine Maßangabe, wie viel man denn unterlegen soll, fehlt jedoch. Das Ergebnis beziehungsweise das Fehlergebnis beim Autor: Die Ober- und Unterflügel haben zunächst eine unterschiedliche V-Form, so dass eine Korrektur erforderlich ist. Stelzen an den Außenseiten, die später rausgebrochen werden, wie bei Piper und Blériot, hätten so etwas verhindert. Auch der Flügelaufbau an sich ist etwas gewöhnungsbedürftig, denn die Flügelrippen werden auf einem Vierkantbrett platziert, so dass vorne und hinten an der Flügelunterseite Lücken entstehen. Die Flugeigenschaften scheint das aber nicht zu beeinträchtigen. Im weiteren Verlauf werden dann minimale Schleifarbeiten notwendig. Die Ruderhörner für Höhe und Seite muss ich zwar noch einleimen, aber die Anlenkungsdrähte sind schon vorgebogen und benötigen keinen Zuschnitt mittels der von mir ungeliebten Lötarbeit. Man verschraubt stattdessen zwei Drähte in einer Klemmhülse, so dass zeitsparend ein zuverlässiges Anlenkungssystem entsteht.


Es gibt sie noch!

Also auf zur Praxis! Eindruck schinden kann ich mit dem Modell per se nicht, denn man muss nicht den Spürsinn eines Karl Lagerfeld haben, um zu fühlen, dass in der Modell- bauszene ohnehin das Retro-Virus grassiert. Als ich dieser Tage auf den Flugplatz komme, um mein Kapitänchen einzufliegen, sehe ich sogar, dass mein Vereinskollege Peter Heidenz Gleiches vorhat, allerdings mit einem originalen Graupner-Kapitän. Im Gegensatz zu mir, der ich vier bis fünf Abende im Keller verbrachte, hat Peter die Teile seines Modelles nach einem Original- Graupner-Bauplan durchgepaust, ausgesägt und aufgebaut. Jawohl, liebe Leser, es gibt sie noch, die alten Modellbauer – sie benutzen Blaupause und Laubsäge und haben viel Geduld und Liebe für das Hobby übrig!


Original trifft Remake

Die Bilder zeigen die beiden Modelle nebeneinander. Der Graupner-Kapitän, von Peter gefertigt, ist gefälliger, 120 Gramm leichter, hat vor allem eine durchsichtige Kabinen- haube mit einem Piloten und einem Armaturenbrett. Der einzige Stilbruch: Die Flügel sind nicht mit Japanpapier, sondern Bügelfolie bespannt. Ein 1,5 Zentimeter großer Motor mit regelbarem Vergaser treibt das Kerlchen an. Mein Kapitän wirkt dagegen etwas hausbackener mit seinen aufgeklebten Kabinenfenstern, aber er hat einen Vorzug: Sein säuselnder 3S-Elektromotor geht immer, macht keinen infernalischen Lärm und hinterlässt auch keine „stinkigen Finger“. Man sieht auf den Bildern die etwas breiteren Jedelsky neben den vollbespannten Rippenflächen. Peter hat an seinem Modell einen halben Winter gebaut, während ich sehr viel schneller zum Ziel kam. Peters Modell subsumiere ich unter Modellbauerkunst, mein Fliegerchen hingegen profitiert von den Vorteilen moderner Computerfertigung und soll vor allem – fliegen!

Nun, was können unsere beiden? Die Idee, Original und Remake nebeneinander in der Luft zu fotografieren, geben wir sehr schnell auf. Zum einen ist der Wind grenz- wertig, das mögen beide nicht, zum andern sind Modelle, die nur über Höhe und Seite zweiachsgesteuert sind, in ihrer Manövrierfähigkeit begrenzt. Wir möchten nicht riskieren, dass unsere Schätzchen in der Luft zusammenstoßen. Rein fliegerisch tun sich die Doppeldecker nicht viel. Erstaunlich für mich ist, dass mein elektrobetriebenes 3S-Kapitänchen mehr Dampf hat als der 1,5 Zentimeter starke Methanoler von Peter. 45-Grad-Anstiege sind dem aerobeler eine Freude, wohingegen sich der Graupner-Oldie damit schon schwerer tut.

Es gibt noch weitere Unterschiede: Das Original knattert, ich gleite leise dahin. Peter muss nach jedem Flug tanken und Verbrennungsrückstände beseitigen, ich nur den Akku wechseln. Ich habe ein Ladegerät, Peter einen vollen Kraftstoff-Kanister. Der Vereinskollege fährt abends ohne Umstand nach Hause, ich brauche ein Überbrückungskabel wegen einer leeren Autobatterie. Ganz im Ernst: Wer hätte 1957 gedacht, dass Elektromotor- und Akkutechnik solche Fortschritte machen würden?


Wie fliegt der Schweizer?

Der aerobel-Kapitän, den es inzwischen auch bei Graupner gibt, fliegt auf Anhieb problemlos. Der angezeichnete Schwerpunkt ergibt sich automatisch daraus, dass man alle mitgelieferten Teile, will sagen Motor, Fahrtenregler und Akku, an der vorgesehenen Stelle platziert.
Ein Kritikpunkt ist, wie bereits bei Piper und Blériot angemahnt, dass man die Ruder- wege anfängergerecht mitteilen sollte. Einmal in der Luft, geht der Elektro-Käpt’n aber freudig zur Sache. Loopings sind kein Problem und bei kräftigem Seitenruderaus- schlag rollt er sogar um die Achse. Ein Bodenstart ist wegen der kleinen Räder auf der Wiese nicht zu empfehlen, die Landung wiederum ein perfektes Hereinschweben bei guter Segeleigenschaft. Alles in allem macht das Kapitänchen von aerobel bei ruhigem Wetter oder in den Abendstunden am Feierabend sehr viel Spaß, auch wenn er eben kein Starkwindflieger ist. Die Oldies sind eben en vogue – warten wir, was noch kommt. Peter jedenfalls baut jetzt an einem Marabou!


Fazit

Der Komplettbausatz des Kapitäns von aero- bel überzeugt in seiner Konzeption durch hohe Fertigungsqualität, kurze Bauzeit und anfängertaugliches Flugverhalten. Verglichen mit dem Ur-Kapitän ist er etwas hausbacke- ner, zeigt als Kofferraumpassagier aber eine hohe Anwenderfreundlichkeit für den abendlichen Feierabendflug in entspannter Atmo- sphäre. Der Elektroantrieb verleiht eine gute Steigleistung, ist umweltfreundlich und vor allem: Er läuft immer. Wer die Qual der Wahl zwischen Piper, Blériot und Kapitän hat, dem empfehle ich deshalb Letzteren.
 
ich treffe Original

ich treffe Original

hallo, auch ich habe einen " Elektro-" Kapitän gebaut, aber den von Graupner. Nach einem Plan gebaut, habe ich nach anfänglichen Problemen mit dem SchwerpunktWP_20170405_19_41_05_Pro.jpg einen wunderbaren Feierabendflieger erhalten.
Den Kapitän habe ich vor ca. 60 Jahren als Freiflugmodell gebaut und viel geflogen. Hinterherlaufen war immer angesagt !
 

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Sehr schöner Bericht...
Aber im Ernst !!! Der hat doch wenig von dem Flair eines echten Kapitäns, kräuselig diese Art von Tragflächen, dabei lässt sich doch sehr einfach echte Rippen im Block herstellen und eine schöne Fläche zaubern, und das ist auch nicht komplizierter als diese Art Jedelsky Fläche... Brettchen Leitwerk, aufgeklebte Fenster Imitate, brrrr und ich finde den Preis doch recht üppig.
Im Netz gibt's den Plan für die paar Teile kostenlos, die 5 Balsabrettchen sind schnell geschnitten, und wenn man hier im RCN an der richtigen Stelle fragt, bekommt man einen gefrästen Bausatz original von Privat an Privat für 80-100.- weniger. Aber dann auch mit dem echten Flair eines so schönen Modells...
Wir haben zwei Kadetts von Aerobel im Verein, eine mit E antrieb und einen mit Diesel, ok aber nicht schön.

Grüße André
 
€300,- für diesen Abklatsch?
Naja, die Leute kaufen auch VW Beetle und BMW Mini, beides bestenfalls Karikaturen der Originale.
Das einzige, was das Programm rechtfertigt, sind die Einschaltquoten. Und solange dieser Eulenspiegel-“Kapitän“ gekauft wird, ist er wohl berechtigt.
Egal,
H.
 
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