Hallo Leute,
die Querruderdifferenzierung und das negative Wendemoment sind eine der ewigen Märchenstunden des Modellfluges. Daher versuche ich mal zu erklären, was dabei in etwa abgeht.
Teil 1: was soll's?
Wenn wir eine Kurve einleiten, so tun wir dies mit Querruder, um die Querneigung zu erhalten, mit der wir dann in Folge den Kreis fliegen wollen. Dabei passiert leider etwas sehr dummes: wir geben links Querruder und der Flügel rollt nach links, aber gleichzeitg dreht die Nase nach rechts (das Flugzeug giert nach rechts), was wir natürlich mit Seitenruder ausgleichen. Um aber ein schön fliegendes, gut ausgeglichenes Flugverhalten zu haben (hier geht es um die Ruderabstimmung), wollen wir erreichen, dass wir etwa gleich viel Seitenruder und Querruder geben müssen, wenn wir eine Kurve einleiten. (Am Rande bemerkt: dies ist von der Fluggeschwindigkeit unabhängig, solange wir nicht im Mindestfahrtbereich sind (Abrisse))
Teil 2: Wie machen wir's?
Klar, wir geben Seitenruder gemeinsam mit dem Querruder. Bei einem gut abgestimmten Flugzeug mit gleichsinnigem, gleich großem Ausschlag.
Jetzt stellt sich aber prompt die Frage: Wie kriegen wir das hin, dass wir eben gut abgestimmt sind, also gleich große Auschläge geben müssen, um sauber zu kreisen.
Dazu stellen wir uns mal janz dumm, und fragen, wie es überhaupt kommt.
Teil 3: Woher kommt's?
Dieses negative Wendemoment ist nicht einfach mit ein wenig Profilform, Ausschlag oder Auftrieb erklärt. Es setz sich nämlich aus drei Teilen zusammen:
- 1.: das Querrudergiermoment aus Profilwiderstand
Es tritt einfach dadurch auf, dass man das Profil verändert und dies auf beiden Seiten unterschiedlich tut. Entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass dies der Grund für die ganze Sache ist, kann ich hier schon vorwegnehmen: dies ist er nahezu nicht. Klar ändern sich die Widerstände der Profile durch die Ausschläge, aber kein Gesetz der Welt schreibt vor, dass ein Ruder nach unten ausgeschlagen mehr Widerstand macht und eines nach oben weniger Widerstand (dann würde ja keiner seine Wölbklappe nach unten ausschlagen).
Nein, letztendlich ist es einfach so, dass die Widerstandänderung sich in etwa die Waage hält und sowieso sehr gering ist.
- 2.: Das Querrudergiermoment aus der Auftriebsverteilung
Da wird das ganze schon interessanter. Was machen wir denn da nun mit unserem Ruderausschlag? Zum einen erhöhen wir auf der einen Seite den Auftrieb und auf der anderen verringern wir ihn. Damit passiert aber etwas mehr, als nur Auftrieb und Profilwiderstand: wir haben durch den Ausschlag die Verteilung des Auftriebs über der Spannweite verändert und zwar auf der Seite, wo wir nach oben ausschlagen, haben wir den Auftrieb im Querruderbereich verringert und somit relativ weit innen einen Auftriebsgradienten (Änderung des Auftriebs pro Spannweitenstück) nach innen geschoben. Beim anderen Flügel dagegen haben wir den Auftriebsgradienten nach aussen geschoben. Der induzierte Widerstand aber ist ein Widerstand der aus Auftriebänderung pro Spannweite herrührt (Fachleute verzeihen mir das vereinfachte Bild)
Hole ich den Übergang (und damit diesen Widerstand) nach innen, so reduziert sich das rückhaltende Drehmment des Flügel, schiebe ich es nach aussen, erhöht sich das rückhaltende Drehmoment. Dieser Effekt ist schon deutlich größer, als der aus dem Profilwiderstand. Aber er ist noch immer ziemlich uninteressant.
Abngesehen davon ist er auch nur wirklich relevant von Bedeuteung, wenn man den Querruderausschlag gegeben hat, der Flügel aber noch nicht rollt. Rollt er erstmal, dann sieht das schon wieder ganz anders aus mit der Auftriebsverteilung.
- 3.: Das Roll-Giermoment
Hier geht es richtig zur Sache, aber leider ist das auch mit am kompliziertesten. Also, was passiert denn nun nach dem Querruderauschlag?
Das Flugzeug rollt. Aus dieser Rollbewegung ergibt sich über die Spannweite ein zusätzlicher Anstellwinkel (quasi das Gewinde, mit dem sich der Flügel in die Luft schraubt). Dieser zusätzliche Anstellwinkel aber heisst, das der Auftrieb des lokalen Flügelstückes in eine andere Richtung zeigt (der Auftriebsvektor wird gekippt)
Dies tut er auf der Seite, die nach oben rollt in Richtung hinten, und auf der die nach unten rollt, in Richtung vorne.
Dieses kippen der Auftriebe heisst aber auch: ein Anteil des Auftrieb wirkt nach hinten beziehungsweise nach vorne, also im Sinne des Flugzeuges: Widerstanderhöhung oder Verringerung!
Und da haben wir den Hauptschuldigen gefunden: dieser Effekt ist um ein _vielfaches_ größer, als die beiden ersten (ungefähr Faktor 100 bis 1000!)! Und deswegen müssen wir auch immer das Seitenruder mitbenutzen, egal wieviel wir überhaupt differenzieren.
Man kann das zum Beispiel im Segelflugzeug gut sehen: einen Slip mit ganz ganz wenig Querruder einleiten, man hat kaum 2mm Querruderauschlag und trotzdem dreht die Nase seitlich raus, das tut sie nur, weil der Flügel rollt. Im Rückenflug ist das aber genauso, obwohl die Querruder da ja 'falsch rum' differenziert sind.
Teil 4: Und warum nun differenzieren?
Tja, wer bis hier folgen konnte, muss natürlich diese Frage stellen: wenn der Anteil aus dem Ausschlags-Widerstand und dem Auftriebswiderstand doch so niedrig ist, warum soll man dann differenzieren, man ändert ja nur den total schwachen Einfluss und nicht den großen.
Tja, jetzt wird es nochmal schwierig: zwei Dinge sind dabei nämlich interessant. Das eine ist eben die harmonsiche Abstimmung des Flugzeuges. Das Gieren aus der Rollbewegung setzt ja erst ein, wenn das Flugzeug begonnen hat zu rollen. Das Gieren aus den Widerstandsänderungen aber sofort. Das ist dumm, weil es sich nicht harmonisch und zusammengehörend anfühlt. Daher versucht man den Ausschlaggekoppelten Teil niedrig zu halten (das war Teil 2, der Widerstand aus der Auftriebsverteilung). Es gibt aber noch einen zweiten Teil des Tricks: mit einem symmetrischen Ausschlag beider Querruder würde man - grob geschätzt - auf der einen Seite genausoviel zusätzlichen Auftrieb machen, wie man auf der anderen Seite an Auftrieb wegnimmt. Eine Differenzierung dagegen erhöht auf der einen Seite weniger, als auf der anderen Verringert wird. oder anders ausgedrückt: es ist eine Überlagerung aus gleichen Ausschlägen und einem gemeinsamen zusätzlichen negativ Ausschlagen beider Ruder gemeinsam.
Das wiederum ist der interessante Trick: durch den Quasi dazugelegten negativen gemeinsamen Ausschlag reduziert man dan Auftrieb im Aussenflügel. Im Aussenflügel aber sind doch die Auftriebsvektoren aus der Rollbewegung besonders stark gekippt, machen also viel Giermoment. Wenn man also nun den Auftrieb dort reduiziert, dann verringert man das schadhafte Moment und damit kann man das wirkungsverhältnis zum Seitenruder einstellen.
Ganz am Rand: deswegen brauchen Nurflügel mit Glockenverteilung auch keinen Seitenruderauschlag, sie haben aussen ja kaum Auftrieb, der gekippt werden könnte...
Teil 5: Kunstflug
Tja, ausschalten oder nicht? Das kann man nun wieder nicht so einfach pauschal beantworten. Kunstflug stellt eine andere Anforderung und damit auch andere Wünsche an die Ruderabstimmung.
Im Rückenflug wären zum Beispiel die Ruder genau falsch rum differenziert, da schlägt das ganze dann besonders zu (ist auch wirklich so)
Daher stimmt man dort eventuell anders ab, ein rundes Rollen ist einem wohl wichtiger, damit der Rumpf bei der Rolle nicht 'kegelt'. oder eben andere Details in der Ruderabstimmung.
So, lang geredet, aber so ist das.
Und wer's nicht glaubt, der darf vorbeikommen und ich führe es ihm live vor.
Ciao, Steffen
[ 14. März 2003, 08:50: Beitrag editiert von: Steffen ]