Hallo Erdie,
ich hoffe, dass ich als Chemiker, der sich auch beruflich mit Lithium-Ionen-Batterien beschäftigt hat, zumindest ein wenig Licht ins Dunkel bringen kann. Ich bin zufällig auf diesen Thread gestoßen und habe mich deswegen jetzt mal hier angemeldet.
Bitte entschuldige, wenn ich etwas weit aushole, aber du hattest ja gefragt
Zunächst einmal zum grundlegenden Aufbau einer Lithium-Ionen-Zelle: Als Anode wird hier Graphit verwendet, in den während des Ladens der Zelle Lithium interkaliert wird (also zwischen die Graphikschichten eingebaut). In vollgeladenen Zustand (was in etwas der stöchiometrie LiC
6 entspricht), erreicht diese Elektrode ein elektrochemisches Potential, das sehr nahe am Potential elementaren Lithiums liegt (also -3 V gegenüber der Normalwasserstoffelektrode, also einer genormten Referenz), und damit eines der stärksten Reduktionsmittel darstellt, die man in der Chemie so kennt.
Die messbare Spannung der gesamten Zelle ergibt sich aus der Differenz von Anoden- und Kathodenpotential, so dass klar wird, dass eine Zellspannung von 4,2 V ein Kathodenpotential von ca. 1,2 V bedingt, was schon relativ stark oxidierend ist (das liegt im Bereich von Sauerstoff, der ja nun auch dem Nicht-Chemiker als Oxidationsmittel bekannt ist).
Auf der Kathodenseite werden Metalloxide wie LiCoO
2 (ebenfalls eine schichtartige Struktur) eingesetzt, die ihr Lithium während des Ladens durch den Elektrolyt an die Anode abgeben. Idealisiert könnte man also schreiben:
6 C + LiCoO
2 —> LiC
6 + CoO
2 (und beim Entladen natürlich umgekehrt).
So wie hier dargestellt wird das nur einmal funktionieren, denn die Schichtstruktur des LiCoO
2 bricht regelrecht zusammen, wenn man das Lithium komplett entfernt, da es vereinfach gesagt, als „Stützpfeiler“ dient. In jedem Lithium-Ionen-Akku wird daher nur ungefähr die Hälfte des Lithiums entfernt (also ca. Li
0,5CoO
2), was bei 4,2 V Zellspannung der Fall ist, da dann eine ausreichende Stabilität des Kathodenmaterials noch gegeben ist. Die „Zerstörung“ dieser Schichtstruktur ist aber ein gradueller Prozess. Wenn ich damit leben kann, dass die Zelle weniger Zyklen überlebt, dann könnte ich die Kathode beispielsweise auch bis 4,4 V laden und würde dadurch ordentlich Kapazität gewinnen. Dass das mit käuflichen Akkus NICHT funktioniert und mit großen Gefahren verbunden ist (EXPLOSIONSGEFAHR!) liegt einfach daran, dass die Menge an Anodenmaterial (Graphit) genau auf die konstruktionsbedingte Lithium-Menge bei 4,2 V abgestimmt. Entzieht man der Kathode also mehr Lithium, dass die Anode aber nicht speichern kann, dann scheidet es sich eventuell in Form von hochreaktiven metallischen Lithium ab, das zudem die Zelle intern kurzschließen kann. Aber wie gesagt: Konstruktiv könnte man so etwas vorsehen, mit einer solchen Zelle würde man aber aufgrund der Lebensdauer nicht wirklich glücklich werden.
So, also jetzt der erste Punkt: Wenn die Kathode mit abnehmender Lithium-Menge instabiler wird (bis hin zur kompletten Zerstörung ohne Lithium), dann denke ich, dass es nur logisch erscheint, durch Entnahme einer geringeren Lithium-Menge die Zelle schonen zu können, oder?
Diese graduelle Zerstörung des Kathodenmaterials ist aber nur eine negative Folge (die möglicherweise zudem für die Lagerung weniger relevant ist), viel wichtiger sind sicherlich die Reaktionen des Elektrolyts an den Elektroden. Im komplett entladenen Zustand ist sowohl das Anoden- als auch das Kathodenpotential absolut „harmlos“. Eine Bleistiftmine (Graphit) ist ja schließlich ziemlich unreaktiv und auch LiCoO
2 ist eine ziemlich stabile Verbindung. Lädt man aber die Zelle nun auf, dann wird die Anode zu einem starken Reduktionsmittel, die Kathode zu einem recht starken Oxidationsmittel, die beide mit dem Elektrolyt, also dem organischem Lösungsmittel (meist so etwas wie Propylencarbonat) und dem Leitsalz (LiPF
6) reagieren. Auf der Anodenseite ist das weniger schlimm, denn dabei bilden sich im ersten Zyklus stabile Schichten auf dem Graphit, die Lithium-Ionen leiten und damit die Funktion der Zelle nicht beeinträchtigen, den Elektrolyt aber für die Zukunft vom direkten Kontakt mit der stark reduzierenden Anode schützen. Auf der Kathodenseite bilden sich ebenfalls Zersetzungsprodukte des Elektrolyten, aber eben andere, denn hier wird oxidiert, anstatt reduziert. Und diese Produkte haben leider deutlich unangenehmere Eigenschaften: Sie wirken nicht als Schutz vor weiterem Angriff und sie leiten Lithium-Ionen nicht bzw. nur schlecht.
Das führt dann also genau zu den zwei Problemen, die man beobachten kann: Mit der Zeit (also während der Lagerung) wird immer mehr Elektrolyt zersetzt, was nicht nur dazu führt, dass die Zelle sozusagen „austrocknet“, sondern es wird auch Lithium aus der Kathode irreversibel verbraucht, was eben die Menge der verfügbaren Lithium-Ionen (und damit die Kapazität der Zelle) immer weiter reduziert. Zum zweiten sammelt sich auf der Kathode immer mehr „Dreck“ an, der Lithium-Ionen nur schlecht leitet und damit den Innenwiderstand der Zelle erhöht. Gerade bei Hochstromanwendungen wie dem Modellflug sorgt das dann durch den zusätzlichen Spannungsabfall dafür, dass bei einer gegebenen Stromstärke bis zum Erreichen einer gegebenen Entladeschlussspannung weniger Kapazität entnommen werden kann.
Diese beidem Symptome werden also dadurch hervorgerufen, dass die stark oxidierende Kathode am Elektrolyten knabbert. Was liegt also näher, als sie weniger oxidierend zu machen? Und genau das heisst eben, ihr ein bisschen mehr Lithium zurückzugeben, die Zellspannung also zu reduzieren. Angenehmer Nebeneffekt ist dann, dass auch die Anode weniger reaktiv ist (in diesem Fall also weniger reduzierend), aber nach meinem Verständnis passiert da sowieso nicht so viel schlimmes.
Wie jede chemische Reaktion wird auch diese Elektrolytzersetzung mit steigender Temperatur immer schneller. Wenn es sich also nicht vermeiden lässt, eine Zelle in geladenem Zustand zu lagern, dann also bitte wenigstens kühl!
Diese Alterungsprobleme sind rein durch die Chemie der Zelle vorgegeben und betrifft eine einzelne Zellen ebenso, wie ein größeres Pack. Einer Lithium-Ionen Zelle macht es hingegen recht wenig aus, leer zu sein. Unterhalb von 2,5 V bringt es aber nichts, denn wenn man sich die Entladekurve ansieht, steckt das sowieso praktisch keine Kapazität mehr drin. Was aber absolut tödlich und gefährlich ist, ist das Umpolen von Zellen und genau das kann in einem reihengeschaltetem Pack (gerade mit vielen Zellen) sehr leicht passieren, wenn man das Pack zu weit entlädt.
So hätte beispielsweise ein 6s Pack mit einer Zelle von -0,1 V und 5 weiteren von je 3,0 V (was ja schon fast leer ist) immer noch 14,9 V. Geht man fälschlicherweise von einer gleichmäßigen Spannung der Zellen aus, ergibt sich ca. 2,5 V und man bricht die Entladung ab. Für die umgepolte Zelle ist dann aber schon alles zu spät…
„Nur“ daher kommt der oft gehörte Hinweis, einen Akku nicht zu weit zu entladen. Würden nur Einzelzellen oder parallel geschaltete Packs verwendet werden, dann wäre tiefes Entladen weit weniger dramatisch.
Ich hoffe, dass dir das zunächst als Information ausreicht. Die gegebenen Empfehlungen sind also chemisch absolut begründet und eben kein unseriöses Halbwissen. Dennoch kann ich verstehen, wenn man bewusst dagegen handelt, weil Akkus ja nun auch nicht mehr so teuer sind und man eben immer etwas voll geladenes im Haus haben möchte. Trotzdem tun mir manche Behandlungen regelrecht weh, beispielsweise der Gedanke, Akkus vorzuheizen (und dann auch noch voll geladene!). Hohe Temperaturen sind Gift, hoher Ladezustand ist Gift und wenn beides zusammenkommt, dann potenziert sich das auch noch
Viele Grüße