Zunächst danke an Brainstorm für den sehr konstruktiven Beitrag.
Der Hinweis auf AIDA als Teil der Betriebsgenehmigung des DMFV klärt die Frage nach der Motivation deutlich.
AIDA berührt die Interessen aller Modellflieger, selbst wenn sie nicht Mitglied im DMFV sind, des Verbands, dem Dienstleister, der die Datenbank und die Analyse betreibt, und die Ergebnisse zur Verfügung stellt, der Aufsichtsbehörden und durch diese auch der politischen Entscheider. Und diese Interessenschwerpunkte sind nicht deckungsgleich, sondern in Teilen sogar konträr. Der typische Modellflieger ist männlich, weiss, älter, materiell gut situtiert, ist technikaffin und hat keinen Migrationshintergrund. Damit gehört diese Klientel nach meiner Beobachtung nicht gerade zur Lieblings-Zielgruppe unserer politischen und kommerziellen Elite. Die Anzahl der Modellflieger ist gesellschaftlich gesehen klein, hat also wenig Einfluss, und unsere Anliegen sind nur unser Hobby, also etwas, was nicht essentiell ist.
Hier sehe ich daher ein Bedrohungspotential, dessen Wirksamkeit man nicht auch noch durch die freiwillige Dokumentation und Überlassung von Ereignissen im ausschließlich negativen Bereich (Unfälle, Beinahe-Unfälle) unnötig massiv verstärken sollte. Jeder Vorfall, sei er noch so harmlos ist einer zuviel. Eine Schwelle, unterhalb der eine Anzahl an Vorfällen toleriert würde, ist mir nicht bekannt. Die Schwere der Vorfälle im Modellflug ist im Vergleich zur bemannten Luftfahrt überwiegend harmlos, aber dafür sehr viel häufiger, gesetzt den Fall, sieht nimmt jede Bruchlandung eines Modellflugzeugs als Vorfall. Hier fehlt auch eine klare Definition, was ein Vorfall ist. Es ist daher naheliegend, dass die Reaktion seitens der Behörden höchst wahrscheinlich weitere Auflagen sind. Wenn erst einmal eine Statistik von zwar harmlosen aber im Vergleich zu anderen Luftsportarten vielen Vorfällen öffentlich diskutiert wird, wird das das Ende des Modellflugs durch dann zwangsweise folgende Überregulierung sein.
AIDA hat mehrere eklatante Schwächen.
Die Datenerhebung ist fehlerhaft. Zitat: „Ein Artefakt nennt man in der Diagnostik einen scheinbaren, tatsächlich jedoch unbeabsichtigt künstlich herbeigeführten Kausalzusammenhang, zum Beispiel durch Fehler bei der Datenerhebung, -auswertung, -dokumentation oder -interpretation.“
Quelle:
https://www.karteikarte.com/card/2290155/was-ist-in-der-statistik-diagnostik-ein-artefakt
Das Auswahlfeld „Influenced by“ führt Unfallursachen ausschließlich auf Fehlverhalten zurück, lässt aber keine Möglichkeit der Angabe von „Not applicable“ zu, was auszuwählen wäre, wenn man die wahrscheinlich häufigste Unfallursache, nämlich technische Defekte berücksichtigt. Damit ist die Erfassung bereits fehlerhaft und das Ergebnis wertlos, da es so zwangsläufig auf einen negativen BIAS zu Ungunsten der Piloten führt.
Die subjektiv wertende Attribute in der Auswahlliste von „Influenced by“ wie „Carelessness“, „Overconfidence“ und „Impaired health“: Diese Attribut-Zuschreibungen sind nicht messbar und nur selten im Einzelfall beweisbar. Man kann z.B. bestenfalls evtl. aus einer sehr hohen Rate von Defekten „Carelessness“ vermuten, nur selten direkt (z.B. fliegt trotz Defekt), aber man sollte im Interesse der Objektivität des Ergebnisses nicht bereits hier einen BIAS durch den Melder (z.B. aus vergangenen Fällen) einbauen, das ist völlig unprofessionell.
Die Anonymität des Verursachers ist nicht gegeben. Das Meldeformular lässt Angaben zu, die aufgrund Alters- und Ortsangabe sowie weiterer Details (z.B. Modell) Rückschlüsse auf den Verein und ggfs. auch den Piloten zulassen.
Die Konsequenzen sind unklar. Zusammen mit der Aussage, dass „jeder Vorfall wichtig“ ist und in Kombination mit der völlig fehlenden Angabe, zu welchen Konsequenzen die Datenerhebung für den Verursacher oder den Verein führen kann, entsteht hier der Eindruck, dass sich der DMFV nicht nur mit der Erhebung von Daten begnügt, sondern sich ggfs. auch an Sanktionen für Piloten oder Vereine beteiligt.
Der Erfassungsrahmen ist unklar. Was ist denn ein Unfall ? Wirklich bereits jede Beschädigung an einem Modellflieger ? Was ist ein Vorfall ? Hier wäre ein Katalog mit Beispielen hilfreich.
Die Wirksamkeit ist unzureichend. Ein Teil der Unfälle wird durch die Uneinsichtigkeit der Beteiligten Vor Ort verursacht. Ohne gezielte Sanktionsmassnahmen (Platzverweis, Ausschluss) wird man das nicht abstellen können.
Das Gebot der Fairness wird grob verletzt. Regelverschärfungen auf Verbandsebene aufgrund Fehlverhaltens der sog. „Problembären“ treffen alle. Und durch Dritte anonym eingestellte Meldungen ohne das vorherige Gespräch mit dem mutmasslichen Verursacher und ggfs. ohne Kenntnis der Ursache sind der Gipfel an Unfairness.
Es gibt keine Notwendigkeit für eine anonym einstellbare Meldungen. Solche Meldesysteme machen dann einen Sinn, wenn der Meldende z.B. in einem Abhängigenverhältnis zum Meldeerfasser steht, und er daher Konsequenzen fürchten muss, wie z.B. die Zufriedenheitsumfrage einer Firma bei ihren Mitarbeitern. Das ist hier nicht gegeben, erst recht nicht, wenn die Beschreibung von AIDA bereits sagt, dass der Melder keine Konsequenzen zu fürchten hat.
Die Qualität der Daten ist fragwürdig und damit auch das Analyseergebnis. Die anonyme Eingabemöglichkeit verhindert eine Rückfrage an den Melder, um z.B. die Echtheit der Angaben und den Kenntnisstand des Melders zu überprüfen. Solche Statistiken sind wertlos, wenn jeder Spaziergänger ohne jede Qualifikation einen Vorfall melden kann.
AIDA ist unangemessen. So ein Portal ist bestenfalls noch in der bemannten Fliegerei adäquat, weil die Folgen eines Unfalls dort viel dramatischer sind, aber Modellflieger ? Nicht umsonst gibt es bei Modellfliegern keine Vorschriften für die Zulassungen eines selbstgebauten Fliegers. Selbst die Folgen eines Unfalls mit dem Fahrrad auf dem Radweg sind meist schwerer und häufiger als Bruchlandungen von Modellfliegern.
AIDA ist ethisch problematisch. Einen Vereinskollegen womöglich noch ohne Gespräch an eine Autorität zu verpfeifen finde ich persönlich einfach nur widerlich. Anonyme Meldungen auch harmloser Dinge fördern eine Kultur des Überwachens und Denunzierens, aber gewiss nicht der Kollegialität oder gar Freundschaft.
Das Meldeformular ist teilweise diskriminierend. Angaben zum Alter des Piloten, und subjektiv wertende Attribute in der Auswahlliste von „Influenced by“ wie „Carelessness“, „Overconfidence“ und „Impaired health“ gehören eindeutig in den Bereich der individuellen Diskriminierung.
Einen Teil der Daten hat der DMFV längst, da jeder Versicherungsfall ohnehin an den DMFV gemeldet werden muss. DIESE Datenbasis ist wahrscheinlich sehr viel eher geeignet, um Rückschlüsse auf Ursachenschwerpunkte zu bekommen.
Die Außenwirkung ist verheerend. Was sagt ein Jugendlicher Neuling wohl, wenn man ihm eröffnet, dass jede Bruchlandung seines Funray oder Easyglider auf dem Vereinsrasen gleich noch eine Meldung an ein bundesweites Melderegister nach sich zieht, und das dessen Statistiken vom Luftfahrtbundesamt beobachtet werden ? Ist das nicht etwas übertrieben ?