Ja da habe ich mit meiner eher kurz gehaltenen Antwort wohl etwas Verwirrung gestiftet.
Olli, weil dich das als Segelflieger anscheinend interessiert, erst nochmal etwas Theorie, wenn auch ziemlich vereinfacht..
Twist
Einen Gradienten hast du auch auf dem kurzen Stück unserer kleinen Boote. Gerade in der Nähe der Oberfläche tut sich da ein bisschen was. Neben verschiedenen Meinungen zu diesem Thema gibt es aber noch andere Gründe für Twist in den Segeln. Je mehr Twist im Groß ist, desto besser kann es oben (ggf. überschüssigen) Druck rauslassen und damit Krängung reduzieren. Das gilt auch für die Fock, wobei die zusätzlich die Aufgabe hat, die Anströmung des Großsegels möglichst positiv zu gestalten. Die Fock verändert etwas den Winkel des scheinbaren Windes, wodurch man dann das Groß etwas dichter fahren und mehr Höhe laufen kann. Wenn die Fock keinen oder zu wenig Twist hat und zusätzlich vielleicht noch zu dicht gesegelt wird, ändert sich die positive Gestaltung der Anströmung des Großsegels aber schnell ins Gegenteil. Die Fock lenkt dann den Wind direkt in die Leeseite vom Groß, die Strömung reist ab etc.. Deshalb sollten die Stellung und der Twist der Fock immer zum Profil und Twist des Großsegels passen.
Segeldruckpunkt
Praktisch alles, was wir am Rigg verstellen hat direkt oder indirekt einen Einfluss auf die Lage des Segeldruckpunktes. Wenn wir das Großsegel tiefer profilieren (mehr Bauch am Unterliek, weniger Mastbiegung bei einem Segel mit Vorliekskurve) oder dichter nehmen oder den Twist reduzieren bauen wir hinten mehr Druck auf, der resultierende Druckpunkt gesamt verschiebt sich nach achtern, das Boot wird luvgieriger.
Das gleiche gilt natürlich für die Fock, nur dass mehr Druck vorne eben einer Luvgierigkeit entgegenwirkt. Überflüssig zu erwähnen, dass man mit flacher, weniger dicht, mehr Twist egal ob an Fock oder Groß natürlich den Druck reduziert und den resultierenden Druckpunkt in die entgegengesetzte Richtung verschiebt.
Segeldruckpunkt/Lateraldruckpunkt
Und natürlich verändert eine Mastposition oder ein Mastfall sehr stark den Segeldruckpunkt. Das würde ich normalerweise unter Grundtrimm einsortieren. An manchen Booten kann man sogar noch den Kiel verschieben und damit den Lateraldruckpunkt verändern. Ein größeres Ruder, wie es Klaus beschrieben hat wirkt genau wie Kiel mehr nach achtern entgegen einer Luvgierigkeit. Und tatsächlich muss man den Segeldruckpunkt immer im Verhältnis zum Lateraldruckpunkt sehen. Weil das, was wir im Segel an Kraft auf das Boot übertragen ja im Wasser ein sagen wir mal Gegenlager findet. Wenn wir oben im Rigg immer weiter achtern drücken, dreht sich das Boot um das „Lager“ im Wasser eben mit dem Bug in den Wind – luvgierig.
Krängung
Leider ist es aber noch etwas komplizierter. Je mehr Krängung ins Spiel kommt, desto mehr wandert der Segeldruckpunkt weg von der Mittelachse des Bootes nach außen (nach Lee), während sich der Lateraldruckpunkt nur vergleichsweise wenig verändert. Wenn man nun gedanklich von oben auf’s Boot schaut, hat man annähernd in der Mitte den Lateraldruckpunkt, der Segeldruckpunkt ist aber nach Lee gewandert und hat jetzt je nach Krängungswinkel einen nicht ganz kleinen Hebel zur Mittelachse bekommen, was natürlich das Anluven verstärkt.
Daher meine obige Bemerkung, Anluven in einer Böe ist normal. Ein Boot, das einigermaßen geradeaussegelt und in einer Böe nicht anluvt, wird bei nachlassendem Wind vermutlich stark abfallen. Auch das will man eigentlich nicht.
Moderne konventionell getakelte Regattaboote sind üblicherweise so gebaut, dass man alle besprochenen Werte (und ein paar noch nicht besprochene) einstellen kann. Bei diesen Booten gibt es meistens Trimmempfehlungen und wenn man Interesse hat und genügend rumspielt, lernt man mit der Zeit, wie sich die vielen Variablen auswirken und was bei welchen Bedingungen angebracht ist. Manche lernen es allerdings nie und kommen zu jeder Regatta mit dem gleichen vermurksten Trimm, obwohl mehrere erfahrene Segler schon ihr Bestes gegeben haben.. Und viele wollen keine Regatta und sind zufrieden, wenn ihr Boot irgendwie auf einem See hin und hersegelt. Es gibt genügend Videos von komisch getrimmten Booten, die mit kaum veränderter Segelsteuerung auf allen möglichen Kursen über den See hoppeln. Leuten wie Torti und mir stellen sich da die Haare zu Berge, andere applaudieren dem schönen Boot. Das ist meiner Meinung nach aber alles Ok, solange es Spaß macht.
Zu deinen Fragen bzw. deinem Boot:
Den Twist stellt man am besten mit einer Vorrichtung ein, die den Baum des Segels in dem eingestellte Winkel zum Mast bzw. Vorstag lässt. Eine Möglichkeit bei der Fock ist eine Pendelfock (siehe z.B. Micro Magic), beim Groß häufig ein starres rechts/links Gewinde als Niederdrücker oder Niederholer.
Die nächst schlechtere Variante ist eine einstellbare, flexible Abspannung vom Baum nach unten zu dessen Drehpunkt. Die Abspannung verhindert ein Ansteigen des Baums bei zunehmendem Wind und limitiert damit den maximalen Twist. Ohne Wind (und ohne Dirk) werden die Segel allerdings durch ihr Eigengewicht nach unten fallen und damit den Twist komplett aus dem Segel nehmen.
Und wenn gar nichts da ist, haben gerade schwere Segel bei null Wind eben gar keinen Twist und bei mehr Wind stark zunehmenden Twist, der nur durch die Schoten limitiert wird. Da die Zugrichtung der Schoten sich von ganz offen auf ganz dicht stark verändert, ändert sich auch deren Einfluss auf den Twist. Dicht angeknallte Schoten ziehen auch bei starkem Wind den Twist komplett aus dem Segel. Und weil das Groß meist dichter geschotet wird als die Fock, hast du in Böen auf am Wind Kurs schnell mal eine Situation, dass die Großschot den Twist im Groß limitiert, die etwas mehr geöffnete Fock aber oben aufmacht. Damit ist vorne der Druck weg, das Boot will nach Luv. Regattasegler wollen sowas alles natürlich nicht haben.
Bei einem Oldtimer kann man vielleicht damit leben, dass die Segel bei zunehmendem Wind ansteigen. Man darf nur das Groß nicht zu dicht knallen. Alles andere ist eine Frage der persönlichen Lust zum Basteln. Wenn sich das Schothorn der Fock nicht auf dem Baum verschieben lässt (mehr oder weniger Bauch im Segel), kann man das sicher ändern. Pendelfock ist auch keine Rakentenwissenschaft und ein Spannschloss als Niederdrücker am Groß kann man meistens auch irgendwie anbringen, wenn man sich nicht an der etwas geänderten Optik stört. Dann braucht ein Groß auch keine Dirk.
Alles natürlich nur meine Meinung, andere sehen das vielleicht anders.
Grüße
Ralf