Wow. Was für ein Tag...
Ich sitze an meinem Arbeitsplatz (also daheim) und muss die ganze Zeit hinausgucken. Ein Hast-Du-lange-nicht-gesehen-Alpenglühen schlägt mich in seinen Bann:
Ein Glas
eiskalten Rosé in der Hand schaue ich bestimmt eine halbe Stunde durch die Fensterfront nach draussen und geniesse das beeindruckende Spektakel. Die Stirn glüht noch, die Kreuzschmerzen haben zum Glück nachgelassen. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, sondern haben zu viert 270 Jahre auf dem Buckel... Das muss man erst mal hinbekommen!
Was war geschehen?
Der ungewöhnlich warme Februar hat uns vor ein paar Tagen zu dieser Zeit nie gesehene Besucher gebracht: Cumuluswolken! Normalerweise kommen sie erst vier Wochen später aus ihrem Winterquartier in Afrika zurück. Natürlich haben wir uns sofort an ihre Euter gehängt und uns bis 987m hochgezuzelt...
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(Hyperion und Supra nach der Landung - beachte die Wolken! Im Februar hier noch nie gesehen)
Und jetzt heute:
Üblicherweise beginnt bei uns die wahnsinnige Winterwaldthermik (trockener schwarzer aufgeheizter Hangwaldgürtel zwischen gleissenden kalten Schneeflächen oberhalb und unterhalb) erst Mitte März, aber dieses Jahr war sie volle vier Wochen früher!
Deswegen haben wir beschlossen, nicht erst ab Mitte März die Stratospäre und die Mondumlaufbahn anzugreifen, sondern heute schon, dieses Wochenende. Aber ohweh ohweh: wir hatten inzwischen betonstabile Verhältnisse - 1000m über uns war es nur 3,5° kühler (für sinnvolle Thermik bräuchte es 10°...). Also nix mit Cumulus und Thermik, aber ein bisschen Herumgleiten macht ja auch Spass. Ausserdem hatte ich meine neue DG-600 nach dem Erstflug vor einer Woche noch weiter einzufliegen: HR-Trimmung für die verschiedenen Flugphasen und das ganze übliche Gesocks halt, Abfangbogen, Überziehverhalten, Failsafetrudeln-Ruderausschläge usw. - PERFEKT dafür: stabile ruhige Luft. Um 11° begannen wir das Programm, Martino war froh, etwas zu schleppen zu haben, weil sein neunjähriger Gilb einen neuen E-Antrieb mit 11kg Schub (2kg mehr als Eigengewicht) eingepflanzt bekommen hatte und nur eines wollte: Schleppen, Schleppen, Schleppen.
Die ersten Flüge waren ruhiges Abgleiten mit Absolvieren des o.g. Pflichtenheftes, beendet durch ein bisschen Abturnen. Naja, "bisschen" ist nett formuliert - die DG-600 ist auch ein akustischer Genuss! Unser Ältester verliess uns leider nach ein paar Flügen vorzeitig, nach seinem noch nicht gut verheiltem Beckenbruch hat er sich auf der unberechenbar einbrechenden Schneedecke nicht wirklich wohl gefühlt. Trotzdem "Chapeau!" für ihn - ich hoffe, dass ich mit 84 auch noch so fliegen kann!
Aber immer wieder schön ist es, wie die Segler nach der Landung auf dem Schnee in der Sonne gleissen (das ist mein persönlicher ultimativer Seelenbalsam... Bildthema: "Heimgekommen"):
Und ausgerechnet um die Mittagszeit, wenn normalerweise die Thermik beginnt, kam die weisse Pest: Cirrus-Abdeckung. Wie soll sich denn da etwas aufheizen? Der Notfallkoffer musste her: Vladimirs Supra. Mit ihr schaffte ich aber immerhin einen Mehr-als-Stünder, natürlich mit gelegentlichem elektrischem Anschubs. In 400m Höhe hässliche Windscherung, geflogen wie besoffen. Mal runter, mal rauf, aber nicht wirklich nutzbar.
Aber die weisse Pest verzog sich unerwarteterweise:
Freude herrscht! Völlig überraschend wurde es BLAU. TIEFBLAU. Wolkenlos. Der erbarmunglose himmlische Heizstrahler konnte das tun, was wir von ihm erwarteten: die Wälder grillen! Dauert natürlich ein halbes Stündchen, bis die dann nach oben abfackeln - aber dann sollte man vor Ort sein! Nichts wie weg nach oben!
Beim Schleppen haben wir uns heute zurückgehalten, höchstens 600m. Wir Segler wollten ja auch noch was zu tun haben...
hüstel... kleine Pause von 70 Minuten. Nicht ein Elektron wurde verbraten. War nämlich in beiden Seglern kein Antrieb... Wirklich anspruchsvoller Kampf in Minimalthermik. Zwischendrin in nur 40m (!) über dem Wald eingestiegen und sich mit möglichst fehlerfreien Kreisen an der Abrisskante wieder hochgearbeitet. Bernhard und ich haben etwa gleich oft geflucht, wenn wir wieder ins Loch gefallen sind. Aber war das nicht auch schön? Erkämpfte Siege gegen das unaufhaltsame Sinken?
Normalerweise ist ja Bernhard mit seinem Ventus der Obenbleiber - seine Geheimwaffe hat bei 5m Spannweite weniger als 5kg Gewicht: gegen so etwas muss man erst mal den Mut haben anzutreten... Aber das Schöne an unserer Truppe ist, dass es keinen ernsten Kampf um die Nr. 1 gibt. Heute hatte ich das Glück mit meiner halb so schweren und 1/3 kleineren DG-600 genauso lange oben zu bleiben, trotz deutlich kleinerer Reichweite hinsichtlich Höhe und Distanz. Es wurde bemerkt und goutiert. Das ist die andere schöne Seite am Modellflug hier: freundschaftliches Miteinander. Also jetzt die letzten Bilder nach der letzten Landung, etwa um 15:30! Wann hat man jemals Mitte Februar einen Thermikflug um halb Vier beendet??
Das sind die schönsten Flugtage: man denkt, dass es nicht geht, wegen Wolken oder völliger Abwesenheit irgendeiner Labilität, und dann so etwas... also hier haben wir im Winter üblicherweise einen Kaltluftsee in den Niederungen und man kann erst bei mehr als 400m an "Einstieg" denken (was mit einem 1:5-Segler schon anstrengend ist...). Aber es gibt unvorhersehbare Tage wie heute, an denen ein Südwester exakt so stark bläst, dass er den Kaltluftsee durchmischt - und trotzdem nicht die Hitzefahnen der Wälder zerstört. Ihr werdet übrigens nicht glauben, WIE kleine Wäldchen nach oben blasen. Grosse lockere Wälder kann man vergessen, ausgedehnte kompakte "schwarze" Fichtengruppen blasen wie blöd - gerade der meteorologisch gebildete "Otto Normalpilot" kann sich vermutlich nicht vorstellen, dass diese Waldhitze die Kraft hat, DERMASSEN durch die winterstabile Luft nach oben zu blasen - und vor allem wie weit!
Man muss nur lernen, in diesen zum Teil sehr engen schrägen Rohren nach oben zu turnen. Es gibt keine bessere Gelegenheit den Windversatz zu lernen. Natürlich lernen auch wir immer noch - aber Winterwaldthermik ist einfach nur:
geil!
Wer weiss was der Winter noch bringt...
Bertram