Ich war 13. und versuchte mich gerade an der Papierbespannung des liegen gebliebenen Rohbaus des Freiflugmodells meines großen Bruders. Mein Vater schaute, grübelte kurz, verschwand auf dem Dachboden und kam mit den Resten seines Uralt-Fesselfliegers wieder. Sodann schob er zwischen selbige und meine großen Augen etwas interessant blau metallisch glänzendes, ein 2 cm³ Jena Selbstzündermotor, der immer noch einen wundersamen aromatischen Geruch ins Kinderzimmer brachte. Abgesehen von meiner Geburt hat wohl kein Tag mein Leben so vorherbestimmt wie dieser.
Dieser Motor drehte bald im ersten selbst entworfenen, sicher verbesserungswürdigen aber nicht gänzlich erfolglosen Modell seine Runde an der Leine. Die Saht meines Vaters war aufgegangen: Man kann selbst etwas schaffen, verbessern, neu erschaffen!
Die gesamte (überschaubare) ostdeutsche Modellbauliteratur füllte nach und nach, so wie man ihrer habhaft werden konnte, mein Regal und wurde verschlungen, manches wieder und wieder.
Die wenigen verfügbaren Baukästen wurden umso mehr durch Eigenkonstruktionen ergänzt.
Not macht wahrlich erfinderisch!
Monatlich 150 Ostmark Lehrlingsgeld und alle meine Ersparnisse wurden bald für die 4850,- Mark teure Drehbank Hobbymat hingeblättert. Dafür hätten man zwei solcher hübschen Simson S 50 kaufen können, mit denen die Klassenkameraden ums Wohngebiet knatterten. Aber es musste halt unbedingt der zu schwache 1,5 ccm Moskito Glühzünder aus Glashütte frisiert werden. Was sonst, es lag ja nur der eine Typ im Schaufenster. Kolben ausdrehen, neuer Kopf, Kanäle, Verdichtung, Vergaserquerschnitt, Auswuchtung anpassen und das erste selbst gerechnete, gebaute und abgestimmte Resorohr. Mit ausreichend Kühlflächen hielt das endlich auch mit Weichlöten. Am Ende drehte der 1.5er Moskito die 7x4“ 14000 U/min - wohl einmalig in der Zone. Den bisherigen ironischen Kommentaren zu meinem Wiesenschleicher folgten auf einmal ernstere Worte: „Was alles hast du an dem Motor gemacht?“
In den Jahrzehnten kamen viele solche Geschichten dazu. Je nachdem welches Problem zu lösen war, kniete ich mich in Werkstofftechnik, Aerodynamik, Elektronik, HF-Technik uam. Zuletzt frisierte ich einen E-Antrieb in kW-Bereich. Einige meiner Ergebnisse habe ich publiziert, einerseits um sie der Gemeinheit zugänglich zu machen, andererseits aber auch, um in der nächsten Generation Interesse zu wecken und Mut zu machen zum Tüfteln, um neue, eigene Wege zu suchen. Um Probleme zu lösen und etwas zu erschaffen was es noch nicht gibt.
Es stimmt doch traurig zu sehen, wie junge Menschen ihr Potential verkümmern lassen, indem sie Schaumwaffeln konsumieren und im Schadenfall nicht einmal über eine Reparatur nachdenken.
Nicht dass es die Tüftler nicht gäbe, aber sie sind die absolute Minderheit geworden. Und das in einem Hobby das wie kein anderes prädestiniert ist, interdisziplinäres fachliches Denken zu generieren, sowie zugleich sich die passenden praktischen Fertigkeiten anzueignen und das noch bei vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand. Meine berufliche Entwicklung wäre ohne Modellbau so nicht möglich gewesen.
Solche und weitere Gedanken habe ich Anfang dieses Jahres unserem Wirtschafts- und Wissenschaftsminister in der Initiative zur Erhaltung des Modellfluges geschrieben, keine Mail sondern Papier. Und damit es auf dem Schreibtisch auch ins Auge fällt mit auffälligen Bildern illustriert… keine Antwort, nicht mal aus dem Vorzimmer.
Nun, es fragt sich, ob mit einer „Charme Offensive“, oder wie auch sonst eine Initiative zur Publizierung der Gemeinnützigkeit des Modellfluges genannt würde, überhaupt die richtigen Stellen erreichbar sind.
Ist es nicht ehr so, als müssten man einem schwerhörigem Blinden die Farbe erklären?
Gruß
Rene'
Nachtrag zum Thementeil „Speziell Jugendförderung“
Der „Arbeiter und Bauernstaat“ setzte auf eine polytechnische Ausbildung in den Schulen. Da gab es Werkunterricht, aber auch spezielle Arbeitsgemeinschaften z.B. für Elektronik. In den größeren Städten waren „Stationen junger Techniker“ in denen besonders der Modellbau mit Schülern - bei geringen Jahresbeiträgen aber unter Anleitung von hauptamtlichen Übungsleitern - betrieben wurde. Das waren extra Gebäude mit Werkstätten, Sozialräumen usw. Selbst das bisschen verfügbare Material wurde dahin kanalisiert. Dieser Staat war sich bewusst, dass die Kinder die Zukunft sind, er hatte nur verkannt, dass er selbst keine Zukunft hatte.