Einstieg in die Elektrosegelflug-Klasse F5F und Entwicklung des Nurflügels Vespertilio II

Einstieg in die Elektrosegelflug-Klasse F5F und Entwicklung des Nurflügels Vespertilio II

Entwicklung des Nurflügels Vespertilio II

Einstieg in die Elektrosegelflug-Klasse F5F

Dr.-Ing. Bernd Pfeiffer
Flugbilder: Herbert Stammler​


Die Vorgeschichte

Im Jahr 2003 konstruierte ich einen Nurflügel für die Modellflugklasse F5F und nannte das Modell Vespertilio (lat. Fledermaus). Zusammen mit Andreas Weiser baute ich zwei Modelle und wir flogen sie ausgiebig. Hier kann die Geschichte nachgelesen werden!

Aufgrund der guten Flugeigenschaften beschloss ich zwei Jahre später, eine Negativform zu bauen, um in der Klasse F5F einsteigen zu können. Da dieses Modell mein erster Formenflieger werden sollte, beschloss ich, an der Konstruktion nur noch geringfügige Änderungen durchzuführen, um keine Überraschungen zu erleben. Wegen mehrerer Umzüge und einem Arbeitsplatzwechsel ging der Bau der Negativform allerdings nicht mehr voran. Außerdem kam ich nur noch drei- bis viermal im Jahr zum Modellfliegen. Es musste also eine Entscheidung gefällt werden. Entweder ich investiere noch einmal einiges in das Hobby, oder ich gebe es auf. Ich beschloss letztlich, die Vespertilio im 3D-CAD zu konstruieren und mir Negativformen fräsen zu lassen. Zwischenzeitlich lernte ich noch Bernd Bossmann kennen, der in der Klasse F5F erfolgreich mit einem Nurflügel fliegt. So war es dann doch noch möglich, die Vespertilio II fertigzustellen. Allerdings fand der Erstflug erst sieben Jahre nach dem Baubeginn der ersten Negativform statt. 2010 war dann die Feuertaufe für die Vespertilio II. Ich nahm damit an den F5F-Wettbewerben in Wetzlar und Bad Brückenau teil. Obwohl ich noch mit vielen Problemen kämpfte, konnte ich mich auf beiden Wettbewerben bezüglich der geflogenen Streckenanzahl steigern. Begrenzt wird die Flugleistung des Modells nur noch durch den Piloten, aber daran arbeite ich.

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Bild 1: Vespertilio im Landeanflug


Aerodynamischer Entwurf

Die Vespertilio II verwendet kein spezielles Nurflügelprofil, sondern das bei den Leitwerklern bewährte MH 33. Bei meinen F3B-Nurflügeln habe ich sehr gute Erfahrungen mit Flügelgeometrien gemacht, die einen Tiefensprung am Ende der Wölbklappe besitzen. Diese Auslegung ermöglicht in einem breiten cA-Bereich eine elliptische Auftriebsverteilung und das unabhängig davon, mit welchen Wölbklappenausschlägen geflogen wird. Außerdem verbessert sich das Abreißverhalten im Bereich des Außenflügels. Über die Vorteile eines Tiefensprungs beim Nurflügel hatten Herbert Stammler und ich auf dem Nurflügeltreffen in Walsum referiert. Der Vortrag kann hier nachgelesen werden


Technische Daten Vespertilio II:
• B = 2,2 m
• A = 36 dm2
• Profil: MH33
• Mges = 1960 g
• Auslegungs cA = 0,2​

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Bild 1,5: Technische Zeichnung Vespertilio

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Bild 2: Auftriebsverteilung simuliert mit XWING von Ulf Lehnert für 5° Wölbklappenausschlag (Zeitflug). Trotz der ausgeschlagenen Wölbklappe ist die Auftriebsverteilung fast elliptisch.


Anmerkungen zur Konstruktion im CAD

Häufig wird der Eindruck vermittelt, dass ein mittels CAD entworfener und in gefrästen Formen gefertigter Flügel die theoretischen Profilkoordinaten repräsentiert. Dies ist allerdings technisch nicht möglich. Es müssen immer Kompromisse eingegangen werden. Wird im CAD ein Spline durch Profilkoordinaten gelegt, so ist dieser meist wellig. Die Welligkeit ist eine Folge der nicht krümmungsstetigen Kurve.
Zwar bieten CAD-Programme Funktionen an, um eine krümmungsstetige Kurve abzuleiten, allerdings muss dabei eine Abweichung von den original-Profilkoordinaten in Kauf genommen werden.

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Bild 3: Umsetzung eines Profils im CAD. Minimale Abweichungen von den Originalkoordinaten wurden erlaubt, dadurch konnte eine krümmungsstetige Kurve erreicht werden.

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Bild 4: Umsetzung eines Profils im CAD. Das Profil wurde als Spline konstruiert, der genau (ohne Abweichungen) durch die Profilpunkte verläuft. Das Resultat ist nicht krümmungsstetig. Dies kann bei der Konstruktion von Freiformflächen zu Problemen führen.

Die Abweichungen von den originalen Profilkoordinaten sind im Nasenbereich häufig am größten. Das Originalprofil aus dem Simulationstool kann meist nicht zu 100% umgesetzt werden. Ein Bekannter sagte mir einmal: „Nimm doch einfach den Zoom heraus, dann sieht es nicht mehr so schlimm aus“. Leider ist das nicht so einfach. Gerade bei komplizierten Freiformflächen kann die Welligkeit im Profil zu einer noch stärkeren Welligkeit in der Freiformfläche führen. Bei der Vespertilio II wurde deshalb eine Abweichung von maximal 0,1 mm von den Originalprofilkoordinaten zugelassen, um eine krümmungsstetige Kurve zu bekommen.

Generell sollte die Umsetzung im CAD schon beim Profilentwurf berücksichtigt werden. Viele selbst entwickelte Profile unterscheiden sich nur noch geringfügig von den Profilen, von denen diese abgeleitet wurden. Zu den Abweichungen in der CAD-Konstruktion kommen außerdem die Frästoleranzen hinzu, und zum Schluss wird die Form ja noch per Hand poliert. Dies alles muss berücksichtigt werden, wenn man abschätzen möchte, ob eine Änderung in der Profilkontur auch umgesetzt werden kann.


Bauweise der Flieger und Wettbewerbserfahrungen

Die Bauweise der ersten beiden Modelle unterscheidet sich deutlich von der des dritten Fliegers. Die Flieger 1 und 2 wurden in klassischer Schalenbauweise erstellt. Flieger 3 wurde als mehrzelliger Flügel konzipiert.

Über den Bau von Modell 1 habe ich in einemThread bei :rcn: berichtet.

Die Holmstege der Schalenflügel bestehen aus mehreren Lagen Balsaholz, zwischen denen diagonales Glasgewebe laminiert ist. Für sämtliche Stege wurden mittels CAD Schablonen erstellt, mit denen die Stege genau gefertigt werden können. Zum Aufnehmen der Torsion ist in die Außenlage eine Lage Kohlegewebe mit einem Flächengewicht von 93 g/m² laminiert. Die Auslegung der Holmgurte wurde durch ein selbst geschriebenes Programm vorgenommen und über die Excel Tabelle „Holmauslegung“ von Christian Baron überprüft.


Die Modelle hatten ein Gewicht zwischen 1850 g und 1950 g und waren somit schwerer als andere F5F-Modelle. Vergleiche mit einer 1600 g leichten Vespertilio ergaben, dass sich vor allem die Zeitflugleistung in Folge des hohen Gewichts deutlich verschlechtert. Außerdem zeigten die Modelle Probleme bei langsamen, engen Wenden, was ebenfalls auf das Gewicht zurückzuführen ist.
Das MH 33 war eine schlechte Wahl. Es sind Turbulatoren bei 70% der Flügeltiefe notwendig, um ein stabiles Flugverhalten zu bekommen. Ohne Turbulatoren kann die Vespertilio bei bestimmten Wetterlagen nicht neutral getrimmt werden.


Bau von Modell drei

Um für die Wettbewerbssaison 2010 noch ein B-Modell zu besitzen, wurde unter hohem Zeitdruck eine experimentelle, relativ schnelle Bauweise verwendet. Es wurde ein mehrzelliger Flügel gebaut. Berichtet wurde darüber bei :rcn: unter diesem Link!

Von allen Fliegern ist dieser allerdings der schwerste. Er wiegt flugfertig 2020 g. Trotzdem fliege ich das Modell gerne. Da ich mit meinem A-Modell vor dem Wettbewerb in Bad Brückenau Probleme hatte, war ich froh, dieses Modell einsetzen zu können. Durch die einteilige Bauweise und die Torsionsanlenkung (verringertes Spiel in den Rudern) lässt sich das Modell viel besser durch die Strecke steuern als mein A-Modell. Das gleicht das hohe Gewicht mehr als aus. Wenn Flieger Nr. 4 gebaut ist, werde ich dieses Modell mit einem leichten Antrieb für gemütliches Thermikfliegen ausrüsten.

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Bild 5: Schnitt durch den Flügel von Flieger 3. Es wurde eine mehrzellige Bauweise ausprobiert.

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Bild 6: Linker Flügel, der in mehrzelliger Bauweise erstellt wurde. Gut zu erkennen sind die Turbulatoren vor den Rudern, die das Flugverhalten deutlich verbessern.


Entwurf der Vespertilio 2,5 - Lehren aus Wettbewerben

In den Wettbewerben kristallisierten sich in erster Linie die folgenden Punkte als Schwachstellen der Vespertilio II heraus:
  • Meine Modelle sind noch zu schwer. Dadurch gelingen nur schnelle Wenden gut. Außerdem würde die Zeitflugleistung bei einem leichten Flieger besser sein.
  • Die Bauhöhe des Flügels ist zu gering. Wölbklappenservos passen kaum in den Flügel, und es ist nicht möglich, wie beispielsweise bei der Zeze, die Antriebsakkus im Flügel unterzubringen.
  • Das Profil MH 33 benötigt Turbulatoren, um das Modell austrimmen zu können.
Alle drei Punkte können durch ein anderes Flügelprofil mit mehr Bauhöhe entschärft werden.
Das neue Flügelprofil wurde unter folgenden Gesichtspunkten konstruiert:
  • Die Unterseite des MH33 soll weiterverwendet werden, um die guten Schnellflugeigenschaften zu behalten.
  • Der Flügelentwurf (Geometrie und Verwindung) soll beibehalten werden, dann muss nur die Formenoberseite nachgefräst werden. Die Fräskosten werden so minimiert.
  • Auf Turbulatoren soll bei dem neuen Entwurf verzichtet werden können.
  • Speziell bei niedrigen Re-Zahlen soll das Profil noch gut funktionieren.
  • Mehr Bauhöhe soll die Gewichtsproblematik lösen.
  • Die Bauhöhe muss für Antriebsakkus ausreichen, daher muss das Flügelprofil dicker werden. (Was nützt in der Widerstandsbilanz ein besonders dünnes Profil, wenn man dafür einen dicken, klobigen Rumpf mitschleppen muss?)

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Bild 7: Vergleich zwischen dem MH33 und dem neuen Profil für die Vespertilio 2,5 bei unterschiedlichen Re-Zahlen. Es ist gut zu erkennen, dass vor allem für niedrige Re-Zahlen eine Verbesserung der Polare im Vergleich zum MH33 erreicht wurde, ohne die Schnellflugeigenschaften zu verschlechtern.

Bei der Umsetzung der neuen Profiloberseite im CAD zeigten sich neue Herausforderungen. Wird nur die Oberseite eines Profils verändert und durch die Profilkoordinaten eine Kurve (Spline) gelegt, verändert sich im CAD zwangsläufig auch die Unterseite.
Am einfachsten lässt sich das visualisieren, indem man eine Kurve durch drei Punkte legt und die Y-Koordinate eines Punktes verändert.

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Bild 8: Wird nur die Oberseite eines Profils verändert, so hat dies im CAD auch Einfluss auf die Unterseite. Dieses Verhalten kann durch drei Punkte dargestellt werden, durch die eine Kurve gelegt wird.

Vor allem im Nasenbereich sind die Abweichungen am größten. Auch hier zeigte sich wieder eine nicht zu verhindernde Diskrepanz zwischen dem Profilentwurf und dem im CAD umgesetzten Profil.


Ausblick

Auch 2011 werde ich wieder an Wettbewerben teilnehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Vespertilio 2,5 eingesetzt wird, da die Form noch nicht fertig ist. Die Entwicklung der Vespertilio ist noch lange nicht abgeschlossen, sondern fängt gerade erst an. Im harten Wettbewerbseinsatz rächt sich sofort jede noch so kleine Schwäche. Es zeigt aber auch, dass manchmal kleine Änderungen ausreichen, um einen Nurflügel deutlich leistungsfähiger zu gestalten. In der Nurflügelszene wird dieser Weg viel zu selten genutzt, und gute Konzepte werden nicht weiter verfolgt. Deshalb ist dieser Artikel auch als Anregung zu verstehen, nicht immer einen neuen Entwurf zu bauen, sondern auf etwas Bestehendem aufzubauen und dieses Schritt für Schritt zu verbessern.

Als Anfänger mit einem selbst konstruierten Flieger an Wettbewerben teilzunehmen ist wohl der schwierigste Einstieg. Es ist aber auch der Interessanteste, deswegen bereue ich nicht, diesen Weg eingeschlagen zu haben.

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Bild 9: CAD-Modell des gesamten Fliegers.

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Bild 10: Vespertilio im senkrechten Steigflug.

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Bild 11: Mit voll ausgeschlagenen Landeklappen Höhe vernichten.
 
Vielen Dank erst einmal, es freut mich wenn der Artikel gefällt,

das CAD System mit dem ich gearbeitet habe ist CATIA V5.

Viele Grüße

Bernd
 
Hallo Bernd,

ich habe dich ja letztes Jahr in Bad Brückenau mit dem Teil gesehen und war dort schon mehr als Fasziniert davon. Innovative Ideen aussergewöhnliche Wege gehen und umsetzen - ich gratuliere dazu da dies in der heutigen Zeit immer seltener wird.
Weiterhin vielen Dank für diesen Ausführlichen tollen Artikel und für die Saison 2011 viel Glück
Bruchfreie Saison 2011
viele Grüsse
Rolf
 
Prof. Dr. Karl Nickel, Dr. Michael Wohlfahrt und nun Dr.-Ing. Bernd Pfeiffer (mit 3 "f" ;)).

Den Nurflüglern werden - wieder einmal - höchste akademische Weihen gewidmet.
Nun, wundern tut mich das nicht. Als aktiver Drachenflieger (Atos) bin ich nun wirklich
den Schwanzlosen nicht abgeneigt. Auch Modelle ohne Schwanz habe ich schon konstruiert,
gebaut und recht ordentlich geflogen.
Ich mußte aber einsehen, dass man dem Thema fast schon obsessiv entgegentreten muss,
will man Nurflügler auf Topleistungsniveau à la F5F bauen.

Und drum hab ich es sein lassen und bewundere hochachtungsvoll die Anstrengungen des Autors !

Der Mainstream hat mich wieder:
Modelle fliege ich nur noch mit Schwanz und mein Atos hat auch schon sein einigen Jahren
ein kleines V-Leitwerk bekommen.

Robert
 
Den Nurflüglern werden - wieder einmal - höchste akademische Weihen gewidmet.

Wobei man sagen muss, dass in der Klasse F5F schon bewiesen ist, dass der Nurflügel im Vergleich zu den Leitwerklern konkurenzfähig, bzw. sogar leicht überlegen ist. Das hat Bernd Bossmann letztes Jahr bewiesen, als er die Eurotour gewonnen hat. Und das ohne akademischen Grad, sondern über konsequente Weiterentwicklung über Jahre hinweg. Die Vespertilio muss sich also nicht mit Leitwerklern vergleichen, sondern mit einem Nurflügel, das ist schon eine ganz besondere Situation.

Viele Grüße

Bernd
 
Sehr guter Bericht! Besonders das Thema Splinewelligkeit war ein guter Tipp für mich, da ich auch gerade mit unerklärlichen Freiformeffekten zu kämpfen habe. Interessant auch die Ausführungen zum MH 33, das bei den Leitwerklern ja offensichtlich noch gut funktioniert, hier aber ob der geringeren Hebel mit seiner Ablöseblase den Momentenhaushalt ordentlich durcheinanderbringt.

Friedmar
 
Habe mit grossem Interesse gelesen. Vielen Dank.
Ein Tipp zu dem CAD: meine Profile bestehen niemals aus einer Kurve, sondern aus mindestens zwei: Oben und unten. So ist gewährleistet, dass die Manipulationen an der Oberseite sich nicht auf die Unterseite auswirken (und umgekehrt).

Gruß
Juri
 
Vielen Dank erst einmal, es freut mich wenn der Artikel gefällt,

das CAD System mit dem ich gearbeitet habe ist CATIA V5.

Viele Grüße

Bernd

Vielen Dank für den interessanten Bericht. Ich beneide die "Schwanzlosen" immer um
den widerstandserzeugenden "Ballast" den sie am Boden lassen.
CATIA V5....Respekt......was für die Grossen gut ist sollte, wie man hier eindrucksvoll sieht,
auch für die "Kleinen" passen. :D
 
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