Erstflug
Nach Letztkontrolle übergab ich die Gracia ihrem Element. Der Höhenrudertrimm musste gleich mal auf Anschlag nach hinten, ich hatte mich bei der Neutralstellung des Höhenruders verschätzt, wie eine spätere, genaue Messung zeigte. Also gleich mal wieder landen und die Sache korrigieren. Jetzt konnten die ersten Kurven ohne Stress geflogen werden. Die Gracia ist mit ihren 92 (gezählt!) Rippen eine Augenweide und bewegt sich – Nomen est omen - graziös durch die Lüfte. Die Ruderausschläge waren wie in der Anleitung vorgeschlagen eingestellt, ich find sie soweit ok, das obligate Expo auf Quer hab ich aber weggenommen, denn die Ruderwirkung war mir um die Längsachse zu gering. Kreisen ist ein Hit, man darf kräftig in die Knüppel greifen um flach und eng um die Kurven zu kommen. Kombi-Switch erleichtert das Fliegen - wenn man noch nicht so geübt ist - die Gracia wird dadurch spürbar lebendiger um die Längsachse und kippt gut in die Kurven. Ist mal eine gewisse Schräglage erreicht, wirkt das Seitenruder sehr gut und man kann sie richtiggehend um die Ecke werfen und die Kreise enger und enger zirkeln, Stützquerruder vorausgegesetzt.
Das Abreißverhalten ist harmlos und der Flieger lässt sich wunderbar langsam machen. Die 5 mm nach unten ausgefahrenen Wölbklappen zeigen nur leichte Wirkung – das Modell wird langsamer – als Thermikstellung also empfehlenswert und so nebenbei auch ein Garant für ein noch besseres Abreißverhalten, denn verwölbt werden bei mir nur die inneren Klappen (die Außen kann man auch dazunehmen, aber dann weniger als die Inneren verwölben!). Nach motorischem Höhengewinn – es gab an diesem Tag keine Thermik – ging es dann mal eine wenig schneller nach unten und die Gracia wird recht schnell, wunderbar sind elegante Loopings, wo oben die Fahrt fast vollständig draußen ist, Rollen gehen auch, aber es fehlt im letzten Viertel schon ein wenig der Dampf. Allerdings sollte man es nicht übertreiben mit hohen Geschwindigkeiten! Die Gracia ist auch nicht dafür gebaut! Ich kam jedenfalls in den „Genuss“ heftigen Flügelflatterns, das die Struktur allerdings glücklicherweise heil überstand. Also 50 Meter runter und ein Looping - kein Problem, aber bei größeren Höhen muss man vorsichtig sein.
Das Flugbild ist toll, der Flügel biegt sich ein wenig und zusammen mit der doppelten V-Form ergibt sich fast eine elliptische Flügelbiegung, die wirklich cool aussieht. Das Profil ist gut gewählt für einen Thermiksegler, geht auch flott, nur bei turbulenter Luft fehlt der Durchzug (was ich auch bei einem anderen Modell mit diesem Profil beobachtete: der Flieger stellte richtiggehend ab bei windigen Verhältnissen, also für schnelle Modelle gibt’s eindeutig bessere Profile!), bei wenig Wind/Turbulenz und in der Thermik hingegen ist das MH 32 nicht wieder zu erkennen und eignet sich hervorragend, natürlich fehlt bei Leichtgewicht Gracia mit ihren weniger als 2 Kilo aber auch ein wenig Masse die anschiebt, doch Abwindfelder schnell durchqueren, das geht sehr gut.
Der zweite Flug
Heute war die Gracia wieder in der Luft. Tolles Wetter, sehr wenig Wind und einiges an Thermik. Ich hatte seit dem Erstflug folgende Dinge verändert: Etwas mehr Seitenruderausschlag, Tiefenruderbeimischung beim Butterfly auf 30 Prozent erhöht.
Was soll ich sagen: Die Gracia klebte förmlich am Himmel!! Gleitflugleistung und geringstes Sinken: grandios! Ich muss zugeben, ich hatte noch keinen so großen Segler und mir fehlt der Vergleich, aber man sieht eindeutig, dass das Modell auf Leistung getrimmt wurde! Wunderbar auch, wie weiträumig man wegen der Modellgröße fliegen kann! Bei ruhigem Wetter überzeugte mich die Gracia voll und ganz! Die Gracia war sicher länger als 2 Stunden in der Luft und als mein Hals vom dauernden Hochschauen zu schmerzen begann, ging’s ans Höhe abbauen. Vorsichtig und mit Bedacht lassen sich ein paar (sanfte!) Kunstflugeinlagen machen, Rückenflug geht übrigens auch gut. Aber das Beste: Butterfly! 80 Grad Ausschlag an den inneren Klappen, die Querruder hoch und die Gracia geht in einen gut steuerbaren Sinkflug über. Dabei sind bis zu 45 Grad steile Abstiege eine echte Schau. Das Modell wird zwar schneller, bleibt aber dann bei konstanter Geschwindigkeit, die die Struktur leicht aushält. Ich glaubte meine Augen nicht zu trauen: wie auf Schienen geht’s im Zeitlupentempo nach unten. Also die Wirkung ist echt phänomenal, große Klappen und Ausschlag, sowie das geringe Gewicht werden hier wohl schlagend. Ein paar Meter über dem Boden muss man allerdings den Butterfly rausnehmen oder zumindest massiv reduzieren, denn ein Abfangen aus diesem steilen Abstieg heraus ist nicht möglich, die Geschwindigkeit ist zu gering und der Widerstand der Klappen zu groß! Also ein paar Meter früher die Bremse raus und dann ausschweben: Landungen auf den Punkt auch auf kleinen Flächen werden so möglich! Der Butterfly sollte zum Zeitpunkt der Bodenberührung ohnehin raus genommen sein, denn der Rumpf ist alles andere als hoch und ein Schaden bei den Klappen oder den dazugehörigen Servos dann sehr wahrscheinlich.
Mit dem Antrieb bin ich auch sehr zufrieden. 75 Grad steile Aufstiege sind möglich: nach 10 Sekunden Motorlaufzeit kann man minutenlang absegeln! Der kleine Akku (3s/3300mAh) reicht für ausgedehnte Flüge auch ohne Thermik vollkommen aus. Die Investition in einen guten Regler (Kontronik Koby 70) hat sich auch bezahlt gemacht: Bisher hatte ich eher – wenn möglich – zur Billigware (da beim Gracia 6 Servos am BEC hängen verbietet sich hier sowas sowieso!!) gegriffen, aber man merkt den Unterschied: Die Bremse verzögert so gut, dass die Luftschraube augenblicklich anliegt. Auch Störungen die ich früher immer wieder bei eingeschaltetem Motor hatte, sind jetzt weg. (Ja, ich fliege die Gracia mit 35 MHZ und programmierten ACT DSL Empfänger – wahrscheinlich so sicher wie nie zuvor – alle fliegen jetzt ja 2,4 GHZ!).
Noch mal zurück zum Fliegen: Die Gracia macht ein deutliches Fluggeräusch, außer sie wird ganz langsam gemacht. So was wie ein Rauschen, das mit zunehmender Geschwindigkeit lauter und in der Frequenz höher wird. In ruhiger Umgebung – und in so einer war ich heute – hört man dieses Geräusch bei höheren Geschwindigkeiten zumindest 300 Meter weit. Nicht unpraktisch (auch wenn klar ist, dass Geräusch=Verlust ist; wahrscheinlich sind die breiten Klappenspalten die Verursacher, oder?), denn bei den manchmal unvermeidbaren ungünstigen Sichtwinkeln zum Modell erkennt man nicht wirklich, wie schnell man unterwegs ist und ob z.b. eine kleine Korrektur mit dem Höhenruder Not tut. Die eingebauten Geschwindigkeitsanzeiger (Tonhöhe und Lautstärke) helfen da!
Da der Einstellwinkel fest im Modell verbaut ist, d.h die EWD nicht verändern kann, und man z.b. eine größere Längsstabilität wünscht, wird man außer ein wenig auf Hoch zu trimmen und den Schwerpunkt etwas nach vorne verlegen nicht viel machen können. Besser ist aber ein Höhenruder, das auf Neutral steht. Ich bevorzuge eher ein nicht so längsstabiles Flugzeug (langer Abfangbogen), weshalb der Schwerpunkt meiner Gracia auch im hintern Bereich der vorgeschlagenen Werte zu finden ist. Ich finde das passt gut mit der EWD zusammen, trotzdem konnte ich (bei ruhigem Wetter und in großer Höhe) meine Hände zeitweise in meinen Jackentaschen wärmen – es wurde im Schatten dann doch recht schnell frisch – die Gracia flog von alleine ;-)
Noch ein paar Gedanken zum Modell: Die unbeplankte Rippenfläche sieht toll aus, ist leicht und ausreichend stabil. Zwei Nachteile sehe ich trotzdem: Die Bespannung auf der Unterseite ist beim Landen arg gefährdet. Gestrüpp im Landebereich sollte man unbedingt meiden, und sich eine weiche Wiese als Landepiste aussuchen! Ich hab jedenfalls schon zwei kleine Löcher in der Bespannung – ja, ich weiß, das sind Schönheitsfehler, die schnell repariert sind, mehr nicht. Ein Nachteil der unten und oben gleichfarbig transparenten Flügelbespannung ist weiters, dass man manchmal schwer erkennt in welcher Fluglage sich das Modell gerade befindet. Bei der sonst üblichen Kontrastbespannung ist das besser sichtbar. Ok, aber verschiedenfarbige, transparente Folien oben und unten? Geht wohl leider nicht…
Noch eine Idee: eine etwas erhöhte V-Form wäre wohl auch nicht falsch. Man könnte noch enger und stabiler kreisen. Aber die V-Form kann man konstruktionsbedingt nur schwer ändern (ich werds nicht tun!).
Resümee
Die Gracia ist ein wirklich rundum gelungener superleichter und doch ausreichend stabiler Thermiksegler, der Flugleistungen zeigt, die man sonst wohl nur zum doppelten Preis (und anderer Bauweise) erhält. Ich denke die Konstruktion der Fläche ist einzigartig in dieser Größe, oder gibt es irgendwo was Ähnliches zu kaufen? (Bitte um Hinweis!). Die Qualität des Bausatzes ist zwar verbesserungswürdig, an den entscheidenden Stellen aber grundsolide ausgeführt, die Mängel sind eher optischer Natur. Die Flugleistungen und -eigenschaften sind wirklich topp!
Da man die Gracia durch die dreiteilige Fläche recht klein verpacken kann und sie trotzdem schnell aufgebaut hat (max. 5 Minuten), ist sie bei mir immer mit dabei und wird wohl des Öfteren auch Höhenluft schnuppern dürfen.