Die "Ciudad do Belem", das Volkswagen do Brasil Wasserflugzeug

StephanB

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Prolog
Poetis mentiri licet

Dies ist der vierte Teil meiner Reise durch die luftfahrttechnischen Archive dieser Welt.
Es ist mir erneut gelungen, ein weitestgehend vergessenes Stück Luftfahrthistorie für die Nachwelt zu erhalten.

Teil 1: Der Nurflügel des Hauptmann Rumpelstoss
http://www.rc-network.de/forum/showthread.php/105038-Hptm-Rumpelstoss-ein-vergessener-Pionier

Teil 2: Die Rhöndorf- Konrad Adenauers Wasserflug-Tragschrauber
http://www.rc-network.de/forum/show...höndorf-quot-Adenauers-Tragschrauber-Flugboot

Teil 3: LZ 437 -Das bulgarische Löschflugzeug des Oberst Leon Smirnoff
http://www.rc-network.de/forum/showthread.php/389762-Verschollen-über-dem-schwarzen-Meer-die-LZ-473E

Und nun.....

Teil 4: Die Ciudad do Belem - Das Volkswagen do Brasil Wassertransportflugzeug
 

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StephanB

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Die Geschichte der "Ciudad do Belem"

Die Geschichte der "Ciudad do Belem"

Poetis mentiri licet

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde der Volkswagen- Konzern von der britischen Militärregierung geführt. Anfang der fünfziger Jahre übergab diese auf Anraten und unter Leitung des britischen Colonel Charles Radclyffe die Firma an eine Stiftung des Landes Niedersachsen.

Wer zu dieser Phase der Konzerngeschichte mehr lesen möchte, dem sei das Dokument "Spurwechsel auf britischen Befehl" der aus der Reihe "Historical notes" der Volkswagen AG empfohlen:
Link:
http://www.volkswagenag.com/content...n.html/binarystorageitem/file/VWAG_HN15_d.pdf

Die Übergabe an das Land Niedersachsen repräsentiert zugleich den Beginn einer Phase großer Veränderungen im Konzern. Einige dieser Veränderungen können als Grundsteine für die Entwicklung hin zu dem heutigen Weltkonzern Volkswagen AG gesehen werden.
 

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StephanB

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Fortsetzung - Aufbau in Brasilien

Fortsetzung - Aufbau in Brasilien

Poetis mentiri licet

Dazu gehört ganz sicher auch der 1953 begonnene Aufbau einer Reihe von Produktionsstätten in Brasilien. Maßgeblich waren hierbei die VW-Manager Friedrich Wilhelm Schultz-Wenk und Heinrich Nordhoff, die das Projekt mit dem für diese Jahre typischen Aufbau-Elan voran trieben.
Die Produktionsstätten wurden mit einer Ausnahme alle in der südlich gelegenen Region Sao Paulo gebaut.

Diese eine Ausnahme ist für unser Thema höchst bedeutsam.
Volkswagen baute nämlich nahe der nordbrasilianischen Großstadt Belem ein Werk, in dem Getriebe und Achsen produziert wurden. Dieses Werk lag von den südlichen Produktionsstätten circa 2500 Kilometer (Luftlinie!) entfernt. Da die handelnden Männer mit Weitsicht ausgestattet waren, muß Ihnen klar gewesen sein, dass mit dieser Entscheidung erhebliche logistische Probleme auf sie zu kamen. Die Gründe für die Wahl dieses Standortes müssen also woanders liegen. Es kann vermutet werden, daß es sich um eine politische Entscheidung handelte, die eine Folge der Verrhandlungen mit dem brasilianischen Regierungschef Juscelino Kubitschek war. Kubitschek öffnete das Land für ausländische Investoren, achtete jedoch auch auf auf eine Entwicklung in der Fläche. Offenbar wollte er auch im schwach entwickelten Norden Brasiliens einen industriellen Aufschwung herbeiführen.

Schaut man sich Belem und seine Lage zwischen Meer, Amazonasdelta, diversen Flüssen und ausgedehnten Wasserfächen an, ist klar, was passieren musste. Schon leichte Unwetterlagen machten einen Transport der in den südlichen Produktionsstätten dringend benötigten Getriebe und Achsen auf dem Landweg unmöglich.
Naheliegend war es nun, den Transport mit großen Frachtschiffen entlang der brasilianischen Atlantikküste zu organisieren. Nachdem aber 1957 zwei dieser Frachter unter ungeklärten Umständen (Anm.:vermutlich Piraterie) und mit gravierenden Auswirkungen auf die Produktion verloren gingen, suchte man nach einem Ausweg.
Diesen Ausweg fand man in einer Kooperation mit der CTA (Centro Tecnico de Aernautica), aus der später der heutige Flugzeughersteller Embraer hervor ging. Nach Beschwerden der Führung von Volkswagen do Brasil bei der Regierung über das schlechte Straßennetz wurde die CTA angewiesen, einen bereits vorhandenenen Entwurf für ein militärisches Wasser-Transportflugzeug auf die Bedürfnisse von VW anzupassen. Volkswagen stellte sogleich technische Zeichner und Ingenieure zur Verstärkung des Teams der CTA zur Verfügung. Deren Handschrift erkennt der Fachmann am Flugzeug sofort und auch dem Laien erschliesst sich der Zusammenhang bei Betrachtung der Frontpartie des VW-Bus Modell T1 und dieses Flugzeugs sofort.
Es entstand eine kleine Flotte von drei Transportflugzeugen, von denen jeweils zwei im Pendelbetrieb unterwegs waren und eines standby in der Werft lag.
Eine dieser Maschinen, die "Ciudad do Belem" ist ansatzweise dokumentiert, wird hier im Weiteren beschrieben und auch als Modell vorgestellt.

Jeweils zwei Maschinen flogen ab 1959 im täglichen Pendelverkehr zwischen Belem und Sao-Paulo. Die letzte Erwähnung in den Archiven bezieht sich auf Transporte im Jahr 1972. Zu diesem Zeitpunkt war das brasilianische Strassennetz dann bereits so gut ausgebaut, dass vermutlich die Notwendigkeit teurer Lufttransporte entfiel.

Erwähnenswert ist auch noch eine Reihe von Hilfsflügen nach Peru und Bolivien, in deren Zuge im Jahr 1963 große Mengen Impfstoff gegen Gelbfieber zur Bekämpfung einer Epidemie im dortigen Grenzgebiet abgeworfen wurden. Vermutlich verdanken tausende Menschen dieser Aktion ihr Leben.

Was aus den drei Maschinen wurde, ist leider nicht dokumentiert. In der gut und lückenlos dokumentierten Chronik brasilianischer Flugunfälle der brasilianischen Luftfahrtbehörden tauchen sie jedenfalls nicht auf, so dass von einem friedlichen Ende durch Abmustern und Verschrotten ausgegangen werden kann.
 

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StephanB

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Das Originalflugzeug

Das Originalflugzeug

Poetis mentiri licet

Motorisierung
Die Ciudad do Belem wurde von zwei Pratt & Whitney R4360 vierstufigen 28-Zylinder Sternmotoren angetrieben. Diese Motoren lieferten in der letzten Entwicklungsstufe je 4300 PS. Da diese Baureihe aber bereits 1955 ausgelaufen war und Pratt & Whitney sich bereits dem Bau von moderneren Strahltriebwerken zugewandt hatte, war einige Überzeugungsarbeit nötig, bis Pratt & Whitney nochmal eine Kleinserie von 12 Motoren auflegte. Sechs Motoren wurden sofort in die drei Maschinen eingebaut und die anderen sechs Motoren wurden als Ersatz eingelagert. Der Ersatzfall trat jedoch nie ein. Von zwei der Ersatzmotoren ist bekannt, dass sie später verkauft und in die letzte heute noch fliegende Hawaian Mars eingebaut wurden. Der Verbleib der anderen Motoren ist ungeklärt.


Besatzung
Die Besatzung bestand aus drei Mann. Pilot, Copilot und der sogenannte Luftlotse. Seine Rolle war bedeutsam, denn während und nach der Landung und vor und während des Abwasserns tauschte er mit dem Copilot den Sitzplatz. Auf dem Wasser war er der verantwortliche Navigator und für die Streckenführung zum Lade-/ Entladepunkt zuständig. Für diese Aufgabe wurden überwiegend erfahrene Fährkapitäne aus den Regionen Belem und Sao Paulo angeheuert, die sich in den Wasserlabyrinthen perfekt auskannten.


Bauweise
Die Ciudad do Belem und ihre Schwesterflugzeuge wurden in Leichtmetallbauweise hergestellt. Unter Leitung der Luftfahrtingenieure der CTA fertigten die Autobauer von VW in Sao Paulo innerhalb von 14 Monaten alle drei Maschinen. Eine bemerkenswerte länder- und technologieübergreifende und zudem höchst erfolgreiche Kooperation.

Beleuchtung
Da die Ciudad do Belem auch bei Schlechtwetter und bescheiderner Sicht auf Wasser starten und landen musste, war Vorsorge zu treffen, um eventuell auf dem Wasser treibende Hindernisse, Baumstämme etcetera erkennen zu können. Die Ciudad do Belem hatte also fünf starke Scheinwerfer an Bord. Zwei in der Front a la VW-Bus T1, ein drehbarer starker Suchscheinwerfer oberhalb des Cockpits und zwei Fluter in den Nasenleisten.


Daten
· Zuladung: 12000 kg
· Länge: 26,35 m
· Spannweite: 33,30 m
· Höhe: 11,30 m
· Flügelfläche: 156,41 m²
· Leermasse: 18.144 kg
· Maximale Startmasse: 30.350 kg
· Höchstgeschwindigkeit: 420 km/h
· Reichweite: 2.650 km (1.415 NM)
· Dienstgipfelhöhe: 7.150 m (20.888 ft)
· Steigrate: 308 m/min (1.010 ft/min)
 

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StephanB

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Das Modell

Das Modell

Das Modell besteht überwiegend aus Depron und ist komplett mit 25er Glasfasergewebe überzogen, das ich mit Parkettlack aufgezogen habe, um die empfindliche Oberfläche zu schützen. Die Spannweite beträgt zwei Meter bei drei Kilogramm Gewicht, die resultierende Flächenbelastung liegt bei circa 50 Gramm pro Quadratdezimeter. Gesteuert wird um die Hochachse über differentiellen Motorschub, aufgemischt auf das Seitenruder. Die anderen Achsen sind klassisch über Querruder und Höhenruder angesteuert.
Die Lichtfluter in den Nasenleisten bestehen aus 3Watt Led-Strips auf Alukühlkörpern und sind per Relaisschalter zuschaltbar. Der Suchscheinwerfer oberhalb des Cockpits entstand aus einer kleinen LED-Taschenlampe und wird mit einem 1S-Lipo betrieben.
Der Flugakku ist ein 3S-4000er Lipo, der über zwei 40A-Regler die beiden DualSky 3530-CA14 Motoren befeuert. Die 4-Blatt Propeller sind aus Fernost und ursprünglich für eine P-51 gedacht gewesen. Insgesamt ist das Antriebskonzept eher auf der schwachen Seite, sollte aber für gemütliches Umherfliegen ausreichen.
Das Flügelprofil ist ein aufgedicktes Clark-Y, das hat schon bei vorherigen Modellen gut funktioniert.
Der Erstflug wird während des diesjährigen Wasserflugtreffens am Edersee stattfinden. Drückt mir die Daumen. :)

Gruß
Stephan
 

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Hut ab, Stephan!

faszinierend, was du immer aus den Archiven kitzelst und auf die Beine / Schwimmer stellst.:eek:
Klasse recherchiert und hier für uns aufbearbeitet!
Ich freu mich schon, die "Ciudad do Belem" live zu sehen und beim Erstflug stehe ich natürlich gerne an deine Seite:cool:

Gruß Jürgen
 
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