Flugvermessung bei F3F

Jojo26

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Diese kleine Beitragsreihe ist eine Fortsetzung bzw. ein Nebenzweig zu dem Thema "Entwicklung eines F3F-Profils". Klasse wäre es, wenn hier zukünftig Analysen und Erkenntnisse aus Messungen in der realen Welt zusammengetragen werden...

Inspiriert wurde ich zu diesem Projekt zum einem durch die Messungen des Anströmwinkels im Flug durch Markus („Tern“) - siehe hier - und zum anderen durch die Untersuchungen von Matthieu Scherrer „Which CL are you really flying ?“.

Matthieus Artikel ist eine hervorragende Einführung in Aspekte des Themas „Aerodynamische Flugvermessung“ bei Segel-Modellen und beschreibt sehr gut das Vorgehen zur Bestimmung des Cl-Werts während des Fluges. Da Matthieu sich die Bandbreite von Hangkunstflug bis „Easy Glider“ angeschaut hat, war mein Interesse geweckt, welche Erkenntnisse sich bei der eher speziellen F3F-Flugaufgabe ergeben würden.
Dabei ließen allerdings Markus Videoaufnahmen der Anströmwinkelmessung bereits erahnen, dass Messungen auf Grund der im wahrsten Sinne des Wortes „turbulenten Verhältnisse“ am Hang nichts ganz trivial werden würden. Dazu später mehr.

Inhalte und Ziele der Untersuchungen waren:
  • Verifikation der bei der Profilentwicklung zu Grunde gelegten Auslegungsbereiche (en: „Flight Template“ bzw. „Flight Envelope“) – siehe hier . Dazu soll sowohl die Cl-Verteilung während eines Flugs als auch die Cl-Verteilung bei unterschiedliche Windverhältnissen und/oder Hängen betrachtet werden.
  • Betrachtung der dynamischen Verhältnisse während eines Fluges zunächst in Abhängigkeit des Höhenruderausschlags, später dann unter Hinzunahme des Klappen-Ausschlags. Was lässt sich hieraus für die optimale Kombination von Höhenruder und Flap ableiten?
    Siehe dazu - hier - und die Diskussionen in den anschließenden Beiträgen

Grundlagen und Vorarbeiten

Ich möchte in diesem Abschnitt das gewählte Vorgehen und die Aufbereitung der Daten ein wenig ausführlicher beschreiben, um die Ergebnisse besser nachvollziehbar zu machen. Aber auch um Hinweise auf eventuelle Denk- und Rechenfehler zu erhalten…

Das Messflugzeug

Zum Einsatz kommt ein „Hybrid“ aus einer neu gebauten Fläche mit dem Profil JX-FXrcn und einem schon etwas älteren Rumpf, der für Europhia-Flächen gebaut wurde. Der eher dickliche Rumpf erwies sich als optimal für die Aufnahme der Messtechnik – insbesondere hatte er bereits eine Bohrung in der Rumpfspitze, die ehemals beim Bau als Drehlager diente.

Messflugzeug.png
Das eingesetzte „Messflugzeug“ kurz vor dem ersten Start

Daten:

Spannweite: 2,84m (ohne Rumpf)​
Flächeninhalt: 0,598m², Streckung: 13,5​
Gewicht: 2650g, Flächenbelastung: 45,7 g/dm²​
RE √ca (Wurzel): 153.000​
Rumpflänge: 1,46m​

Sensoren und Messdatenaufnahme

Für die Messdatenaufnahme und -Aufzeichnung wurden Komponenten von SM-Modellbau verwendet:
  • „Unilog 2“ für die Messung der Geschwindigkeit („True Air Speed“) mit Hilfe eines Prandtl-Rohrs
  • „GPS-Logger 3“ für die Messung der Beschleunigung und Aufzeichnung des Höhenruder-Servoimpulses
Beide Komponenten werden über ein Datenkabel miteinander verbunden. Die Aufzeichnung der Messwerte erfolgt dadurch für beide Komponenten gemeinsam auf dem „GPS-Logger 3“ mit einer Datenrate von 10/s.
Das Prandtl-Rohr wurde direkt in die Rumpfspitze verbaut. Die Spitze des Rohrs ist etwa 5cm vor der Rumpfspitze. Das Rohr ist in der Längsachse beweglich, so dass es bei einer zu spitzen Landung (hoffentlich) „einfahren“ kann.

Prandtl-Rohr.png
Das Prandtl-(Pivot)-Rohr wurde direkt in die Rumpfspitze verbaut

Der Beschleunigungssensor (GPS Logger 3) wurde möglichst nahe am Schwerpunkt installiert um Verfälschungen durch Drehbewegungen des Modells zu minimieren.


Eingesetzte Software zur Aufbereitung und Anlayse

Die Hauptarbeit bei der Vermessung liegt in der Aufbereitung der Roh-Messdaten und der anschließend Visualisierung, ohne die bei der vorhandenen Datenflut keine Interpretation möglich wäre.

DataExplorer

Mit dem von SM-Modellbau empfohlen „DataExplorer“ erfolgt das Auslesen der Messdaten aus der micro SD Speicherkarte des GPS Loggers und eine erste Sichtung der Daten.

DataExplorer Example.png
Erste Sichtung und Selektion der Roh-Messdaten mit dem „DataExplorer“

Der DataExplorer erlaubt dann eine komfortable Einschränkung das Betrachtungs-Zeitfenster und Selektion der erforderlichen Datenreihen aus den rund 30 verschiedenen Messwerten des Loggers. Abschließend wird das selektierte Datenmmaterial als csv-Datei gespeichert.

Excel

Die eigentliche Aufbereitung und Analyse der Daten erfolgt dann mit Excel. Die ersten Versuche mit „LibreOffice Calc“ waren nicht erfolgreich da das Programm hinsichtlich Datenvolumen, Stabilität und benötigter Funktionalität an seine Grenzen kam.
Zunächst werden in Excel die csv-Daten aus den zu untersuchenden unterschiedlichen Aufzeichnungen automatisiert eingelesen und in einer Tabelle zusammengeführt. Um die Aufzeichnungen in dem übergreifenden Datenbestand unterscheiden zu können, werden sie „getagged“. Anschließend erfolgen Konvertierungen, Korrekturen und schließlich die Berechnungen der Zielgrößen wie RE-Zahl oder cl-Wert.

Excel Example.png
In Excel erfolgt die Zusammenführung von Aufzeichnungen und die Korrektur und Konvertierung der Daten.

Für die visuelle Darstellungen und Analyse werden dann intensiv die Excel Diagrammfunktion von Normal- und Pivot-Tabellen genutzt. Während Pivot-Charts noch leicht auch mit 100.000 Datensätzen, legt Excel bei Normal-Charts doch die ein oder andere Denksekunde ein.


Aufbereitung der Messdaten

Es zeigte sich sehr schnell, dass es ohne entsprechende Aufbereitung der Roh-Messdaten schwierig sein würde, die gewünschten Analysen durchzuführen. Bereits vor den Messungen hatte ich vermutet, dass es in der Luft nicht besonders ruhig zugehen würde - aber über dieses heftige Ruckeln und Schütteln, das sich in den Messwerten widerspiegelte, war ich dann doch erstaunt. (Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb wir Modellflieger lieber am Boden stehen …)

Raw Data v az.png
Rohdaten von Geschwindigkeit v und Beschleunigung in z-Richtung in einem Zeitraum von 10s (entsprechend 100 Messwerte)

Die Messwerte von Geschwindigkeit und Beschleunigung stellen letztendlich die Summe dar aus
  1. der idealisierten Flugzeugbewegung (in ruhender Luft),
  2. dem „Rauschen“ des Messwertaufnehmer,
  3. der Turbulenz der angeströmten Luft
  4. und den typischen Windböen am Hang.
Der Ansatzbei der Aufbereitung der Daten war, zumindest das Rauschen (2.) und Teile der Turbulenz (3.) aus den Messdaten von Geschwindigkeit und Beschleunigung herauszufiltern, um Zusammenhänge besser - bzw. erst - sichtbar machen zu können.
Dazu wurde zunächst ein Medianfilter zum Filtern der spitzen „Zacken“ (Zackenbreite bis 0,2s) und anschließend ein Binominal-Filter (gleitender gewichteter Durchschnitt) zum Glätten der Kurve angewandt.

Bei einer genaueren zeitlichen Betrachtung von Geschwindigkeit und Beschleunigung zeigte sich beim Auftreffen von Böen (das sind die „Hubbel“ länger als 0,5 Sekunden), dass die Beschleunigung der Geschwindigkeit vorauseilt. Das konnte nicht sein!
Auch mit freundlicher Unterstützung von Herrn Merz (SM-Modellbau) wurde die Reaktionszeit des Drucksensors und die Kompression im Verbindungsschlauch zwischen Prandtl-Rohr und Sensor als Ursache eingekreist. Im Abgleich mit den Beschleunigungsdaten wurden daher die Geschwindigkeitsmesswerte um 300ms in die Vergangenheit verschoben.

Nach den beschriebenen Daten-Aufbereitungen sehen die Kurven so aus:

Smoothed data v az.png
Die Messwerte von Geschwindigkeit und Beschleunigung nach Filterung, Glättung und Zeitverschiebung


Beschleunigungsvektor

Der GPS Logger zeichnet die Beschleunigungen in x, y, und z-Richtung auf. Ist der Sensor im Modell entsprechend montiert, (entspricht dies der Längs-, Quer- und Hochachse des Modells. Das heißt, dass sich bei einer horizontalen Ausrichtung des Modells und horizontaler Anströmung (dabei Anstellwinkel = 0,8° - entspricht dem Einstellwinkel) die Beschleunigungsmesswerte folgende Werte haben:

ax = 0, ay = 0, az = 1 (ist gleich der Erdbeschleunigung g)​

Während die y-Beschleunigung bei den Messungen praktisch konstant = 0 ist, zeigt sich in X-Richtung eine schwache Korrelation zu der prägenden Beschleunigung in z-Richtung. Die Ursachen hierfür liegt nach meiner Interpretation in Lageänderungen (um die Querachse) und/oder schräg auftreffende Anströmung (Hang) sind. Theoretisch müssten in der x-Beschleunigung auch „Absteller“ (starkes Abbremsen) des Modells sichtbar werden, aber diese konnte ich unter den anderen Effekten noch nicht herausfiltern.

ax ay az.png
Betrachtung der Beschleunigungen in den Koordinatenrichtungen

Da die Werte der X-Beschleunigung recht klein sind, habe ich für die weiteren Berechnungen zunächst nur die Beschleunigung in z-Richtung verwendet.


Ermittlung des Auftriebsbeiwerts

Den Ca-Wertdes Modells (englisch: Cl) erhält man aus den Werten von Geschwindigkeit und Beschleunigung durch Auflösung der Verhältnisgleichung

F / az = F1 mit

F – aktueller Auftrieb​
az – aktuelles Vielfaches der Erdbeschleunigung g in Auftriebsrichtung​
F1 – Auftrieb bei cl = 1 im unbeschleunigten Flug​

zu: Cl = az * v1² / v² mit

v1 – Geschwindigkeit bei cl = 1 und unbeschleunigtem Flug​
v – aktuelle Geschwindigkeit​

Die Geschwindigkeit v1 ergibt sich direkt aus der Flächenbelastung von 45,7 g/dm² zu 8,36 m/s.
Damit erhält man schließlich eine einfache Umrechnung für die Daten-Auswertung:

Cl = 8,36 * az / v‘² (mit v‘ als dimensionslosem Vielfachen von 1 m/s)


Ab an den Hang…!

Nun aber genug der Theorie und der Beschreibung der Aufbereitung der Daten. Jetzt geht es in die Luft.

Mit ersten Messflügen soll zunächst die Plausibilität der Messdaten überprüft werden. Insbesondere aber soll geschaut werden, welche Informationen und Erkenntnisse sich grundsätzlich aus den Daten ziehen lassen, welche zusätzlichen Betrachtungswinkel noch hilfreich wären.

(weiter geht's im nächsten Beitrag)

Jochen
 

Jojo26

User
Erste exemplarische Messflüge und Auswertungen – Teil 1

Mit ersten Messflügen soll zunächst die Plausibilität der Messdaten überprüft werden. Insbesondere aber soll betrachtet werden, welche Informationen und Erkenntnisse sich grundsätzlich aus den Daten ziehen lassen, welche zusätzlichen Betrachtungswinkel noch hilfreich wären…

Aufgezeichnet und ausgewertet wurden insgesamt 7 Flüge an zwei Tagen
  • Westwind, 2-3 Beaufort, 2 Flüge
  • Westwind, 3-5 Beaufort, böig, 5 Flüge
Dabei wurde meist gemütlich am Hang herumgekurvt mit eingeschobenen, einfachen „F3F-Abschnitten“. Drei dieser F3F-Abschnitte wurden selektiert, als eigene Aufzeichnung abgespeichert und in den Daten dann als „F3F“ getaggt.

Die Flüge wurden ohne Snap-Flap und einem Klappenwinkel von +1,5° gemacht.

Diese erste Auswertung teilt sich auf in eine statistische Auswertung, bei der eine summarische Betrachtung der Daten erfolgt – und eine dynamische Auswertung der Messgrößen entlang der Zeitachse.


Statistische Auswertung

Prozentale Geschwindigkeitsverteilung – 2-3 / 3-5 Beaufort

Distribution v.png
Bei leichten Hangwinden bewegte man sich nur in einem schmalen Geschwindigkeitskorridor. Mit zunehmenden Wind wird die Bandbreite größer.


Prozentale Geschwindigkeitsverteilung – 3-5 Beaufort - insgesamt vs. nur F3F

Distribution v F3F.png
Während insgesamt eher langsam herumgeflogen wurde, wird in den F3F-Abschnitten das Geschwindigkeitsspektrum deutlich schmäler – aber immer noch recht breit (dazu später mehr…)


Prozentale Verteilung der vertikalen Beschleunigung – 3-5 Beaufort - insgesamt vs. nur F3F

Distribution az F3F.png
Bei „normalen“ Fliegen ist man die meiste Zeit mit 1g unterwegs. Bei F3F kommt mehr Beschleunigungsdynamik durch Wenden ins Spiel.


Frei nach Matthieu: „Which CL are you really flying?“ – Prozentuale Verteilung Cl

Distribution cl F3F.png
Während man sich bei 3-5 Beaufort bei „normalen“ Fliegen typischerweise zwischen Cl = 0,1 – 0,55 bewegt, verschiebt sich bei F3F der Cl-Wert nach unten und wird schmalbandiger. Am „Hubbel“ bei Cl = 0,4 erkennt man den geflogenen Wenden-Cl. Bei 2-3 Beaufort braucht es höhere Cl-Werte um „oben zu bleiben“.


Statistische Verteilung von cl und Re-Zahl (Flächenwurzel)

Distribution Re Cl.png
Cl-Wert und Re-Zahl (an der Flächenwurzel) aller Datenpunkte aller Flüge. Als blaue Linie darübergelegt ist die errechnete Kurve von Re*sqrt(cl) = 150000.

Distribution Re Cl filtered.png
Die gleiche Darstellung wie zuvor – allerdings sind nun nur die Datenpunkte dargestellt, deren Beschleunigungswert az zwischen 0,8 und 1,2 liegt = gleichmäßiges Fliegen ohne scharfe Kurven oder Loopings. Die Darstellung ist fast schon ein „Taschenspielertrick“, da auf Grund der Berechnung von Re-Zahl und Cl diese Kurve herauskommen muss. Hilfreich ist sie in meinen Augen trotzdem, um die Daten zu verifizieren, Zusammenhänge deutlich zu machen und die Type 2 Polare einmal „live“ zu sehen...

Distribution Re Cl F3F.png
Die Datenpunkte Cl und Re-Zahl nur der im F3F-Stil geflogenen Aufzeichnungsabschnitte. Wünschenswerterweise bewegt man sich hier auf einer horizontalen Linie (= konstante Geschwindigkeit). Die breite Streuung nach oben und unten ist dem Piloten geschuldet…


Die gezeigten Darstellungen einer statistischen Analyse sollten vor allem einen ersten Eindruck verschaffen, welche Blickwinkel auf die Daten möglich sind. Sicherlich gibt es noch zahlreiche weitere Aufbereitungen der Messwerte. Daher gerne Feedback und weitere Ideen!

Mein Fazit:
Die summarische Darstellung kann hilfreich sein, für eine grundsätzliche Auslegung. Interessant wäre eine weitergehende Betrachtung mit unterschiedlichen Ballastierungen und Klappenwinkeln…

Im nächsten Teil geht es dann um die Betrachtung der dynamischen Zusammenhänge während eines F3F-Flugs.

Jochen
 

Tunc Uzun

Vereinsmitglied
Hallo Jochen,

erst einmal vielen Dank das Du deine Messungen und Auswertungen mit uns Allen teilst! 👏 👍 👊

Hab zuerst einmal alles überflogen und das ist schon mal eine schöne Ansammlung von Daten.

Ich eile vor....
Die Flüge wurden ohne Snap-Flap und einem Klappenwinkel von +1,5° gemacht.

Kommen veilleicht bald auch noch Snap-Flap-Messdaten hinzu?! 😉

Aber weiter so. 👌
 

Jojo26

User
Korrektur im ersten Beitrag: Die Formel für die Berechnung des Auftriebsbeiwerts des eingesetzten Modells ist Cl = 8,36² * az / v‘²

Erste exemplarische Messflüge und Auswertungen – Teil 2

Während in Teil 1 die Messwerte summarisch bzw. statistisch betrachtet wurden, soll es nun um eine Auswertung der Messdaten entlang der Zeitachse gehen. Als Grundlage werden nur noch die Flugabschnitte genommen, in denen im leichten F3F-Stil bei 3-5 Beaufort geflogen wurde.

(Um mich nachfolgend leichter von den doch ernüchternden Messergebnissen distanzieren zu können, möchte ich fortan von „dem Piloten“ sprechen, der diese Daten erzeugt hat 😉)


Dynamische Auswertung

Cl (dt=150s).png

Der Verlauf von Cl über einen Zeitraum von 150 Sekunden. Die Wenden werden typischerweise mit Cl = 0,4 geflogen – mit Spitzen bis knapp unter Cl = 0,6


Cl v (dt=150s).png
… zusätzlich noch der Verlauf der Geschwindigkeit eingeblendet. Im Durchschnitt wurde mit ca. 24 m/s geflogen. Bei Sekunde 20 augenscheinlich ein starker Geschwindigkeitseinbruch – Absteller in der Wende? Der hohe Cl-Wert kurz davor, gibt einen Hinweis. An dieser Stelle wird nun hinein gezoomt…


Cl Elevator (dt=40s).png
Der Absteller im Detail. Neben Cl ist der aktuelle Höhenruderausschlag dargestellt. Der Pilot hat offensichtlich zu viel Höhe gegeben – knapp 10° Ruderauschlag, was dann zu diesem Cl-Peek führt...
In der Darstellung ist auch gut zu erkennen, wie „eng“ der Cl-Wert dem Höhenruderausschlag folgt. Die zeitliche Verzögerung zwischen Höhenruderausschlag und Auftriebserhöhung bewegt sich zwischen 0,2 und 0,4s.
Auch wird deutlich, dass ein Großteil der vermeintlichen „Böen“ ihren Ursprung im hektischen Rudern des Piloten haben...


An dieser Stelle ein kleiner Zwischeneinschub, um eine erste Brücke zur „Theorie“ zu schlagen.

Was könnte die Ursache sein für diesen „Absteller“ bei Cl=0,6?
Ein Blick auf die Type 1 Polare der Tragfläche gibt dazu Hinweise. Der Widerstand wächst über Cl=0,4 stark an. Bereits bei Cl=0,6 hat er das 2,5-fache des Ausgangswertes erreicht. Ein deutliches Indiz, dass mit dem eingesetzten Profil bei steigenden Auftriebswerten ohne Klappeneinsatz „kein Blumentopf zu gewinnen ist“.

Cd (Cl).png
Type 1 Polare der Tragfläche für 24m/s: Der Widerstand wächst über Cl = 0.4 sehr stark an. Für die Widerstandserhöhung ist bei steigenden Cl-Werten zunehmend auch der induzierte Widerstand verantwortlich. Sein Anteil am Gesamtwiderstand der Fläche erhöht sich von 10% bei Cl=0,17 auf knapp 50% bei Cl=0,6

… nun aber wieder zurück zu den Auswertungen mit der Betrachtung eines weiteren Zeitausschnitts:

v Elevator (dt=16s).png
Ein weiterer Zeitausschnitt bei dem die barometrische Höhe hinzugenommen wurde. Der Höhenmesswert wurde allerdings für die Darstellung noch nicht geglättet und zeitlich „kalibriert“. Man kann trotzdem bereits gut erkennen, dass der Geschwindigkeitsgewinn durch 8m Höhenverlust (linke Skala) „erkauft“ wurde. Der Pilot versucht mit mäßiger Effizienz der Situation Herr zu werden …


An dieser Stelle möchte ich mit dieser ersten exemplarischen Analyse abschließen. Entlang der Zeitachse ließen sich bei dieser „dynamischen Auswertung“ noch zahlreiche interessante Situationen herausgreifen, die aber vor allem das Wirken (besser Werkeln) des „Piloten“ dokumentieren würden als neue Erkenntnisse der Zusammenhänge.

Recht sicher bin ich mir inzwischen, dass mit den eingesetzten Sensoren, in Verbindung mit einer relativ hohen zeitlichen Auflösung und einer anschließenden Aufbereitung der Messdaten ein hohes Potential für weitere Erkenntnisse und damit vielleicht auch Optimierungen besteht.

Das Problem, um hier weiter zu kommen, sind dabei meine begrenzen fliegerischen Fähigkeiten, die gerade ausreichend sind einen F3F-Kurs einigermaßen abzufliegen. Aber wenig geeignet sind, hinreichend reproduzierbare Flugsituation, insbesondere Wenden, aufzuzeichnen. Das wäre aber notwendig, wenn es dann ans „Eingemachte“ geht, wie beispielsweise das Zusammenspiel von Höhenruder und Snap-Flap (das ich in dieser ersten Runde nicht aufgezeichnet habe).

Ich komme daher allein leider nicht viel weiter.

Mein Gedanke ist, ob nicht ein routinierter F3F-Pilot für weitere Messungen mit einsteigen könnte, um dann realistischere Messreihen zu erfliegen. Bei guten Bedingungen müsste bereits eine Flugsession genügend Material für spannende und aufschlussreiche Auswertungen liefern können.

Deshalb an dieser Stelle ein herzliches „Call for F3F-Pilot“ 😉
Der „Messflieger“ ist bereit und wartet auf Kurs zu gehen!

Gerne können wir die Flüge anonym machen – mir ist allerdings wichtig, die Daten und Analysen im Anschluss auch öffentlich zu machen, damit alle profitieren können. Ich würd’s klasse finden, wenn wir gemeinsam ein Stück „g’scheiter“ werden und die Entwicklung F3F vielleicht vorantreiben…

In diesem Sinn – herzliche Grüße

Jochen

(PS: Gegen Ende September 2020 bin ich in der Gegend von Hanstholm. Vielleicht könnte da schon etwas klappen? Der gleichmäßige Meerwind wäre ideal für Messungen…)
 

mipme_kampfkoloss

Vereinsmitglied
Teammitglied
Tolle Daten hast du da gesammelt! Und danke für die ausführliche Bereitstellung. Das sieht man selten!

Was mir gerade eingeschossen ist - und was man recht leicht mit den bereits bestehenden Daten machen könnte:
Analysiere mal einen vollen F3F Zyklus (also 4 Wenden? bin nicht ganz Regel-Sattel-fest) mit Cl und v.
Daraus sollte man ja das tatsächliche Cd herausrechen können und dann sehen wie groß der Anteil am Flügel, HLW und rest hat.

Dann könnte man vielleicht schon mal erkennen ob und in welchem Bereich eine Cd Reduktion Sinn machen könnte.
Also fliegt man zB. 50% der Zeit bei Cl = 0,1 und der Flügel macht 20% des Gesamt-CD aus, dann würde dort eine Reduktion um 5% xy ergeben.
Betrachtet man zB Cl = 0,5 und fliegt den zu 20% und der Flügel macht 45% des Gesamt-CD aus, dann würde eine Reduktion um 5% zv ergeben.

Sowas müsste dabei schon kalkulierbar sein, oder?

Viel Spaß auf jeden Fall bei den Flügen und Auswertung!
 

Jojo26

User
Hallo Tunc,
... danke für die Anerkennung! Ja, leider sind noch keine Auswertungen über den Einsatz von Snap-Flap dabei. Aber ich denke, dass das erst wirklich Sinn macht, wenn man einigermaßen reproduzierbar einmal mit und einmal ohne fliegen kann. Und eigentlich wird es dann erst richtig spannend, wenn man sich unterschiedliche Kopplungen zwischen Höhe und Flap anschaut... Aber ich hoffe, das kommt noch!

Hallo Kjell,
... gerne!
So richtig verstehe ich Deine Überlegungen noch nicht. Wie könnte ein aktueller Cd aus den Daten ermittelt werden?
Bezüglich einer Optimierung der Gesamtauslegung eines Modells können nach meinen Verständnis die statistischen Auswertungen eine gute Unterstützung sein. In welchen Cl-v Bereichen bewegt man sich in der Breite der geplanten Einsatzbedingungen - für welchen Bereichen (flight enevlope) will man optimieren?

Viele Grüße
Jochen
 

mipme_kampfkoloss

Vereinsmitglied
Teammitglied
Hi Jochen,

hab jetzt eine Weile in meinem Geiste und Büchern kramen müssen, aber eigentlich ist es recht einfach über die Sinkgeschwindigkeit:

  1. Vs = V/GL (Fluggeschwindigkeit / Gleitzahl)
  2. GL = V/Vs
  3. Cl / Cd (ges.) = V/Vs
==>
Cd (ges.) = Cl/V * Vs

Dann würde ich noch den Widerstand aufteilen in die Komponenten die wir kennen:
  1. Cd(ges.) = Cd(prof.) + Cdi + Cd(rest.)
  2. Cd(ges.) = Cd(prof.) + Cl^2 / (Pi * b/t) + Cd(rest.)
wobei b = Spannweite und t = MAC ist.

Ich würde mir mal die 2/3 Bestandteile des Widerstands für die einzelnen Flugphasen ausrechnen und dann eben untersuchen, wo noch Quick-Wins zu holen wären...
 

Jojo26

User
Hallo Kjell,
... sorry! - leider kann ich Dir (noch) nicht folgen. Die "Sinkgeschwindigkeit" ist ja am Hang gleich 0 (der Hangaufwind führt dazu permanent Energie zu). Man könnte ein theoretische Sinkgeschwindigkeit aus den errechneten Flugzeugpolaren ermitteln... aber was würde das bringen?

Hallo Peter.
... danke! Ich schicke Dir eine PN...

--
Im kommenden Beitrag möchte ich mich dann ein wenig mit Flugmechanik, Zeiten und der Brücke zu den Messwerten beschäftigen.

Viele Grüße

Jochen
 

UweH

User
Die "Sinkgeschwindigkeit" ist ja am Hang gleich 0 (der Hangaufwind führt dazu permanent Energie zu). Man könnte ein theoretische Sinkgeschwindigkeit aus den errechneten Flugzeugpolaren ermitteln... aber was würde das bringen?

Hallo Jochen,

Vorsicht mit der Aussage die Sinkgeschwindigkeit wäre am Hang gleich Null, das ist sie natürlich nur im Bezug auf das Bodensystem.
Wenn man immer auf Augenhöhe fliegt ist die Sinkgeschwindigkeit immer genauso groß wie das Steigen des Hangsaufwinds.
Wenn man bei einer Flugzeugpolare eine bestimmte Sinkgeschwindigkeit anschaut kann man zum Beispiel ablesen wie schnell der Flieger theoretisch bei einem Hangaufwind fliegt der dieser Sinkgeschwindigkeit entspricht. Das lässt bei der Betrachtung von Flugzeugpolaren einige Rückschlüsse zu.

Interessante Sachen machst Du hier, leider hab ich im Moment zu wenig Zeit mich näher damit zu beschäftigen, aber das hole ich sicher nach ;)

Gruß,

Uwe.
 

UweH

User
Genauso hatte ich es eigentlich gemeint

Da bin ich mir sicher, aber nicht jeder der hier mit liest hat die Verquerung verstanden, nicht dass noch jemand glaubt dass der Segler nicht sinkt, nur weil er steigt :D

Gruß,

Uwe.
 

mipme_kampfkoloss

Vereinsmitglied
Teammitglied
Hmm, Mist! - das ist natürlich wieder eine unbekannte dann...
Ich werde mal weiter kramen. Also wir haben nur Cl und Fluggeschwindigkeit (und Gewicht, Fläche...)?
 
Hallo Jochen,

diese Art von Auswertung kommt mir sehr bekannt vor. Zwei kleine Hinweise:

Anhang anzeigen 11817900
… zusätzlich noch der Verlauf der Geschwindigkeit eingeblendet. Im Durchschnitt wurde mit ca. 24 m/s geflogen. Bei Sekunde 20 augenscheinlich ein starker Geschwindigkeitseinbruch – Absteller in der Wende? Der hohe Cl-Wert kurz davor, gibt einen Hinweis. An dieser Stelle wird nun hinein gezoomt…

Wenn Du solche Details auswertest, solltest Du vorher prüfen, in welcher Lage die Drucksensoren im Modell eingebaut sind - vor allem die für den statischen- und dynamischen Druck zur Bestimmung der Geschwindigkeit. Die Drucksensoren sind nämlich auch hervorragende Beschleunigungsmesser. Ein Freund von mir hatte damals mittels einer Drehbank konstante Vielfache der Erdbeschleunigung vorgegeben und der Einfluss war signifikant. Kurz gesagt: bau den Kram so ein, dass die Drucksensoren 90° zur Auftriebsrichtung liegen.


Was könnte die Ursache sein für diesen „Absteller“ bei Cl=0,6?
Ein Blick auf die Type 1 Polare der Tragfläche gibt dazu Hinweise. Der Widerstand wächst über Cl=0,4 stark an. Bereits bei Cl=0,6 hat er das 2,5-fache des Ausgangswertes erreicht. Ein deutliches Indiz, dass mit dem eingesetzten Profil bei steigenden Auftriebswerten ohne Klappeneinsatz „kein Blumentopf zu gewinnen ist“.

Anhang anzeigen 11817897
Type 1 Polare der Tragfläche für 24m/s: Der Widerstand wächst über Cl = 0.4 sehr stark an. Für die Widerstandserhöhung ist bei steigenden Cl-Werten zunehmend auch der induzierte Widerstand verantwortlich. Sein Anteil am Gesamtwiderstand der Fläche erhöht sich von 10% bei Cl=0,17 auf knapp 50% bei Cl=0,6

Alles richtig so weit, aber warum betrachtest Du nicht die Gütezahl (cl/cd) über dem Auftriebsbeiwert für verschiedene Klappenwinkel?

Viele Grüße und viel Spaß in Hanstholm,
Benjamin
 
Bei den Überlegungen und Berechnungen zur Auswertung und Einordnung muss man klar unterscheiden, ob der Fall des stationären Gleitflugs wirklich vorliegt oder nicht.
Viele Aussagen und Formeln gelten nur für den stationären Gleitflug!

Gerade bei der F3F-Flugaufgabe ist der stationäre Gleitflug (auch auf der Strecke) kein besonders häufiger/typischer Flugzustand, sondern eher der Ausnahmeflugzustand.

@Jojo26 aka Jochen: Klasse Versuchsreihe!!! Bin auf die Fortsetzungen sehr gespannt!
 

Jojo26

User
Kleine Korrektur: Das bisher verwendete Formelzeichen für die Größe der Beschleunigung sollte nicht „a“ sondern richtigerweise „n“ (Vielfaches der Erdbeschleunigung) sein. „nz“ ist gleich dem bekannten Lastvielfachen eines Flugzeugs und wird daher fortan abgekürzt mit „n“ verwendet.

4. Von Messdaten zu Flugzeiten

Wie hängen die bisher erzeugten und andiskutierten Messdaten nun eigentlich mit der bei F3F alles entscheidenden Flugzeit zusammen? Welche Rückschlüsse lassen sich aus den im „lockeren Hin- und Her-Flug“ gewonnenen Daten auf mögliche F3F-Zeiten ziehen?

Mit einfachen Modellrechnungen soll nun eine solche Rückwärtsrechnung durchgeführt werden. Die aufgezeigten Ergebnisse dürfen daher nur qualitativ gesehen werden. Das heißt es sollen Trends und Abhängigkeiten zwischen den Größen aufgezeigt werden. Für genauere Berechnungen wären noch deutlich mehr Effekte in den Berechnungen zu berücksichtigen.

Die wichtigsten, für die Modellrechnungen getroffenen Annahmen sind
  • Die Flugbahn liegt auf einer horizontalen Ebene
  • Die Geschwindigkeit ist während des Flugs konstant

Die F3F-Flugstrecke

Für eine spätere Ermittlung der Flugzeiten benötigen wir eine Abschätzung, welche Strecke das Flugzeug während eines F3F-Flugs zurücklegen muss. Dazu wird eine stark vereinfachte Idealisierung genommen, die eher an den Gleisplan einer Modelleisenbahn erinnert als an die dynamische 3D-Flugbahn eines F3F-Flugzeugs.

Für die Abbildung der Wenden wird ein Halbkreis mit Radius r angenommen. Die Baselines A & B werden mit einem „Sicherheits-Offset“ o überflogen

F3F Distance.png
Ermittlung der F3F-Flugstrecke anhand eines einfachen Modells. Die Gesamtstrecke erhält man aus der Summation der geflogenen Teilstrecken

Die Gesamtstrecke ergibt sich auf dieser Basis zu

S = 1000m – 18*(r-o) + 9 *(π*r)​

(ein kleiner Gegencheck: Wird Radius und Offset = 0 gesetzt, ist die Wegstrecke genau 1000m)

Es ist offensichtlich: Ein größerer Radius bei der Wende, ein größerer „Sicherheits-Offset“ um die Baseline sicher zu überfliegen, erhöht die Wegstrecke deutlich.

Die F3F-Streckenformel als Grafik dargestellt:

F3F Distance (v,o).png
Die geflogene Wegstrecke bei einem F3F-Flug in Abhängigkeit des Radius der Wende und einem Sicherheits-Offset an der Baseline.

Für die weiteren Berechnung wird ein konstanter Offset von o = 5m eingesetzt. Gute F3F-Piloten liegen sicherlich noch darunter … (bei mir müssten wohl eher 10m anzusetzen sein)

Bleibt nun noch die Frage, welcher Radius in die Streckenformel eingesetzt werden soll. Hier kommen nun die Messwerte wieder zum Zug.


Lastvielfaches und Radius der Wende

Aus den Messwerten für Geschwindigkeit und der Beschleunigung in z-Richtung, ausgedrückt als Lastvielfaches, kann unmittelbar der zugehörige Kurvenradius ermittelt werden:

r = v² / (g * √(n² -1)) mit​

v – aktuelle Geschwindigkeit​
g – Erdbeschleunigung​
n – aktuelles Lastvielfaches​

(Eine Herleitung dieser Formel findet man unter anderem hier)

Grafisch dargestellt ergibt diese Formel folgendes Diagramm

Turn radius (v,n).png
Der in einer F3F-Wende geflogene Kurvenradius in Abhängigkeit der Fluggeschwindigkeit und dem erreichten Lastvielfachen. Bei einer Geschwindigkeit von 25m/s und einem Lastvielfachen von 4 ergibt sich der Kurvenradius zu 16,5m


F3F Flugzeit auf Basis der Messgrößen

Die Radius-Formel einer Wende kann nun in die F3F-Strecken-Formel eingesetzt werden. Damit ergibt sich schließlich die Flugzeit sehr einfach zu

T = S / v wobei​

S – geflogene Strecke [m]​
v - geflogene (Durchschnitts)Geschwindigkeit​

Da die Gesamtformel nun doch etwas unübersichtlich geworden ist, lassen sich die Zusammenhänge besser grafisch darstellen:

F3F flight time (v,n,).png
Der F3F-Flugzeit in Abhängigkeit der geflogenen Geschwindigkeit und des „gesteuerten“ Lastvielfachen. Für die Wegstrecke wurde ein Sicherheit-Offset von 5m angesetzt. Beispiel: Bei einer Geschwindigkeit von 25m/s und einem Lastvielfachen von 4 würde eine 50er – Zeit herauskommen.

Aus dem Diagramm ist offensichtlich, dass für eine kurze Flugzeit eine hohe Geschwindigkeit (… wer hätte es das gedacht!) und ein hohes Lastvielfaches, also eine „knackige“ Wende, notwendig ist. Eigentlich ganz einfach – wenn da nicht die verflixte Aerodynamik wieder ins Spiel kommen würde …


An der Cl – Grenze

Bei der ersten dynamischen Auswertung der Messdaten wurde bereits an einem Beispiel erläutert, was passiert, wenn eine Wende mit zu hoher Beschleunigung (= zu engem Radius) geflogen wird: Der dazu notwendige hohe Cl-Wert lässt den Widerstand überproportional anwachsen, wodurch das Flugzeug stark abgebremst wird.

Es gilt also den Punkt zu finden bzw. zu erreichen, bei dem man einen möglichst hohen Auftriebsgewinn bei möglichst geringen, akzeptablen Widerstandszuwachs hat.

Damit sind wir mitten in einem wichtigen Aspekt der Profiloptimierung und des Einsatz von Klappen (Snap-Flap), wie er unter anderem auch hier intensiv diskutiert wurde.

Für die folgende, vereinfachende Betrachtung soll angenommen werden, dass der optimale Cl unabhängig von der Geschwindigkeit ist. Als Wert nehmen wir dann bei dem eingesetzten Messflugzeug ohne Unterstützung durch Klappen einen konservativen Wert von Clmax = 0,5 an.

Aus der zu Beginn eingeführten Verhältnisgleichung ergibt sich das optimale (maximale) Lastvielfache zu

nmax = Fmax / F mit​

Fmax – Auftrieb bei maximalen Cl​
F – Auftrieb bei stationärem Flug​

Den Auftrieb F aufgelöst und gekürzt ergibt dann den einfachen Zusammenhang

nmax = Clmax / Cl mit​

Clmax – optimaler, maximaler Auftrieb​
Cl – aktuell geflogener, „stationärer“ Cl​

Ersetzen wir Cl noch durch die Formel auf Basis unser Messgeschwindigkeit erhält man schließlich

nmax = Clmax * v² * 1/FB * ρ/2g mit​

v – aktuell geflogener, stationärer Geschwindigkeit​
FB – Flächenbelastung​
ρ – Luftdichte​
g – Erdbeschleunigung​

Das maximale Lastvielfache erreichen wird also mit einer möglichst hohen Geschwindigkeit „auf der „Strecke“ und einer geringen Flächenbelastung (dummerweise ist wiederum v² direkt proportional der Flächenbelastung FB … 😉).

Für unser Messflugzeug mit einer Flächenbelastung von 4,35kg/m² und einem Clmax = 0,5 ergibt sich damit das folgende Bild

F3F flight time (v,n,) limited.png
Das maximale (bzw. optimale) Lastvielfache in der Wende grenzt die möglichen Flugzeiten ein. Auf der anderen Seite ist bei Geschwindigkeiten über 40m/s durch noch „härtere“ Wenden im Sub30s–Bereich noch etwas rauszuholen. Das eingesetzte Messflugzeug mit den Eigenbau-Tragflächen würde es bei diesen Beschleunigungen wohl schon „zerbröseln“ …


So weit dieser Ausflug in Formeln und Diagramme…

Mit diesem Beitrag sollten auf Basis einfacher Modellrechnungen grundlegende Zusammenhänge zwischen den erzeugten Messwerten, der Aerodynamik und der Flugmechanik aufgezeigt werden.

Spannend wird es dann aber vor allem, wenn „richtige Messwerte“ vorliegen – und Rückschlüsse dann bezüglich Optimierungen gezogen werden können.

Jochen
 

Jojo26

User
Erste exemplarische Messflüge und Auswertungen – 3. Teil

Die Tage in Hanstholm neigen sich dem Ende zu. Mit dem Messflugzeug, inzwischen habe ich es „Dickerle“ getauft, konnten in den letzten Tagen einige weitere Flüge gemacht werden. Sehr nett und auch lehrreich waren meine Stunden am Hang zusammen mit Frank, der für einen F3F-Wettbewerb kommende Woche in Hanstholm trainierte. Bei Franks Trainingsflügen wusste ich oft nicht, wer jetzt zuerst im Boden versinken sollte: Das Dickerle oder der Pilot (ich)? Am besten wohl Beide! Dank Franks Hilfe bin ich zumindest im Setup ein gutes Stück weitergekommen. Danke Frank und viel Erfolg beim Race!


Aus den verschiedenen Messflügen rund um Hanstholm möchte ich 2 Aufzeichnungen herausgreifen und die, zumindest für mich, neuen Erkenntnisse beschreiben. Beide Messflüge wurden am gleichen Hang gemacht:
  1. zügiges F3F-ähnliches Fliegen bei 3-4 Beaufort
  2. schnelleres F3F-ähnliches Fliegen bei 5-6 Beaufort (in Böen 7). Das Flugzeug wurde von 2,7kg auf 3,3kg aufballastiert
(„F3F-ähnlich“ ist dem Piloten geschuldet)

Bei den Auswertungen möchte ich mich auf eine statistische Auswertung der Flugdaten beschränken. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass für eine dynamische Auswertung der Messdaten eine höhere Konstanz der Flugbahn notwendig ist, als ich sie aufbringen kann.

Die Flüge wurden mit Snap Flap durchgeführt, das allerdings noch alles andere als optimal eingestellt ist.

Es rumpelt beträchtlich

Bereits bei den ersten Messflügen wurde offensichtlich, dass es in der Luft alles andere als ruhig zugeht. Die Flüge bei 5-6 Beaufort zeigten nun aber ein „Beschleunigungs-Stakkato“. Diese heftigen Rüttler auf Grund der Turbulenz der Luft sind vom Boden oft nur zu erahnen.

An den originalen, unbearbeiteten Daten der vertikalen Beschleunigung nz erkennt man schnell das ganze „Ausmaß“

1601036511573.png
Beschleunigungsdaten in z-Richtung (rote Linie). Es geht offensichtlich sehr ruppig zu…

Für mich bemerkenswert, wie bei höheren Windstärken / Geschwindigkeiten auch verstärkt negative Beschleunigungen auftreten. Das heißt, dass die Tragfläche auch immer wieder mit negativen Cl umgehen muss.

Auch bei der statistischen Betrachtung der aufbereiteten und geglätteten Beschleunigungswerte werden die Unterschiede bei zunehmender Windstärke deutlich. Das Flugzeug befindet sich nur noch wenig im „stationären Gleitflug“ (nz = 1), sondern wird laufend durch Böen und Kurven beschleunigt…

1601036582150.png
Die Verteilung der vertikalen Beschleunigungswerte bei verschiedenen Windstärken. Während bei kleineren Windstärken noch häufig stationär (nz=1) geflogen wird, geht es bei stärkerem Wind laufend „auf und ab“

Meine ersten Schlussfolgerungen:
  • bei der Profilentwicklung dürfen die Bereiche außerhalb des Auslegungsbereichs eines Profils nicht unberücksichtigt bleiben. Ein (F3F-)Profil sollte möglichst robust mit solchen Ausreißern umgehen können
  • bei der Profilanalyse mit Xfoil erscheint mir der typische Standardwert für die Beschreibung der Turbulenzfreiheit der Anströmung „ncrit = 9“ als zu hoch bzw. zu optimistisch. Berechnungen mit ncrit=7 oder niedriger wären wohl realistischer.
    (dazu laufen bereits verschieden Berechnungs- bzw. Optimierungsvergleiche …)
  • die flugmechanischen Belastungen durch diese Stöße sind bereits im Geradeausflug enorm. Umso wichtiger erscheint mir, Torsionsbelastungen durch optimierte Geometrie („Null-Pfeilung“) und Strakprofile zu minimieren

Geschwindigkeit – da geht noch etwas …

Die Geschwindigkeitsverteilung während eines Messflugs macht vor allem beim Flug bei 5-6 Beaufort deutlich, dass noch reichlich Luft nach oben ist. Während hier in Spitzen über 120km/h erreicht wurden, bewegt sich der Mittelwert bei ca. 80km/h. Die im Vergleich zu 3-4 Beaufort deutlich höhere Schwankungsbreite macht auch deutlich, dass der Pilot hier schon ziemlich am Kämpfen war.

1601036722419.png
Die Verteilung der Geschwindigkeit (gegenüber der Luft) bei verschiedenen Windstärken.

Anmerkung: Rechnerisch erhöht die durchgeführte Ballastierung um 22% die Fluggeschwindigkeit um ca. 15%. Vergleichsflüge bei gleichen Bedingungen mit und ohne Ballast wurden nicht durchgeführt.


Cl bei zunehmenden Wind

Die aus Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerten ermittelte Cl-Verteilung bei den Messflügen ließ sich in ihrer „Form“ bereits aus der Geschwindigkeitsverteilung ablesen. Ich ging allerdings davon aus, dass sich bei zunehmender Windstärke und damit Fluggeschwindigkeit die „Cl-Kurve“ in Richtung kleinerer Cl-Werte verschiebt. Aber nein …

1601036797373.png
Statistische Verteilung der Cl-Werte bei verschiedenen Windstärken – mit unterschiedlicher Ballastierung.

Mehrere Effekte sorgen nach meiner Interpretation dafür, dass die geflogenen Cl-Werte nicht spürbar nach unten gehen:
  • das unzureichende „Geschwindigkeitsmanagement“ des Piloten führt zu niederen Geschwindigkeiten mit höheren Cl-Werten
  • die Ballastierung verschiebt die Cl-Werte nach oben. In erster Näherung – ohne Berücksichtigung von Widerstandseffekte - ergibt sich der Faktor der Cl-Erhöhung aus der der 3. Wurzel der Gewichtserhöhung. In diesem Fall führt die Ballastierung zu einem ca. 7% höheren Cl-Wert.
  • Das „Dickerle“ mit seinem gegenüber einem F3F-Rumpf geschätzt 5-fachen Rumpfquerschnitt erhöht auch wiederum in erster Näherung den geflogenen Cl-Wert um 15%.
Meine Schlussfolgerung: Auch wenn man diese Effekte berücksichtigt, bewegt man sich typischerweise für den „Streckenflug“ (Wenden werden später betrachtet) im Bereich Cl = 0,1-0,4. Ein zu starke Betonung bei einer Optimierung auf Cl-Werte unter 0,1 – oder gar 0,05 – erscheint mir aus dieser Hinsicht nicht mehr sinnvoll...

--

So weit die ersten Erkenntnisse live aus Hanstholm. Ich hoffe, in absehbarer Zeit - mit freundlicher Unterstützung – von Messungen bei realistischeren F3F-Flügen berichten zu können...

Jochen
 
Hallo Jochen

super...vielen Dank für deine Arbeit - sehr sehr aufschlussreich! Was mir so recht spontan einfällt:
Dadurch dass es "rumpelt" wie du schreibst und dadurch bei höheren Windgeschwindikeiten ein eher grösseres Ca- Spektrum beflogen wird (auch mit neg. Ca Werten) macht aber eine Optimierung auf "nur" positive Ca Werte ein wenig "risky" da typischerweise der Profilwiderstand, wenn man denn unten "aus der Polare rausfällt" extrem steigt...das kostet dann richtig viel. Zusätzlich ist es wohl auch noch interessant, ob die verschiedenen Ca Werte "gesteuert" sind oder nicht. Wenn ja, ist das oben genannte nicht so tragisch, da die Polare durch Snap Flap nach unten erweitert wird. Wenn nein, dann sieht die Optimierung wohl anderst aus. Wenn ich mir die Flüge der Top Piloten im F3F anschaue, dann gelingt es von mir aus gesehen denen das Flugzeug grösstenteils immer unter positiver Belastung zu fliegen, d.h. mit einem positiven Ca Wert....was wohl widerstandsmässig sehr günstig ist.
Eine komplett andere Frage, darf ich eventuell einiger deiner Messungen für ein Buch über Nurflügel verwenden?

Liebe Grüsse
Peter
 

Jojo26

User
Erste exemplarische Messflüge und Auswertungen – 4. Teil

Als kleine Ergänzung zum vorherigen Beitrag möchte ich doch noch eine Darstellung entlang der Zeitachse nachschieben. Die Aufzeichnung ist von einem Messflug bei 5-6 Beaufort in Hanstholm. Bei aller „Varianz“ der Messwerte bedingt durch die turbulenten Bedingungen lassen sich trotzdem gut die Abhängigkeiten zwischen Höhenruder, Auftriebsbeiwert, Geschwindigkeit und relativer Höhe (zur Starthöhe) erkennen.

Außer den Werten des Höhenruderausschlags sind die anderen Werte geglättet. Die Werte für die relative Höhe sind allerdings noch nicht zeitlich „kalibriert“, so dass hier ggf. eine Verschiebung um ein paar Zehntel Sekunden möglich sind. Da Excel nur maximale 2 vertikale Achsen erlaubt, wurden die Diagramme mit den verschiedenen Werten untereinander angeordnet

Da die Darstellungen intimste Details der fliegerischen Fähigkeiten des Piloten (der sowieso schon vor sich hingrummelt) preisgeben, möchte ich bitten, auf Kommentare wie „Au, au – wieso hast Du bei Sekunde 520 so viel gedrückt?“ zu verzichten … 😉

Recordings Hanstholm 5-6 Beaufort.png

Diese Darstellung macht in meinen Augen gut ersichtlich, welche Erkenntnisse aus den Messungen gezogen werden können ( - oder auch nicht…). Daher möchte ich sie an dieser Stelle gar nicht weiter kommentieren.

--

Hallo Peter,

… gerne! – und volle Zustimmung hinsichtlich einer Profiloptimierung.

In dem Aufzeichnungsabschnitt kann man gut erkennen, dass ein guter Teil der kleinen oder negativen Cl-Werte durch den Piloten verursacht sind (der andere Teil durch Böen) – da trennt sich am Knüppel dann auch die Spreu vom Weizen.

Ja, selbstverständlich kannst Du die Ergebnisse nutzen – alles ist „Open Source“. Gerne kann ich Dich bei den Darstellungen unterstützen – oder Du verwendest die originalen Messdaten oder die aufbereiteten Excel-Daten... (am Besten dann per Mail)

Viele Grüße

Jochen
 

overberg

Vereinsmitglied
Hallo Jochen,

auch von meiner Seite Dank und Anerkennung für Deine Beiträge hier bei RC-Network.

Ich hatte selbst vor einigen Jahren den Plan, solche Messungen durchzuführen, es dann aber wieder aus den Augen verloren. Angeregt durch Deine Berichterstattung habe ich es jetzt endlich in die Tat umgesetzt.

Da es im F3F-Rumpf ziemlich eng zu geht, ist die Platzierung der Komponenten innerhalb des Rumpfs bei meinem Modell nicht möglich. Deshalb habe ich die folgende Anordnung gewählt:
  • Prandtl-Sonde und Drucksensor vorn auf der Spitze der Abziehhaube
  • Datenlogger, GPS mit Beschleunigungssensor, ein zweiter Empfänger, Akku und Ein-Aus-Schalter in einem Gehäuse über der Tragfläche

So sieht das aus:

IMG_6595_crop.jpg

IMG_6596_crop.jpg

Den Beschleunigungssensor konnte ich so sehr nah am Schwerpunkt positionieren.
Die Schläuche zwischen Prandtl-Sonde und Drucksensor sind extrem kurz, mit hoffentlich nur sehr kleinen Totzeiten.

Der zweite Empfänger dient dazu, die beiden Servosignale für die Leitwerksservos zu empfangen und an die Logger weiterzugeben. (Meine alte Anlage hat kein Problem damit, wenn zwei Empfänger gleichzeitig an sind.)

Die Daten werte ich ebenfalls mit Excel aus - das stelle ich zu einem späteren Zeitpunkt vor.

Erkenntnisse nach dem ersten Flugtag:
  • Die Prandtl-Sonde hätte ich besser noch etwas höher platziert…
  • Die vom Unilog aufgezeichneten Daten sprangen immer wieder wild hin und her. Ich hatte übersehen, dass das aufgezeichnete Servosignal ab einem bestimmten Ausschlag beim Logger die Ausgabe von Min- und Max-Werten aktiviert. Also die Einstellung für die nächsten Flüge entsprechend geändert, jetzt klappt es.
Aktuell bin ich erst einmal dabei, die gemessenen Daten auf Plausibilität zu prüfen. Das mit dem "Prüfen" ist natürlich so eine Sache, meine Möglichkeiten dafür sind sehr begrenzt.

Viele Grüße,
Martin

(Fortsetzung folgt)
 
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