Hallo,
wenn ReinerH der Reiner Hofs... ist, den ich zu meiner Freiflug- und Studentenzeit in Stuttgart gekannt habe: Erstmal viele Grüße an ihn!
Den Beitrag von Peter möchte ich noch etwas ergänzen:
Die Einführung des Neutralpunkt-Begriffs in den Modellflug durch Beuermann geht meiner Erinnerung nach auf einen Beitrag in einer Modellflugzeitschrift aus den 50er-Jahren zurück ("Das Flugmodell" o.ä., Verlag Klasing ?). Bei mir hatte das damals einen richtigen "Aha-Effekt" zur Folge. Später habe ich das dann noch "richtig" gelernt.
In der Theorie der manntragenden Flugzeuge war der NP schon erheblich länger bekannt. Wenn man in die Literatur dazu reinschaut, findet man, daß die NP-Vorstellungs-/Rechnungsweise in der angelsächsischen Literatur schon früher üblich war, als in der deutschen. Was jetzt aber keine Wertung sein soll, es handelt sich nur um eine andere Darstellung derselben Sachverhalte; ich finde sie aber auch einfacher.
Die NP-Darstellungsweise der Kräfte/Momente beginnt beim "Profil" (= zweidimensionaler Flügelschnitt). Vereinfacht gesagt, kann man die sich nach Größe und Lage mit dem Anstellwinkel ändernden Kräfte darstellen als eine im NP angreifende Auftriebskraft, die NUR linear vom Anstellwinkel abhängt, plus ein konstantes (und sog. "freies") Drehmoment. Die Definition des Letzteren beinhaltet, daß es auch noch bei Anstellwinkel/Auftrieb Null vorhanden ist; daher bezeichnet man es auch als sog. "Nullmoment". Es kann positiv (schwanzlastig), gleich Null, oder negativ (kopflastig) sein; dies hängt hauptsächlich vom Verlauf der Profilwölbung über der Profiltiefe ab. Die Lage des Profil-NPs ist mit guter Näherung immer bei 1/4 der Profiltiefe auf der Profilsehne.
Die "nächsthöhere" Stufe der Überlegungen ist dann der NP eines (dreidimensionalen) Flügels. Seine Lage hängt jetzt aber auch vom Flügelumriß ab, der z.B. gepfeilt sein kann. Aus dem Umriß kann man relativ einfach die Lage des Flügel-NPs berechnen; dies ist dann der sog. "geometrische NP", der aber nur bei einfachen Flügelformen (Rechteck, Trapez) mit dem wahren, sog. "aerodynamischen NP" identisch ist. Der geometrische NP ist dann der 1/4-Punkt der sog. "Bezugsflügeltiefe" (oft vereinfachend und falsch als "mittlere Tiefe" bezeichnet). Wenn geometrischer und aerodynamischer NP nicht identisch sind, drückt man das durch eine sog. "Neutralpunktsverschiebung" aus; deren rechnerische oder experimentelle Bestimmung kann schon ganz schön aufwändig sein. Mit dem NP von nur einem Flügel haben wir es bei Nurflügeln zu tun.
Die "höchste" Stufe befasst sich dann mit dem NP von zwei oder mehr Flügeln; allgemeiner gesagt zunächst mit dem NP von "planaren" (in ungefähr einer Ebene liegenden) Flügelanordnungen (Schwanzflieger", Enten, Canards, Mehrfach-Deltas u.a.m.).
Man kann theoretisch beweisen, daß es auch dann immer einen Gesamt-NP gibt; und das gilt sogar auch noch für "nicht planare" Flügelanordnungen (z.B. "Box Wing" o.ä., auch Doppel- oder Dreidecker gehören schon dazu). Allerdings ist die Bestimmung des Gesamt-NPs dann im allgemeinen sehr aufwändig, da die Flügel sich gegenseitig beeinflussen und oft auch noch ein Rumpfeinfluss berücksichtigt werden muß.
Zum Glück haben wir es im Modellflug meist mit einfacheren Fällen zu tun, z.B. mit nur Tragflügel und Höhenleitwerk, und der Rumpfeinfluß ist gering. Dann genügt die Bestimmung des geometrischen Gesamt-NPs, allerdings unter Berücksichtigung des Flügel-Abwinds am Höhenleitwerk. Auf dieser Basis arbeiten (mit Ausnahmen) die "üblichen" Programme zur NP- bzw. Schwerpunkt-Berechnung.
Der Gesamt-NP von 2 Flügeln liegt immer zwischen den Einzel- NPs der beiden Flügel. Daher liegt der NP eines Normal-Modells auch immer hinter dem NP des Tragflügels. Wie weit das ist, hängt von den geometrischen Abmessungen des Modells ab; bei extremen Auslegungen kann der Gesamt-NP sogar auf der "Endleiste" des Tragflügels liegen (ob das dann sinnvoll ist, wäre eine andere Frage).
Wie Peter schon gesagt hat, muß der Schwerpunkt immer vor dem Gesamt-NP liegen, damit das Modell (statisch) längsstabil ist. Das ist auch ohne rechnen leicht einzusehen, weil z.B. bei einer Anstellwinkelerhöhung durch eine Böe der zusätzliche Auftrieb ja im NP angreift, das Modell um den SP im kopflastigen Sinn dreht und damit in die alte Lage zurückführt.
Nun verlangt die Bedingung "SP vor NP" auch, daß das Modell ein positives (schwanzlastiges) Gesamt-Nullmoment hat, denn andernfalls wäre kein Momenten-Gleichgewicht zum gleichförmigen Flug möglich. Anders als beim "NUR-Flügel" (wo man das Nullmoment nur durch das Profil und/oder Schränkung+Pfeilung beeinflussen kann) hat man bei einer "Mehrflügel-Anordnung" die Möglichkeit, das Nullmoment durch die Wahl von verschiedenen Einstellwinkeln der Flügel zueinander in weiten Grenzen zu verändern. Bei einem Normal-Modell ist dies einfach die Einstellwinkel-Differenz (EWD).
Die Größe des Abstands NP – SP (korrekter gesagt: seine relative Größe, auf die Bezugsflügeltiefe bezogen) ist ein Maß für die statische Längsstabilität des Modells und wird deshalb auch "Stabilitätsmaß" genannt. Je größer das Stabilitätsmaß, desto größer die statische Stabilität. Man kann dabei aber auch leicht zu viel tun, und dann braucht man ein sehr großes Nullmoment zur Kompensation, was der Flugleistung abträglich ist. Ferner wird durch statische "Überstabilität" die dynamische Stabilität schlechter. Wie Peter schon gesagt hat, hängt das richtige Stabilitätsmaß für statische UND dynamische Stabilität von diversen anderen Modellgrößen ab, und man wird es in der Regel durch Erfahrung bzw. die praktische Erprobung festlegen.
Bei der Entwicklung der NP-Darstellungsweise mussten einige Annahmen gemacht werden; vor allem die lineare Abhängigkeit des Auftriebs vom Anstellwinkel, sowie ein konstantes Nullmoment. Für manntragende Flugzeuge treffen diese Annahmen gut bis sehr gut zu; aber im Modellflug ist das auf Grund der geringen Re-Zahlen oft nicht mehr der Fall.
Der Auftriebsanstieg ist dann z.B. keine gerade Linie mehr, es können vorzeitige Strömungsablösungen und/oder Hysterese-Effekte auftreten, um den Nullauftrieb herum (bei Leitwerken) können Totzonen auftreten; der Nullauftriebswinkel ändert sich abhängig von der Fluggeschwindigkeit (bzw. Re-Zahl), das Nullmoment ist nicht mehr konstant und kann sogar sein Vorzeichen ändern.
Daher sind die unter idealisierten Annahmen berechneten Werte nur als Näherungen zu sehen. Mal stimmt´s gut, mal weniger. Dem trägt man Rechnung, indem man die SP-Lage weiter vorne bzw. das Stabilitätsmaß zuerst größer als notwendig wählt. Die Feinabstimmung (gfls. Verkleinerung des Stabilitätsmaßes) erfolgt dann beim Einfliegen.
Die genannten rd. 55% Rücklage des SP´s ist ein Wert, der sich für Freiflugmodelle mit "üblichen" Abmessungen auf diese Weise aus der Praxis ergeben hat. Der Gesamt-NP liegt dann (um mal einen ungefähren Zahlenwert zu nennen) bei 60-65% der Bezugsflügeltiefe.
Bei anderen Modelltypen können NP und SP andere Rücklagen aufweisen.
Trotz der o.e. Mängel ist die Neutralpunkt-Theorie im Modellflug eine anschauliche Methode zur SP-Festlegung und eine sehr große Hilfe. Ich persönlich finde auch die Vorgehensweise "zuerst SP berechnen und festlegen - dann mit EWD trimmen (d.h. das Nullmoment anpassen)" einfacher, besser und einleuchtender als "zuerst EWD festlegen – dann mit SP-Lage trimmen".
Gruß,
Helmut