Längsstabilität des Freiflugmodells- vom Glauben zum Wissen

Heute habe ich mal geschaut, was im Wiki zum Thema Kräfte am Tragflügel steht. Dort steht genau das Gleiche, wie in unzähligen Diskussionsbeiträgen, Veröffentlichungen und Büchern:
-Das Flügelmoment um den Neutralpunkt bei 1/4 t ist weitgehend konstant

In Wirklichkeit hat das Kippmoment als Funktion des Anstellwinkels eine bestimmte Kennlinie, ist von dramatischem Einfluss auf die Flugeigenschaften und kann nur im Windkanal ermittelt werden. Kein mir bekanntes Rechenverfahren kann im Re-Zahl-Bereich des Freiflugs (F1ABC) ab Re=18000 den Momentenverlauf zuverlässig berechnen, weil die Strömung nicht immer der Kontur folgt. Der von F.W.Schmitz beschriebene Umschlagwirbel, heute bekannt als Ablöseblase, verändert das flüssige Profil. In bestimmten Flugphasen muss die Oberseitenströmung sogar abgelöst sein, beispielsweise würde ein modernes F1A mit anliegender Oberseitenströmung nie die große Startüberhöhung erreichen.

Warum glauben dann so viele an einen konstanten Wert? Das sind vermutlich Leute, welche sich die 3 Bewegungsgleichungen vornehmen und für diese Differentialgleichungen eine Lösung suchen. Nur wenn man keine Kennlinien eingibt, sondern lineare Funktionen von minus bis plus unendlich annimmt, kann man obige Gleichungen geschlossen lösen. Die daraus folgenden „Lösungswege“, ein Wust von Formeln mit möglichst vielen griechischen Buchstaben, eignen sich vortrefflich, um Laien zu beeindrucken.

Die mathematisch einzig zulässige Berechnungsmethode ist eine Parameterstudie mittels Simulation. Hierzu werden die Gestalt des Flugzeugs sowie alle Kennlinien von Flügel und Höhenleitwerk (Auftrieb, Widerstand und Kippmoment) in ein Computermodell eingetragen. Dann legt man die Startbedingungen fest (Geschwindigkeit, Flugrichtung und Lage im Raum) und berechnet im Zeitbereich die Flugbahn.

Gute Längsstabilität bedeutet, dass das Modell sich aus jeder Fluglage mit wenig Höhenverlust fängt, nicht unterschneidet, sodern schnell die optimale Flugbahn findet. Auch beliebig große Störungen auf das sauber fliegende Modell dürfen nicht zur aufklingenden Schwingung, zum Dauerpumpen führen.

Ich lege jede Veröffentlichung sofort zur Seite in welcher der Autor glaubt, dass der Momentenbeiwert eine Konstante ist, weil ich weiß, dass sein (nichtlinearer) Verlauf die Längsstabilität bestimmt.

Grüße
Reiner

Zum Schluss noch ein wenig Denksport: warum brechen bei den modernen F1A-Modellen in der Startphase nach der Freigabe mit 50 m/s die Höhenleitwerke in der Mitte auseinander.

Literatur:
F.W.Schmitz Aerodynamik des Flugmodells, 1952
K. Kraemer Flügelprofile im kritischen Reynoldszahl-Bereich, 1961, Bericht der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Grüße
Reiner

Zum Schluss noch ein wenig Denksport: warum brechen bei den modernen F1A-Modellen in der Startphase nach der Freigabe mit 50 m/s die Höhenleitwerke in der Mitte auseinander.

Literatur:
F.W.Schmitz Aerodynamik des Flugmodells, 1952
K. Kraemer Flügelprofile im kritischen Reynoldszahl-Bereich, 1961, Bericht der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen

Weil sie wahrscheinlich nur für 49 m/s ausgelegt sind.
50 m/s entsprechen 180 km/h. Ist das realistisch?
 
180 km/h ?

180 km/h ?

Ja, das ist realistisch. Per Findahl, der Europameister, gibt bis zu 65 m Startüberhöhung an. Dafür braucht man so viel Startgeschwindigkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser mit Hilfe des cm0 (u.a. aus den von mir veröffentlichten Polaren) die Belastung des Höhenleitwerks abschätzen und auch herausbekommen, ob es sich nach oben oder unten faltet.

Grüße
Reiner
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Ja, das ist realistisch. Per Findahl, der Europameister, gibt bis zu 65 m Startüberhöhung an. Dafür braucht man so viel Startgeschwindigkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser mit Hilfe des cm0 (u.a. aus den von mir veröffentlichten Polaren) die Belastung des Höhenleitwerks ausrechnen und auch herausbekommen, ob es sich nach oben oder unten faltet.

Grüße
Reiner

Das sind fromme Wünsche Herr Oberlehrer. :D
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Ja, das ist realistisch. Per Findahl, der Europameister, gibt bis zu 65 m Startüberhöhung an. Dafür braucht man so viel Startgeschwindigkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser mit Hilfe des cm0 (u.a. aus den von mir veröffentlichten Polaren) die Belastung des Höhenleitwerks abschätzen und auch herausbekommen, ob es sich nach oben oder unten faltet.

Grüße
Reiner

Ohne, dass ich mir meine müde, leicht angeheiterte Birne überstrapaziere.

Wenn der Flieger 180 km/h macht, dann muss das Leitwerk drücken.
Sonst würde der Flieger nur Loopings fliegen und hätte an der Fläche
einen hohen cw bei einem normalen Einstellwinkel.
Wenn das Leitwerk drückt, dann hat es Auftrieb; es müsste also nach
oben bei der Geschwindigkeit brechen.

Fals meine Antwort falsch ist, dann ist der Wein Schuld, den ich gerade
getrunken habe. Sorry!
 

haschenk

User †
Hallo,

mal die Frage eines Unwissenden:
F1A ist Segel-Freiflug. Wie wird denn da heute gestartet ?

Früher hat man da mit 50m-Seil und Laufstart die Modelle hochgezogen; dann sie noch eine Weile an der Leine "geführt", bis man glaubte, "Zug" (Thermik-Ablösung) zu spüren...

Gruß,
Helmut
 
Hallo,

mal die Frage eines Unwissenden:
F1A ist Segel-Freiflug. Wie wird denn da heute gestartet ?

Früher hat man da mit 50m-Seil und Laufstart die Modelle hochgezogen; dann sie noch eine Weile an der Leine "geführt", bis man glaubte, "Zug" (Thermik-Ablösung) zu spüren...

Gruß,
Helmut

Hallo Helmut,

das ist heute auch noch so, aber beim Führen an der Leine werden Kreise geflogen - ein sogenannter Kreisschlepp wird durchgeführt. Beim "Zug" an der Leine wird dann die Thermik festgestellt und es wird ein letzter Kreis eingeleitet. Am tiefsten Punkt des Kreises wird das Modell extrem beschleunigt (ein Holzflieger von früher würde sich jetzt auflösen) indem man schnell lossprintet. Die Leine wird im richtigen Moment losgelassen - der Kreisschlepphaken ist vom starken Zug geöffnet - und das Modell schießt mit Überfahrt nach oben. Hierfür sind natürlich auch noch Steuerfunktionen des Timers nötig. Oben angekommen wird das Modell noch in die Horizontale gedrückt und der Gleitflug (wie früher) beginnt.



Grüßle Thomas
 
Ja, das ist realistisch. Per Findahl, der Europameister, gibt bis zu 65 m Startüberhöhung an. Dafür braucht man so viel Startgeschwindigkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser mit Hilfe des cm0 (u.a. aus den von mir veröffentlichten Polaren) die Belastung des Höhenleitwerks abschätzen und auch herausbekommen, ob es sich nach oben oder unten faltet.

Grüße
Reiner

Hallo Reiner,

ohne etwas zu berechnen behaupte ich das HLW faltet sich nach unten. Beim Loslassen der Leine tritt eine schlagartige Belastung nach oben auf.

Bin gespannt auf die Auflösung Deines Rätsels.

Grüßle Thomas
 
Hallo Thomas,
Teil 2 der Frage ist richtig beantwortet.
Wieviel kg ist die stationäre Belastung nach Freigabe?
Grüße
Reiner
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser mit Hilfe des cm0 (u.a. aus den von mir veröffentlichten Polaren) die Belastung des Höhenleitwerks abschätzen und auch herausbekommen, ob es sich nach oben oder unten faltet.

Dann mach uns das mal vor!
 
Schau doch mal zu den Nurflügel, da wird das Thema schon lange diskutiert!

Es gibt Messungen, die man verwenden kann, in dem Re-Zahl Bereich sind die aber auch ganz schön tricki ...

Xfoil liegt da garnicht so falsch, vorausgesetzt man wendet es richtig an!
 

haschenk

User †
Hallo,

@Thomas
Danke für die Nachhilfe! Also ähnlich wie bei F3B.

@Reiner
Ich lege jede Veröffentlichung sofort zur Seite in welcher der Autor glaubt, dass ...., weil ich weiß, dass...
Reiner

Ich hätte mir gewünscht, dass nicht meine Vorgabe angezweifelt wird, sondern dass die geschätzten Leser...
Reiner
Merkst du was ?

Und übrigens:
Techniker und Naturwissenschaftler glauben nicht, sondern machen Annahmen. In der nächsthöheren Vollendungsstufe erwähnen sie dies, und in der höchsten Vollendungsstufe begründen sie das auch noch.
Wobei manchmal auch Annahmen zum Leserkreis gemacht werden, die wiederum auf die Vollendungsstufe Einfluß haben. Denn es kommt vor, daß Leser nicht mehr weiterlesen, wenn man Ihnen zuviel Vorbemerkungen zumutet, oder wenn sie darin einen (ihrer Meinung nach) Fehler entdecken.

Gruß,
Helmut
 
Berechnung der Belastung am Höhenleitwerk eines F1A-Seglers nach der Freigabe

Berechnung der Belastung am Höhenleitwerk eines F1A-Seglers nach der Freigabe

Rechengang der ungefähren Belastung des Höhenleitwerks nach der Freigabe bei 50 m/s:
(Modell F1A, 12 g/dm2 Flächenbelastung, Flügelfläche 0,3 m2, Flügeltiefe 0,15 m, Leitwerkshebel 0,7m)


1. Aus einer Polare eines typischen Segler-Profils wie dem Hacklinger-Profil Werte entnehmen:
- Gleitflug erfolgt bei Auftriebsbeiwert Ca=1,0, dabei Momentenbeiwert Cm= 0,15
- beim Nullauftrieb Cm=0,06
2. Auftriebsbeiwert Ca ermitteln: die Geschwindigkeit ist etwa 11 mal der Gleitfluggeschwindigkeit, das Ca um den Faktor 11 im Quadrat kleiner, also etwa 0,01, das ist nahe Nullauftrieb.
3. Die Flächenbelastung ist 1,2 kg/m2 (12 g/dm2), beim Gleitflug mit Ca=1,0 ist das gleich dem Staudruck.
4. Nach dem Start ist der Staudruck etwa 11 im Quadrat höher, also 121 mal.
1,2 x 121 = 144 kg/m2
5. Das Kippmoment ist
Staudruck x Flügelfläche x Flügelbreite x Cm
144 x 0,3 x 0,15 x 0,06 = 0.388 mkg
6. Belastung am Höhenleitwerk = Kippmoment geteilt durch Hebelarm
0.388 / 0,7 = 0,55 kg

Wenn man den Momentenbeiwert aus dem Ca-Bereich des Gleitflugs nehmen würde, weil man glaubt, dass der Verlauf konstant ist, würde man mit Cm = 0,15 rechnen mit einem falschen Ergebnis, nämlich 1,17 kg.
Dieser Fehler steckt z.B. in den Rechnungen der Anhänger der "Neutralpunktstheorie".

Grüße
Reiner
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Rechengang der ungefähren Belastung des Höhenleitwerks nach der Freigabe bei 50 m/s:
(Modell F1A, 12 g/dm2 Flächenbelastung, Flügelfläche 0,3 m2, Flügeltiefe 0,15 m, Leitwerkshebel 0,7m)


1. Aus einer Polare eines typischen Segler-Profils wie dem Hacklinger-Profil Werte entnehmen:
- Gleitflug erfolgt bei Auftriebsbeiwert Ca=1,0, dabei Momentenbeiwert Cm= 0,15
- beim Nullauftrieb Cm=0,06
2. Auftriebsbeiwert Ca ermitteln: die Geschwindigkeit ist etwa 11 mal der Gleitfluggeschwindigkeit, das Ca um den Faktor 11 im Quadrat kleiner, also etwa 0,01, das ist nahe Nullauftrieb.
3. Die Flächenbelastung ist 1,2 kg/m2 (12 g/dm2), beim Gleitflug mit Ca=1,0 ist das gleich dem Staudruck.
4. Nach dem Start ist der Staudruck etwa 11 im Quadrat höher, also 121 mal.
1,2 x 121 = 144 kg/m2
5. Das Kippmoment ist
Staudruck x Flügelfläche x Flügelbreite x Cm
144 x 0,3 x 0,15 x 0,06 = 0.388 mkg
6. Belastung am Höhenleitwerk = Kippmoment geteilt durch Hebelarm
0.388 / 0,7 = 0,55 kg

Wenn man den Momentenbeiwert aus dem Ca-Bereich des Gleitflugs nehmen würde, weil man glaubt, dass der Verlauf konstant ist, würde man mit Cm = 0,15 rechnen mit einem falschen Ergebnis, nämlich 1,17 kg.
Dieser Fehler steckt z.B. in den Rechnungen der Anhänger der "Neutralpunktstheorie".

Grüße
Reiner

Hallo,

interessant.
Frage: Wie ist die Berechnung und wie lautet das Ergebnis zum Zeitpunkt unmittelbar vor der Freigabe?
 
Belastung vor der Freigabe

Belastung vor der Freigabe

Hallo Georg,
das ist etwas komlizierter. Nachlesen kannst du das in der Veröffentlichung von Mikail Kochkarev und Sergej Makarov.
Die Brechnung geschah mit den Polaren meines Espada-Profils mit 2D-Turbulator.

TOWING-LINE.jpg
 

GeorgR

Vereinsmitglied
Hallo Reiner,

noch eine Frage zu der Berechnung:
In welche Richtung wirkt das Kippmoment (Nase hoch oder runter),
und wie groß ist in etwa der Anstellwinkel des Leitwerks?
 
Richtung des Kippmoments

Richtung des Kippmoments

In meiner Berechnung habe ich das Vorzeichen des Momentenbeiwerts Cm unterschlagen.
Positive Werte bedeuten aufrichten (Nase nach oben). Der Wert aus der Polare ist negativ, der Flügel will mit der Nase nach unten. Das Hltw. würde nach oben gedrückt werden, also muss die Kraft am Hltw. nach unten wirken.
Die Belastung ist also -0,55 kg.
Ca des Höhenleitwerks (Fläche 0,04 m2):
Ca = Auftrieb geteilt durch (Fläche x Staudruck)
Ca = -0,55 / (0,04 x 144) = -0,095
Ein negativer Wert, der Auftrieb wirkt nach unten.
Ein symetrisches Profil z.B. Ebene Platte (Schmitz 1952) braucht für diesen negativen Auftriebsbeiwert einen Anstellwinkel von -1 Grad.

Grüße
Reiner
 
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