Jonathan Seagull - oder: Pimp My ARF

Hi in die Runde,

wer kennt das nicht: da kauft man so einen Fertigflieger und freut sich über die gesparten Werkstattstunden. Dann wirft man ihn raus und stellt fest, dass der Apparat irgendeine Macke hat, die der Herr ARF da reinkonstruiert hat.

Wenn man sich in den Foren so umsieht, kann man den Eindruck bekommen, dass die normale Reaktion darauf darin besteht, einen Fred aufzumachen, wo man sich erstmal bitter beklagt. Es finden sich meistens "Leidensgenossen", die das so oder ähnlich auch erlebt haben und munter beim Hersteller-Bashen mitmachen. Manchmal ist einer dabei, der mit mehr oder weniger Fachwissen zu helfen versucht, aber meistens steht unten drunter die Kaufempfehlung für irgend ein anderes, oft doppelt so teures Modell.

Ich möchte hier einen anderen Weg vorstellen, der ausgehend von einem eher billigen Fertigdings zu einem echten Lieblingsflieger führt. Man braucht dazu aber etwas mehr als ein paar angegoogelte Schlagwörter und Statements vom Vereinsguru. Die Fähigkeit zum Bauen "wie früher" (und die Möglichkeit dazu) ist auch nötig.

Wer jetzt noch nicht beleidigt ist, bitte weiterlesen. Alle anderen sind natürlich nicht gemeint;)

Genug Vorgeplänkel. Los gehts.
 
Angefangen hat alles mit einem Vogel namens ULTIMO, den es um 2008 bei Conrad zu kaufen gab. Das war ein 1,50m Elektrosegler mit GFK-Rumpf und Rippenflächen. Vorne drin sorgte ein Speed 400 für Hitze (und ein bisschen Vortrieb...), Strom kam aus einem 7-zelligen NiMH Akku. Das alles kostete ohne Servos, Steller und Empfänger keine 100 Euro.
Sah aus der Kiste so aus:

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Das Ding war garnicht mal schlecht gemacht. Der Rumpf leicht, ordentlich lackiert, und mit der einen oder anderen Lage Glasgewebe auch alltagstauglich. Die mitgelieferten Anlenkungen spielfrei und stabil, und die Fläche bis auf das zweifelhafte Transparent-Lila ordentlich gebaut und sehr leicht. Idiotisch wie seit 40 Jahren die Flächenbefestigung mit zwei Dübeln vorne und Schrauben hinten: so wird beim Ringelpiez garantiert alles auseinandergerissen...

Als Kind seiner (Bürsten-) Zeit ist die Nase eher kurz. Steuerung über drei Achsen ohne Landehilfe.

Soweit zum Zustand "aus der Kiste".
 
Fliegen und erste Maßnahmen

Fliegen und erste Maßnahmen

Am 9.12.2007 war Erstflug, und zwar im vollen Serienzustand ohne jede Veränderung. Bei einem Abfluggewicht von knapp über 700g verlief der erwartungsgemäß ohne besondere Vorkommnisse, sogar mit dem 400er Bürstenmotor gab es erkennbares Steigen.

Im Lauf der folgenden Erprobung zeigte sich der Billigvogel als ziemlich brauchbar. Die Ruderreaktionen gut dosierbar, kunstflugtauglich war er auch, wenn auch die QR-Wirkung eher von der sanften Art war. Ausserdem ignorierte der Vogel beharrlich jeden Versuch der Zumischung von Wölbklappen, weder als Steighilfe, noch als Landespoiler zeigte sich irgend eine Wirkung. Zusammen mit der etwas teigigen QR-Reaktion liegt der Verdacht nahe, dass es an der Gestaltung der Ruderscharniere in den Flächen lag. Das waren nämlich Vliesstrips, und damit waren die Ruder spaltbehaftet - nicht so gut für zackige Wirkung...

Alles in allem war der Ultimo recht alltagstauglich. Die Flugzeiten ohne Aufwind lagen immer bei einer Viertelstunde, und er passte zusammengebaut ins Auto.

Eine Eigenschaft könnte einem aber ganz schön den Tag versauen:
Das Ding neigte im Landeanflug beim letzten (langsamen) Einkurven zum spontanen Abkippen über den inneren Flügel, und sowas nervt. Also mal nachdenken, was da los war.
Das Ergebnis:
Ursache für diese Unart war die bräsige Flächenform mit dem Knick in der Nasenleiste in Verbindung mit den pseudo-aerodynamischen Randbögen. Man hätte auch Hinweisschilder für die Strömung draufkleben können: "BITTE HIER ABREISSEN!":cool:

Es galt also, die Strömung im Bereich der Außenflächen vom abreissen abzubringen. Und ein durchaus probates Mittel dafür sind Turbulatoren. Zu diesem Thema gibt es Gigabytes an Diskussionen im Web, wohin damit, wie gezackt, wie dick usw.
Ich unterstelle der Luft mal, dass es ihr ziemlich egal ist, worüber sie stolpert. Deshalb habe ich einfach da außen kurz hinter der Nasenleiste je einen Streifen Gewebeband draufgepappt. Der so entstandene Turbulator sieht so aus:

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Und was soll ich sagen: das war die Lösung! Abkippen gab's nicht mehr, und die übrigen Eigenschaften haben sich nicht erkennbar verändert. Bis auf die QR-Wirkung: die war deutlich verbessert.

Natürlich reden wir hier nicht von einem Hochleistungsflieger, die Performance war solide, aber nicht überragend. Auffallend war aber die erstaunliche Unempfindlichkeit gegen Wind, gerne auch bockig und steif! Und so wurde Ultimo zum festen Bestandteil des Kofferraum-Hangars für jedes Wetter.

Eines schönen Tages, beim 119. Flug, hab ich den Vogel dann aus ca. 100m senkrecht in den Wald gepfeffert. Selbst schuld, wie eigentlich immer; der Empfänger hatte einen Wackelkontakt, den ich zwar vorher mal bemerkt, aber dann ignoriert hatte.
Rumpf und Leitwerke waren quasi unbeschädigt, aber die Flächen...
Davon gibt's kein Foto.
 
Wiederaufbau und Nägel mit Köpfen!

Wiederaufbau und Nägel mit Köpfen!

Inzwischen, es war Anfang 2009, wurde der Ultimo als Segler für 60,- auf der Conrad-Resterampe verhökert. Guter Preis für neue Flächen! Leider war ich aber zu langsam und habe keinen mehr abbekommen.

Also lautete der Beschluss, neue Flächen selbst zu bauen. Die Spannweite unverändert, Einfachtrapez mit scharfkantigen Randbögen und 4° V-Form. Nach Auswertung der Profileigenschaften auf www.aerodesign.de fiel die Wahl auf das MH-43, das neben ordentlicher Grundgeschwindigkeit auch die nötige Gutmütigkeit versprach. Die Verwindung hab ich auf 1,2° festgelegt. Der Plan war schnell gezeichnet und sieht so aus:

Anhang anzeigen seagull.pdf
 
Bauweise

Bauweise

Die Fläche entsteht als Vollschale komplett aus Balsa. Wegen der geforderten Tauglichkeit für Scheisswetter gibt es abweichend von meinen früheren holmlosen Flügeln hier einen Holm, und die Beplankung besteht aus 1,5mm Brettchen. Bei einem maximalen Fluggewicht von einem Kilo ist das in der Luft unzerstörbar. Die Fläche entsteht in einem Stück, anderthalb Meter braucht man nicht zu teilen. Die originalen Befestigungspunkte im Rumpf werde ich zähneknirschend wieder verwenden, weil der Rumpf das nicht anders hergibt.

Alles in allem also ein ziemlich konventioneller Aufbau.
Gebaut wird auf dem ebenen Baubrett, wobei die obere Schale unten liegt.

Sehr angenehm ist die Möglichkeit, auf diese Weise eine Verwindung in die Fläche reinzukonstruieren.
Wenn man genau hinguckt, ist die Rippe 13 mit 1,2° negativem Anstellwinkel gezeichnet. An Rippe 1 und 13 gibt es auf der Profiloberseite eine Markierung, wo der Abstand zu der waagerechten Hilfslinie, die an der dicksten Stelle des Profils anfängt, 3mm beträgt. Bei Rippe 1 sind das 70mm, bei Nr. 13 25 mm von der Endleiste aus gesehen. Wenn man jetzt beim Bauen eine 3mm-Leiste genau an diesen Punkten unterlegt, hat die Fläche nachher die gewünschte Verwindung - ganz ohne Helling!

Soweit zum Konzept, jetzt geht's ans Bauen:
 
Holz ist wunderbar!

Holz ist wunderbar!

Erstmal die Beplankungsbrettchen auf die nötige Flächentiefe zusammenleimen...

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...die Rippen aufzeichnen (nach Papierschablone, siehe Plan)...

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...Rippen und Holme ausschneiden (Fräse? Bitte nein, bitte gar nicht!)...

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...und alles auf die obere Schale kleben. Den Holm mit Weissleim, die Rippen mit Zack.

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Man erkennt hier auch die Durchführungen in den Rippen für die QR-Servokabel. Die sollte man besser nicht vergessen...
 
Es wird...

Es wird...

So langsam kann man erkennen, was das wird:

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Nasen- und Endleiste sind dran, ebenso die Klötze zur Krafteinleitung der Schrauben und Dübel in den Rumpf. Der Holm hört fünf Rippen vor dem Randbogen auf, den braucht da keiner mehr. Auch die Brettchen für die Unterschale sind verleimt und geschnitten, so dass das Ganze jetzt fertig zum Beplanken der Unterseite ist:

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Kasten zu!

Kasten zu!

Die Beplankung wird mit Pattex geklebt, wie bei Opa schon üblich. Bitte unbedingt Pattex "Classic" verwenden! Das neue, Lösungsmittelfreie Zeugs ist für die Tonne, und ausserdem fehlt der typische Duft - tropft nicht, stinkt nicht, klebt nicht!
Nur der Holm wird auch hier mit Weissleim verbunden.
Die so entstandene Vollschalenfläche ist bocksteif und federleicht. Der Flächenverbinder aus 2mm Flugzeugsperrholz guckt aus der einen Hälfte raus und passt in den entsprechenden Schlitz in der anderen Hälfte:

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Und nach dem Zusammenkleben mit 5 Minuten Epoxi sieht man zum ersten Mal die ganze Fläche:

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In der Mitte kommt noch ein 20mm breiter Streifen Glasgewebe mit Epoxi drauf, und schon stimmt die Statik!
 
Randbögen und erste Anprobe

Randbögen und erste Anprobe

Die Umrisse der Randbögen sind durch die Leitwerke vorgegeben, schließlich sollen die neuen Flächen zum Ultimo-Rumpf passen. Sie bestehen aus massivem, leichten Balsa und laufen zum Ende hin scharfkantig aus. Die hinteren, richtig dünnen Ecken sind für bessere Haltbarkeit mit Zack "verhärtet".

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Jetzt noch die Querruder aus Endleisten passend hobeln, denn für das knapp 8% dünne MH-43 gab's keine passenden fertig zu kaufen. Die erste Anprobe am Rumpf lässt ahnen, dass die Proportionen mit der neuen Fläche ganz ordentlich passen werden:

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Jetzt nur noch bebügeln, und dann mal sehen, wie der fliegt!
 
Fertig, neuer Name und fliegen.

Fertig, neuer Name und fliegen.

So, fertig:

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Vom ursprünglichen Modell ist ja nun wirklich nicht mehr viel zu erkennen. Deshalb braucht er einen neuen Namen.
In Anlehnung an Richard Bachs Titelhelden, dem es ja auch nur darum ging, seine Flugkünste zu perfektionieren, heisst der Vogel jetzt JONATHAN SEAGULL (auf deutsch bekannt als "Die Möwe Jonathan").

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Die Flugerprobung zeigte dann, dass der neue Name nichtmal übertrieben ist: für den vorgesehenen Einsatzzweck dürfte aus anderthalb Metern nicht viel mehr herauszuholen sein.
Die Grundgeschwindigkeit ist reichlich flott, die Windempfindlichkeit ist sogar noch weniger geworden, und wegen der jetzt spaltfreien Ruderklappen ist die QR-Wirkung richtig zackig! Das ermöglicht wunderschöne 4-Zeiten Rollen und fürs normale Fliegen winzige QR Ausschläge.

In der kurzen Nase wohnt jetzt ein fetter 170g Innenläufer mit 1500/min/V, der mit 3S einen bescheidenen 6x3 Klappprop antreibt. Mit dem Motor und anderem Prop könnte man den auch senkrecht in die Luft schiessen, aber dieser Motor hatte in seinem Vorleben einige üble Crashs, so dass er nicht mehr voll hernehmbar ist. So ist die Steigleistung immer noch OK, und der ganze Antriebsstrang bleibt völlig kalt.

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Das Gewicht ohne Akku liegt bei 700g, und weil das MH-43 mit etwas Flächenbelastung umso besser geht, leg ich da vorne immer einen 3S2200mAh Klotz mit 200g Gewicht rein. So wiegt der Vogel 900g und funktioniert damit astrein.

Zum Motor sind die Ruder ein paar Grad positiv verwölbt, und als Landehilfe schlagen sie kräftig nach oben aus. Wenn man die über Zaun reinschaltet, kann man Jonathan Seagull ein paar Meter später mit hoher Nase und einer schönen Spornlandung aufsetzen.

Die Flugzeit liegt mit der beschriebenen Ausrüstung trotz reichlich eingestreuter Kunstflugeinlagen bei 45 Minuten! Die Gleitleistung ist gegenüber dem Serienzustand um Welten verbessert. Windstille ist nicht so seine Domäne, aber sobald es "ungemütlich" wird, ist das Ding in seinem Element. Das gilt sowohl am Hang (wie z.B bei uns im Pott auf der Halde), als auch in der Ebene, wo er ganz problemlos auch in lebendigen Bärten zu zentrieren ist.

Fazit:
Selten hat sich der Bau einer neuen Fläche so gelohnt. Inzwischen hat er 150 Cycles auf dem Buckel, und ich hab immer noch das breite Grinsen im Gesicht, wenn ich schief im Wind stehe und das kleine Ding da souverän seine Bahnen zieht. Ich kann nur jedem empfehlen, sowas mal auszuprobieren. Es macht einfach einen Mordsspass!
 
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