Franz Kayser
Es ist zwar schon sehr, sehr lange her. Aber ich kann mich an die Adventszeit des Jahres 1954 noch gut erinnern. Mein Vater war in der Tradition niederrheinischer Kaufleute mit meinem Taschengeld nicht sehr freigiebig, man könnte fast sagen, geizig. Trotzdem hatte ich es mit einer leichten finanziellen Hilfe meines älteren Bruders geschafft, mir den neuesten Graupner-Katalog zu kaufen. Ich konnte nach 2 Wochen eifrigsten Katalogstudiums aus dem Kopf sagen, auf
welcher Seite die Objekte meiner jugendlichen Begierde standen. Da war zuerst die tolle ME109, ein Fesselflugmodell, dann gab es passend dazu einen 2,5 ccm Dieselmotor mit einem blauen Zylinderkopf, den Taifun Rasant. Der Fesselfluggriff namens „Meister-B“ und die vielen anderen Kleinigkeiten kamen dann auch noch auf meinen Weihnachtswunschzettel.
Was jetzt folgte, war eine taktische Meisterleistung. Abends, wenn meine Eltern ihr Geschäft geschlossen hatten und der Umsatz einigermaßen gewesen war – leicht erkennbar an der Laune meines Vaters - setze ich mich zu meinen Eltern, die Im Wohnzimmer Radio hörten. Einen Fernseher gab es lange noch nicht. Nach einigen schweren Seufzern meinerseits, konnte ich meinen Vater erweichen, mich zu fragen, was mir denn fehle.
So kam dann doch mein Wunschzettel allmählich in die richtigen Hände.
Allerdings war auch zu hören, welcher Wahnsinn mich denn geritten hätte, solche Summen auf den Wunschzettel zu schreiben, allein der Motor sollte
31,- DM kosten.
Meine Taktik war, das Maximum zu erbitten, um wenigstens den Anfang eines Fesselflugmodells zu bekommen.
Heiligabend 1954. Das Geschäft wurde sehr spät geschlossen, meine Eltern verschwanden hinter der geschlossenen Wohnzimmertüre. Dann schellte die traditionelle Glocke, die zur Bescherung rief. Ich war kaum in der Lage mich zu beherrschen, da ich ein Paket entdeckt hatte, dass durchaus ein Baukasten sein konnte. Um es kurz zu machen, ich bekam alles, den Dieselmotor, den Fesselfluggriff, einen halben Liter Dieselsprit und ein Modell. Leider war es keine Me109, sondern ein Anfängermodell namens Student. Ich war so enttäuscht, dass ich einen Spruch über ein „Sch…“-Modell von mir gab, taktisch völlig daneben, wie ich nach der heftigen Ohrfeige meines Vaters schnell merkte. Die antiautoritäre Erziehung war ja noch nicht erfunden worden.
Der Modellbauhändler in Wesel, bei dem mein Vater alles gekauft hatte, war sehr vernünftig gewesen. Er riet meinem Vater zu dem Anfängermodell, weil er genau wusste, dass so ein 14 jähriger Anfänger auch ein Anfängermodell brauchte, sowohl wegen der Bauerei, aber besonders auch wegen der Fliegerei.
Wie sehr ich Anfänger war, zeigten dann auch meine ersten Startversuche mit dem neuen Taifun Rasant. Der heftige Vater-Sohn Disput vom Heiligabend hatte sich am ersten Weihnachtstag zum Glück wieder normalisiert und ich bekam die Erlaubnis, den so heiß begehrten Motor laufen zu lassen. Ich hatte von meiner Oma eine alte Kommode geerbt, die im Kinderzimmer als Basteltisch diente. Graupner lieferte bei jedem Motor ein kleines Brettchen mit und nannte es „Prüfstand“. Damit wurde der kleine Dieselmotor auf dem Erbstück von meiner Oma verschraubt – im Kinderzimmer!
Mein Elan legte sich spontan, als meine blauer Rasant mir das erste Mal auf die Finger schlug. Ich hatte zwar kurz die Betriebsanleitung gelesen, aber natürlich nicht verstanden. Um es kurz zu machen, außer ein paar lauten Knallern – kein Schalldämpfer! – war dem Motor nichts zu entlocken. Mein Vater – Kaufmann – und ich – blutiger Anfänger – kamen zu dem Schluss, dass der Motor einen Defekt haben müsse.
Entsprechend verärgert brachten wir sofort nach den Feiertagen den Motor dem Händler in Wesel zurück. Der führte uns dann wortlos in seine Werkstatt, spannte das Motorträgerbrettchen in einen Schraubstock, dreht etwas an dem Knebel auf dem Zylinderkopf und dreht zwei-dreimal den Propeller ruckartig durch. Von Defekt keine Spur, der Motor lief sofort.
Mit einer Menge guter Ratschläge zogen wir leicht beschämt wieder nach Hause. Ich habe lange gebraucht, um meinen ersten Dieselmotor sicher starten zu können. Es hat viele blaue Flecke gebracht, bis ich den Zusammenhang zwischen der Kompressionseinstellung am Zylinderkopf und der Spritmenge über die Düsennadel begriffen habe. Es wurde zwar immer einfacher, aber so richtig ging die „Post“ ab, als mein bester Freund Charly seine familiären Beziehungen zu seinem Apothekervater ausspielte und wir ein paar Prozent Amylnitrat dem 1/3 – 1/3 – 1/3 Gemisch aus Äther, Petroleum und Rizinusöl beimischten. Damit konnte man die Kompression über den Gegenkolben etwas zurücknehme, was die Schlagerei des Motors deutlich verringerte. Da uns der fertige Graupnersprit sowieso zu teuer war, hatten wir Charlys Vater bereits zum Lieferanten für Äther und medizinischem Rizinusöl erkoren. Das Petroleum konnte man damals noch im Eisenwarengeschäft kaufen, weil dort auch Petroleumlampen verkauft wurden. Mittlerweile klappte es dann auch mit der Fesselfliegerei. Unsere Leidenschaft machte uns in unserem Dorf schnell bekannt, da wir mitten im Ort auf dem leeren Platz, wo einmal im Jahr die Kirmesbuden aufgebaut wurden, fliegen durften. Allerdings ging das nicht lange gut, da unser Hausarzt seine Praxis auf der anderen Straßenseite hatte und das Auspuffgeräusch unserer Diesel nicht so sehr vertrug.
Wenn Charly und ich am Sonntagnachmittag nach der Fliegerei, zwar mit gewaschen Händen, ins Kino gingen (mangels Fernseher!), konnte man neben uns meist deutlich ein empörtes Naseschnäuben hören, weil der Duft von Äther und Petroleum nicht so schnell verfliegt.
Auch veröffentlicht in der Antik-Rundschau Nr. 107 von Juni 2013.
Es ist zwar schon sehr, sehr lange her. Aber ich kann mich an die Adventszeit des Jahres 1954 noch gut erinnern. Mein Vater war in der Tradition niederrheinischer Kaufleute mit meinem Taschengeld nicht sehr freigiebig, man könnte fast sagen, geizig. Trotzdem hatte ich es mit einer leichten finanziellen Hilfe meines älteren Bruders geschafft, mir den neuesten Graupner-Katalog zu kaufen. Ich konnte nach 2 Wochen eifrigsten Katalogstudiums aus dem Kopf sagen, auf
welcher Seite die Objekte meiner jugendlichen Begierde standen. Da war zuerst die tolle ME109, ein Fesselflugmodell, dann gab es passend dazu einen 2,5 ccm Dieselmotor mit einem blauen Zylinderkopf, den Taifun Rasant. Der Fesselfluggriff namens „Meister-B“ und die vielen anderen Kleinigkeiten kamen dann auch noch auf meinen Weihnachtswunschzettel.
Was jetzt folgte, war eine taktische Meisterleistung. Abends, wenn meine Eltern ihr Geschäft geschlossen hatten und der Umsatz einigermaßen gewesen war – leicht erkennbar an der Laune meines Vaters - setze ich mich zu meinen Eltern, die Im Wohnzimmer Radio hörten. Einen Fernseher gab es lange noch nicht. Nach einigen schweren Seufzern meinerseits, konnte ich meinen Vater erweichen, mich zu fragen, was mir denn fehle.
So kam dann doch mein Wunschzettel allmählich in die richtigen Hände.
Allerdings war auch zu hören, welcher Wahnsinn mich denn geritten hätte, solche Summen auf den Wunschzettel zu schreiben, allein der Motor sollte
31,- DM kosten.
Meine Taktik war, das Maximum zu erbitten, um wenigstens den Anfang eines Fesselflugmodells zu bekommen.
Heiligabend 1954. Das Geschäft wurde sehr spät geschlossen, meine Eltern verschwanden hinter der geschlossenen Wohnzimmertüre. Dann schellte die traditionelle Glocke, die zur Bescherung rief. Ich war kaum in der Lage mich zu beherrschen, da ich ein Paket entdeckt hatte, dass durchaus ein Baukasten sein konnte. Um es kurz zu machen, ich bekam alles, den Dieselmotor, den Fesselfluggriff, einen halben Liter Dieselsprit und ein Modell. Leider war es keine Me109, sondern ein Anfängermodell namens Student. Ich war so enttäuscht, dass ich einen Spruch über ein „Sch…“-Modell von mir gab, taktisch völlig daneben, wie ich nach der heftigen Ohrfeige meines Vaters schnell merkte. Die antiautoritäre Erziehung war ja noch nicht erfunden worden.
Der Modellbauhändler in Wesel, bei dem mein Vater alles gekauft hatte, war sehr vernünftig gewesen. Er riet meinem Vater zu dem Anfängermodell, weil er genau wusste, dass so ein 14 jähriger Anfänger auch ein Anfängermodell brauchte, sowohl wegen der Bauerei, aber besonders auch wegen der Fliegerei.
Wie sehr ich Anfänger war, zeigten dann auch meine ersten Startversuche mit dem neuen Taifun Rasant. Der heftige Vater-Sohn Disput vom Heiligabend hatte sich am ersten Weihnachtstag zum Glück wieder normalisiert und ich bekam die Erlaubnis, den so heiß begehrten Motor laufen zu lassen. Ich hatte von meiner Oma eine alte Kommode geerbt, die im Kinderzimmer als Basteltisch diente. Graupner lieferte bei jedem Motor ein kleines Brettchen mit und nannte es „Prüfstand“. Damit wurde der kleine Dieselmotor auf dem Erbstück von meiner Oma verschraubt – im Kinderzimmer!
Mein Elan legte sich spontan, als meine blauer Rasant mir das erste Mal auf die Finger schlug. Ich hatte zwar kurz die Betriebsanleitung gelesen, aber natürlich nicht verstanden. Um es kurz zu machen, außer ein paar lauten Knallern – kein Schalldämpfer! – war dem Motor nichts zu entlocken. Mein Vater – Kaufmann – und ich – blutiger Anfänger – kamen zu dem Schluss, dass der Motor einen Defekt haben müsse.
Entsprechend verärgert brachten wir sofort nach den Feiertagen den Motor dem Händler in Wesel zurück. Der führte uns dann wortlos in seine Werkstatt, spannte das Motorträgerbrettchen in einen Schraubstock, dreht etwas an dem Knebel auf dem Zylinderkopf und dreht zwei-dreimal den Propeller ruckartig durch. Von Defekt keine Spur, der Motor lief sofort.
Mit einer Menge guter Ratschläge zogen wir leicht beschämt wieder nach Hause. Ich habe lange gebraucht, um meinen ersten Dieselmotor sicher starten zu können. Es hat viele blaue Flecke gebracht, bis ich den Zusammenhang zwischen der Kompressionseinstellung am Zylinderkopf und der Spritmenge über die Düsennadel begriffen habe. Es wurde zwar immer einfacher, aber so richtig ging die „Post“ ab, als mein bester Freund Charly seine familiären Beziehungen zu seinem Apothekervater ausspielte und wir ein paar Prozent Amylnitrat dem 1/3 – 1/3 – 1/3 Gemisch aus Äther, Petroleum und Rizinusöl beimischten. Damit konnte man die Kompression über den Gegenkolben etwas zurücknehme, was die Schlagerei des Motors deutlich verringerte. Da uns der fertige Graupnersprit sowieso zu teuer war, hatten wir Charlys Vater bereits zum Lieferanten für Äther und medizinischem Rizinusöl erkoren. Das Petroleum konnte man damals noch im Eisenwarengeschäft kaufen, weil dort auch Petroleumlampen verkauft wurden. Mittlerweile klappte es dann auch mit der Fesselfliegerei. Unsere Leidenschaft machte uns in unserem Dorf schnell bekannt, da wir mitten im Ort auf dem leeren Platz, wo einmal im Jahr die Kirmesbuden aufgebaut wurden, fliegen durften. Allerdings ging das nicht lange gut, da unser Hausarzt seine Praxis auf der anderen Straßenseite hatte und das Auspuffgeräusch unserer Diesel nicht so sehr vertrug.
Wenn Charly und ich am Sonntagnachmittag nach der Fliegerei, zwar mit gewaschen Händen, ins Kino gingen (mangels Fernseher!), konnte man neben uns meist deutlich ein empörtes Naseschnäuben hören, weil der Duft von Äther und Petroleum nicht so schnell verfliegt.
Auch veröffentlicht in der Antik-Rundschau Nr. 107 von Juni 2013.