FX weiterentwickelt: JX-GX - Teil 1
Die diesjährigen Flugtage rund um Hanstholm, bei denen vor allem Messflüge und die dazugehörigen Auswertungen im Mittelpunkt standen –
siehe Beitrag - hatten mich am Ende zunehmend nachdenklich gemacht. Waren die für die Entwicklung des Profils JX-FX zu Grunde gelegten Annahmen richtig? Müssen nicht noch stärker die speziellen Bedingungen „am Hang“ berücksichtigt werden?
Aspekte, die mir dabei durch den Kopf gingen (und gehen):
- Selbst im relativ gleichmäßigen Küstenwind gleicht der Flug an der Hangkante eher der Fahrt über Kopfsteinpflaster als der Fahrt auf einer Rennstrecke (um bei dem Vergleich zu bleiben). Gingen die Annahmen bei der Profilberechnung von zu ruhiger Luft aus? Was passiert, wenn bei den Profilberechnungen mehr „Turbulenz“ angenommen wird?
- Auch bei zunehmenden Windstärken bewegen sich die Auftriebsbeiwerte auf Grund der gleichzeitig stärkeren Ballastierung des Modells eher meist in einem Bereich zwischen 0,1 – 0,3 und nur selten darunter. Sollte das Profil nicht noch stärker auf diesen Bereich ausgelegt werden?
- Die Dynamik in den Wenden ist der Schlüssel für einen schnellen F3F-Flug. Kann hier das (Grund)Profil noch besser unterstützen? Klar, der Einsatz von Klappen ist essentiell - aber in der Praxis auch diffizil bezüglich der richtigen, phasengenauen Einstellung. Wurde bei der Entwicklung von JX-FX zu viel Verantwortung den Klappen zugeschoben?
Bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen entstand parallel ein neuer Profilentwurf JX-GX, bei dem iterativ die neuen Erkenntnisse und Einsichten umgesetzt wurden.
Das neue Profil JX GX 15 mit 7,6% Dicke und ca. 1,60% Wölbung
In diesem kleinen Bericht über die Auslegung von JX-GX möchte auf den bisherigen Überlegungen zu JX-FX aufbauen und mich nun vor allem auf die neuen Fragestellungen konzentrieren ( dem interessierten Neueinsteiger empfehle ich, die ersten Beiträge dieses Themas zu lesen)
Das aerodynamische „Kopfsteinpflaster“ und die Wellen
Eine maßgebliche Vorgabe bei aerodynamischen Berechnungen mit Xfoil (Xlfr5, Profili, Xoptfoil) ist die Festlegungen des „Turbulenzgrades“ der angeströmten Luft. Während sich in ruhiger Luft eine möglichst lange laminare Grenzschicht im besten Wortsinn ungestört entwickeln kann, hat es die Grenzschicht bei zunehmender Turbulenz der angeströmten Luft schwer widerstandsoptimiert laminar zu bleiben.
Die Festlegung des „Turbulenzgrades“ erfolgt in Xfoil durch den „ominösen“ Parameter ncrit für den typischerweise ein Wert von 9 bei den Berechnungen vorgegeben wird.
Ein kleiner ncrit-Einschub: Lange Zeit hatte ich immer wieder Schwierigkeiten mir zu merken, ob ein höherer ncrit-Wert nun für turbulentere Luft steht – oder umgekehrt? Wie bei vielen Dingen, bei denen man die eigentliche Bedeutung nicht kennt, fällt es schwer sich zugehörige Werte zu merken. Im dem Fall gibt’s nur eins: Eintauchen. Um dann festzustellen: Eigentlich ist es ganz einfach mit ncrit (oder ganz schön anspruchsvoll, wenn man auf den Grund gehen möchte…). Ich will versuchen, eine ncrit-Super-Kurzfassung zu machen. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen in Zukunft, ganz intuitiv mit ncrit umzugehen.
Störungen der laminaren Grenzschicht, die irgendwann so groß werden, dass die Grenzschicht turbulent umschlägt, können mit einem mathematischen Modell den „Tollmien-Schlichting-Wellen“ beschrieben werden. Diese Störungswellen schaukeln sich entlang der Wegstrecke über das Profil immer weiter auf. Die Aufschaukelei der Tollmien-Schlichting-Wellen beginnt ab dem Profilpunkt, an dem die Strömung nach der Beschleunigung an der Profilnase wieder langsam abgebremst wieder.
Überschreitet nun die Amplitude der Wellen einen kritischen Wert, dann macht es einen sprichwörtlichen Knall und die schöne laminare Grenzschicht ist fortan turbulent. Kritischer Wert? ncrit? Ja – genau: ncrit ist nichts anders als der (normierte) kritische Schwellwert der Tollmien-Schlichting-Wellen bei dem die laminare Grenzschicht genug hat von den diesen Störwellen und fortan turbulent ist. Den Zusammenhang kann man sich in xflr5 auch sehr schön grafisch anschauen:
Man trifft nun folgende Annahme: Bei ruhiger angeströmter Luft kann die Grenzschicht länger mit den stärker werdenden Tollmien-Schlichting-Wellen zurechtkommen - der kritische Wert des Umschlagens liegt daher hoch. Bei tubulenter, verwirbelter Anströmung, wo sowieso alles schon „wackelig“ ist, kann die Grenzschicht nur noch wenig Tollmien-Schlichting-Wellen vertragen - der kritische Wert liegt tiefer.
Mit diesem Verständnis lässt sich bereits in der Abbildung (in erster Näherung) gut erkennen, was mit unserem Umschlagpunkt passiert, wenn ncrit abgesenkt wird. Wir ahnen nichts Gutes …
Das war’s auch schon – der kleine Ausflug zu den Tollmien-Schlichting-Wellen und ihrem schändlichen Tun in unserer schönen laminaren Grenzschicht bei ncrit …
Wie verändern sich nun die Profileigenschaften, wenn wir eine stärker turbulente Anströmung (via ncrit=7) als bisher (ncrit=9) zu Grunde legen?
Dazu lassen wir unser Profil JX-FX virtuell im Turbulator auf Rügen fliegen („real“ hat es leider dieses Jahr nicht geklappt… ) – zum Vergleich kommt noch das M1779B als eher klassisch ausgelegtes Profil dazu:
Vergleich zweier unterschiedlich ausgelegter Profile bei ncit=9 und ncrit=7
Drei Effekte werden deutlich:
- Haupteffekt: Praktisch die gesamte T1-Polare für Re=600.000 verschiebt sich nach rechts – der Widerstand nimmt über einen weiten Bereich deutlich zu. Stichwort „Tollmien-Schlichting“- siehe oben -
- Nebeneffekt: Auf der T2-Polare verringert (!) sich der Widerstand im Bereich cl=01-03 bei eher klassischer Profilauslegung (Profil M1779B). Der Grund hierfür ist, dass die „Turbulenz“ zunächst eher stabilisiert und dadurch schädliche Ablöseblasen auf der Profiloberseite verkleinert. Im Prinzip ist es die gleiche Wirkung wie die Anbringung eines Turbulators … Hervorragende Vertiefungen zu diesen Effekten gibt es (wie immer) auf http://www.aerodesign.de/.
Bei dem Profil JX-FX, das bereits auf Blasenminimierung in diesem mittleren Bereich ausgelegt wurde, macht sich dieser Effekt nicht bemerkbar …
- Untergeordneter Effekt: (im Schaubild nicht dargestellt) Im höheren Auftriebsbereich cl > 0,8 verringert sich der Widerstand, cl-max wird erhöht. Grund: Die turbulente Anströmung verzögert die Ablösung der Strömung
Die Widerstandserhöhung im tiefen cl-Bereich liegt teilweise über 10%. Wo man vorher bei der Profilauslegung mit ncrit=9 um jeden halben Prozentpunkt „gekämpft“ hat, pulverisiert nun ein bisschen mehr Turbulenz unsere schöne laminare Optimierung …
Das sitzt. Mmh.
Die spannende Frage ist nun: Kann der „Optimierer“ der Physik – oder zumindest xfoil – ein Schnäppchen schlagen und auch bei turbulenterer Anströmung zumindest wieder ein wenig Boden gut machen?
Korrektur des cl - Auslegungsbereichs
Für die Auslegung des Profils JX-FX wurde seinerzeit folgende Festlegung getroffen
ca = 0,05 – 0,40: Der zentrale Bereich in dem weitgehendst ohne Einsatz der Klappen geflogen werden kann. Optimierung in diesem Bereich auf ausgewogen geringen Widerstand mit besten Werten zwischen 0,05 und 0,3
Die Auswertung der bisherigen Messergebnisse zeigt aber, dass der der Auslegungsbereich mindestens um cl = 0.05 „nach oben“ verschoben werden sollte, um die typischen realen Bedingungen besser abzudecken -
siehe hierzu Bericht. Aus diesem Blickwinkel ist das Profil JX-FX eher für ein Typhoon-Race ausgelegt als für einen Wettbewerb rund um Hanstholm.
In dem Zusammenhang möchte ich gerne auf die
tollen Auswertungen von Max Steidle hinweisen, die die Basis für die Auslegung des „Mamba“ waren. Max macht eine Abschätzung des optimalen cl-Auslegungsbereichs auf Basis der mittleren Flugzeiten. Erfreulicherweise kommt er über diesen Weg zu ähnlichen Werten, wie sie sich bei den bisherigen Flugmessungen ergeben haben.
Die bisherigen Optimierungen am JX-FX und auch der Vergleich mit anderen Profilen (siehe „Großer Profilvergleich“) zeigten, dass JX-FX im stationären Flug (T2-Polare) im unteren, mittleren cl-Bereich eine echte Bank ist. Hier würde wohl nichts mehr herauszuholen sein.
Im Gegenteil: Es stellte sich heraus, dass gute Leistungen im stationären Flug (Re √cl = 150.000) in einem Wettbewerb mit guten Leistungen im dynamischen Flug bei hohen Re-Zahlen (Re=600.000) stehen.
Es galt also zu versuchen, das Niveau im Bereich cl= 0,1 – 0,4 für stationären Flug zu halten. Unter cl = 0,1 durfte auf Grund des geänderten Auslegungsbereichs etwas nachgegeben werden.
Um die Kurve …
Wie eingangs beschrieben, wurde das Profil JX-FX ausgelegt, mit richtigem Einsatz der Klappen den notwendigen „Druck“ für schnelle und enge Kurven zu erzeugen. "Druck" definiert sich dabei durch rasche Auftriebserhöhung bei möglichst geringem Widerstandszuwachs. Tiefergehende Betrachtungen von Anstellwinkel, Klappenwinkel, Auftrieb und Widerstand beim Klappeneinsatz hatten deutlich gemacht, wie schmal der optimale Korridor von Anstellwinkel und passendem Klappenwinkel ist. Im ungünstigen Fall, bei falschem Zusammenspiel von Anstell- und Klappenwinkel, verschlechtern die Klappen sogar die dynamischen Eigenschaften des Profils.
Wünschenswert wäre daher eine möglichst „robuste Kombination“ von Profil und Klappen, bei der das Profil wieder stärker einen „Druck-Anteil“ übernimmt.
Erfreulicherweise kommt dieser Anforderungen dem nach oben korrigierte Auslegungsbereich entgegen:
Im 2. Teil ...
... geht es dann um die Umsetzung des Profils und eine Betrachtung der aerodynamischen Eigenschaften im Vergleich zu anderen Profilen. Und natürlich die .dat-Datei um selber Vergleiche anstellen zu können.
Viele Grüße
Jochen