Unterschneiden bei ungepfeilten Nurflügeln

jls

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Auf der Internetseite "aerodesign.de" wird im Abschnitt "Schwerpunktlage bei Nurflügeln und Schwanzlosen" beschrieben, daß beim Erfliegen der hintersten Schwerpunktlage eines Nurflügels, im Besonderen bei ungepfeilten, bei einem zu geringen Stabilitätsmaß plötzlich Unterschneiden auftritt, daß mit einem Höhenruderausschlag nicht mehr abgefangen werden kann. Außerdem erfolgt der Hinweis, daß mit der Verringerung des Stabilitätsmaßes das negative Wendemoment zunimmt.
Wo finde ich eine Erklärung der Flugmechanischen und Aerodynamischen Zusammenhänge die zu diesen Flugverhaltensweisen führen?
 
Da hast Du etwas irgendwie falsch interpretiert. Das mit dem Unterschneiden schreibt er beim Pfeilflügel. Zurückgeführt wird es auf Aeroelastische Effekte, also Biegung / Torsion von Fläche und Ruder unter den Luftkräften, die mit dem Steuerausschlag nicht kompensiert werden können.

Beim Wendemoment spekuliere ich so: Bei normaler Schwerpunktlage ist die Druckverteilung am Ruder oben und unten weitgehend symmetrisch, tendenziell sogar etwas überdruck oben, also Abtrieb. -> zunächst positive Wendemoment. Da haben Querruderausschläge noch nicht so starke Widerstandserhöhende Wirkung. Wandert der Schwerpunkt nach hinten, wird die Auftriebsbelastung der Ruder grösser. Entsprechend nimmt auch die Widerstandsdifferenz zwischen auftriebserhöhendem und auftreibsreduzierendem Ruder zu.

Ist aber eine Bauchanalyse, und zum rechenrischen Nachweis reicht wahrscheinlich die Traglinientheorie nicht, sondern man muss die Tragfläche betrachten.
 

Steffen

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Moin,

die Ruderbelastung ist für das negative Wendemoment wohl eher wenig Ursache.

Das negative Wendemoment setzt sich grundsätzlich aus drei Dingen zusammen:

  1. Querrudergiermoment aus Profilwiderstand: der Ruderausschlag verändert den Widerstand.
    Der Widerstandanstieg aus Ruderausschlag ist relativ gering und führt zu keinen nennenswerten gieren bei Ruderausschlag. Indiz dafür ist die Tatsache, dass auch kleineste Ruderausschläge zu negativem Wenden führen.
  2. Querrudergiermoment aus Veränderung der Auftriebsverteilung:
    der Zirkulationssprung am Querruderanfang ist etwa gleich stark auf beiden Flügels-Seiten, der Wiederstandsanstieg ist also auch etwa gleich stark.
    Am Flügelende ist der Zirkulationssprung aus positivem Ausschlag größer (Auftrieb wurde ja erhöht) als der am negativ ausschlagenden Ruder.
    Insgesamt ist das Giermoment aus Änderung der Verteilung des induzierten Widerstandes aber ebenfalls relativ gering.
  3. Das Rollgiermoment entsteht durch das ändern des Anstellwinkels aus der Rollbewegung heraus. Der Auftriebsvektor kippt beim abwärtseilenden Flügel nach vorne (macht also Vortrieb) und beim aufwärtseilenden Flügel nach hinten (macht also Widerstand).
    Das daraus resultierende Giermoment ist um Ordnungen größer als die Momente aus den Widerstandsänderungen


Damit wird auch klar, warum eine weitere Schwerpunktrücklage bei gepfeilten Nurflügeln das negative Wendemoment erhöht: je höher das Auftriebsniveau am aussenflügel (im Querruderbereich) destor stärker die Widerstandsänderung aus den kippenden Auftriebsvektoren.

Eine Querruderdifferenzierung ist in dem Sinne auch nichts anderes, als eine Reduktion des Auftriebes im Querruderbereich wenn das Ruder ausgeschlagen wird.

Ciao, Steffen
 
Steffen schrieb:
Damit wird auch klar, warum eine weitere Schwerpunktrücklage bei gepfeilten Nurflügeln das negative Wendemoment erhöht: je höher das Auftriebsniveau am aussenflügel (im Querruderbereich) destor stärker die Widerstandsänderung aus den kippenden Auftriebsvektoren.
Soweit bin ich grundsätzlich auch gekommen, beim Pfeil ist das offensichtlich. (OK, 3. war mir nicht so bewusst.)

ABER: Siggi merkt die Zunahme des Wendemoments v.a. beim Brett an. Und da ändert sich die Auftriebsverteilung in Spannweitenrichtung ja nicht mit der Trimmung.
 

Chrima

User
jls schrieb:
Wo finde ich eine Erklärung der Flugmechanischen und Aerodynamischen Zusammenhänge die zu diesen Flugverhaltensweisen führen?

Hallo Jls
Solltest Du was "gedrucktes" suchen !?
Unsere erste kleine Bibel (in der Schweiz) war früher dieses Buch.

Andererseits spezifisch Nurflügel "Faszination Nurlügel" von H.-J. Unverferth, was man noch ab und zu in der Bucht findet.

Auf der Seite von Aerodesign findest Du meist auch die (ev.) Quellen angegeben. Vieles sind dann eben Ableitungen.

Gruss
Christian
 
Chrima schrieb:
Unsere erste kleine Bibel (in der Schweiz) war früher dieses Buch.
Nichts gegen das Büchlein, für die Grundlagen ist das sicher gut, aber jls' Fragen gehen schon deutlich tiefer als alles, was darin abgehandelt ist.

(Einfach, dass Du da keine Fehlinvestition machst; Deine Fragen lassen mich vermuten dass Du die 'Basics' gemeistert hast.)
 

jls

User
Zunächst einmal ein Danke für eure Reaktionen.
Meine Frage beruht auf eigenen schon etwas zurückliegenden Erfahrungen mit einem "Brett", b=2000 mm, t=280 mm, Flügelprofil NACA 0009, über die ganze Spannweite reichende Elevons t=55 mm. Bei den Flugversuchen mit dem schrittweisen Zurückverlegen des Schwerpunktes bemerkte ich eine Zunahme des negativen Wendemomentes nicht. Dies konnte daran liegen, 1. mein "Brett" ein verhältnismäßig großes Seitenleitwerk hat, oder 2. mir das Wissen der Erfahrung anderer fehlte. Das Unterschneiden trat so wie von H. Siegmann beschrieben auf; plötzlich und unerwartet, ohne die Möglichkeit es mit einem Höhenruderausschlag zu beenden ging es senkrecht nach unten.
In der Literatur von H.-J Unverferth und Nickel/Wohlfarth fand ich das Unterschneiden betreffend keine Antwort.
Was führt bei einem "Brett" mit einem vollsymetrischen Flügelprofil bei der Rückverlegung des Schwerpunktes von ca 1% zum Verlust der Steuerbarkeit um die Querachse ?
 

Steffen

User
Moin,

ein Brett mit Elevons dürfte auch keinerlei Änderung des negativen Wendemoments in Abhängigkeit der Schwerpunklage zeigen.

Das Unterschneiden kann grundsätzlich zwei Gründe haben:
-mangelnde Höhenruderwirksamkeit
-aeroelastik

Beides sind Dinge, die mit Nurflügeln aufgrund der immanent geringeren (effektiven) Leitwerkswirksamkeiten leichter passieren als mit Drachenkonfigurationen.

Der erste Effekt ist folgendermaßen nachzuvollziehen (es ist dabei egal, ob es sich um Nurflügel oder Drachenflugzeuge handelt):

Ein Höhenleitwerk erzeugt im Schnellflug Abtrieb. Je schneller man fliegt, umso mehr Abtrieb muss es erzeugen. Irgendwann ist das Leitwerk an seinem maximalen Auftriebsbeiwert angelangt. Dann kann es nicht mehr Abtrieb machen und die Steurgrenze ist erreicht -> unterschneiden

Der zweite Anteil ist wohl klar: je schnell desto Ruderverform, desto wenig Ruderfunktion. ;)

Ciao, Steffen
 
Hallo jls,

bei einem Brettnurflügel ein symmetrischen Profil zu nehmen ist überhaupt keine gute Idee.
Hatte mir vor Jahren auch mal ein kleines E-Brett (Streckung 5) mit symmetrischen Profil gebaut , ein gemütliches Fliegen war damit nicht drinn.
Hatte enorme Probleme den Vogel überhaupt in der Luft zu halten, es war ein dauerder Kampf mit dem Höhenruder, hat ständig unterschnitten sobald man etwas schneller wurde .

Was könnte die Ursache sein?
Bei einem symmetrischen Profil decken sich der Druckpunkt und der Neutralpunkt und liegen bei ca 25% der Profiltiefe.
Je nach Streckung des Flügels ist dies auch bei der Tragfläche der Fall , bei kleinen Streckungen liegt er etwas weiter vorne und bei großen Streckungen fast genau auf der t/4-Linie.
Um deinen Flieger stabil zu machen hast Du natürlich deinen Schwerpunkt vor die 25%-Linie gelegt .
Der Schwerpunkt liegt nun aber vor den Druckpunkt und der Flieger nimmt die Nase runter , solange bis sich Schwerpunkt und Druckpunkt wieder decken.
Das ist aber nur der Fall , wenn die Nase nahezu Richtung Erdboden zeigt .
Um überhaupt fliegen zu können beibt nur eins , die Klappen nach oben fahren.
Dadurch erzeut man quasi ein S-Schlagprofil , der Druckpunkt wandert nach vorne und deckt sich dann bei einem bestimmten Anstellwinkel mit dem Schwerpunkt, der Flieger hält die Höhe und tuckelt vor sich hin.
Du eierst also immer mit gezogenem Höhenruder durch die Welt.
Aber wehe die Ruder sind dann wieder im Stark (z.B. um den Bomber schneller zu machen) , dann hast Du wieder den oben beschriebenen Fall des symmetischen Profiles.
Der Schwerpunkt übernimmt nun die Steuerung und zieht die Nase runter.

Wenn Du deinen Schwerpunkt nun nach hinden legst, ist der zum normalen Flug nötige Grundauschlag des Höhenruders natürlich geringer und die Gefahr in den kritischen Zustand zu kommen noch viel schneller gegeben , kleinste Ausschläge reichen dann schon aus .
Die Größe der Klappenauschläge hast Du warscheinlich bei dem Versuch nicht zurückgenommen und dadurch steigt die Ruderwirksamkeit enom an.
Ein labberiges Rudergestänge oder Spiel in der Anlenkung sind dann doppelt tödlich.

Um das Wendemoment würde ich mir in diesem Fall erst mal keine Gedanken machen , erst mal die das Grundlegende Problem lösen und wenn er dann negativ giert kann man immer noch am Seitenleitwerk rumbasteln.

Nimm also bei einem Brettnurflügel ein S-Schalgprofil und nichts anderes.

Mit meinem FLZ_Vortex kannst Du soche Sachen prima nachrechnen .

Gruß

Frank
 
Frank, das ist alles richtig. (v.a. die extreme Kipeligkeit.) Aber es erklärt nicht, warum man mit Gegenruder aus dem Unterschneiden nicht herauskommt.
 
Hallo ,

@ MarkusN

>Frank, das ist alles richtig. (v.a. die extreme Kipeligkeit.) Aber es erklärt nicht, warum man mit Gegenruder aus dem Unterschneiden nicht herauskommt.

Die Frage ist , auf welche Art und Weise jls versucht hat den unterschnittenen (Sturzflug) Flugzustand zu beenden .
Wenn ich in so eine Situation kommen würde , das mein Flieger mit einem Schlag die Nase runternimmt, bekäme ich warscheinlich das 'P' in die Augen und würde ziehen was das Zeug hält.

Habe ich aber bei normaler Schwerpunktlage sagen wir mal einen Klappenwinkelbereich von max -7 Grad bis die Strömung abreißt , so ist es beim Zurücklegen des Schwerpunktes eventuell nur noch -4 bis -5 Grad .
Hat jls aber die Maximal-Ausschläge nicht der neuen Schwerpunktlage angepasst , so zieht er volle Pulle , die Ruder schlagen mit -8 vielleicht -9 Grad aus und die Strömung reißt auf der ganzen Spannweite ab und mit diesem Strömungszustand kann ich den Sturzflug nicht beenden.

Die Panik wird dann immer größer, man klammert sich am Knüppel fest und so bleibt der Strömungsabriss bis zum Einschlag des Modelles erhalten.

Wenn diese Vermutung richtig ist , hätte ein sachter Ausschlag , das Modell eventuell gerettet, vorausgesetzt es ist genügend Höhe vorhanden.

Das ein symmetrisches aber eine unglückliche Wahl ist, darin sind wir uns doch aber einig, oder ?

Gruß

Frank
 

jls

User
Hallo an alle,
hier nun einige ergänzende Angaben von meine Seite.
Der Flügel des Modells wurde aus einem Styroporkern mit einer 0,8 mm starken Abachibeplankung hergestellt. Eine zu geringe Torsionsteifigkeit kann man daher ausschliessen. Die Ruderklappen wurden an der Vorderkante verkastet und auf der Flügeloberseite mit Tesafilm befestigt. Die V-Fuge auf der Unterseite wurde mit einem GFK-Streifen bis auf einen Spalt von ca. 2mm abgedeckt. Eine Ausrundung an der Vorderkante der Ruderklappe ist nicht vorhanden. Bei Fluggeschwindigkeiten die sicher größer als 20 m/sec waren traten nie Flatterprobleme auf.
Mit einer Schwerpunktrücklage von 22 % fliegt das "Brett" im gesamten Geschwindigkeitsbereich problemlos. Als dieses Modell gebaut wurde, gab es für den Re-Zahlbereich des Modellfluges die Flügelprofile CJ-5, NACA 0009, E 182 und E 184 (alle ausprobiert und dann keine Nuflügel mehr gebaut).
Wie von Frank Ranis vermutet wurden bei den Flugversuchen mit der Vergrößerung der Schwerpunktrücklage die Höhenruderausschläge von ca. 8° nicht verkleinert. Nach dem normalen Hochstart am Gummiseil ging das Modell bei einer der ersten Lagekorrekturen in einen Sturzflug über. Entsprechend den Erfahrungen mit Modellen mit Höhenleitwerk wurde bis zum Aufschlag versucht, daß Modell mit einem Vollauschlag Höhenruder abzufangen. Die Fluggeschwindigkeit lag unter der des senkrechten Sturzes.
Frank Ranis sieht als Ursache des Verlustes der Höhenruderwirksamkeit den Strömungsabriss an der Ruderklappe. Für diese Annahme spricht auch die Art der Ausbildung des Ruderpaltes auf der Flügelunterseite mit einer Abrisskante. Von H. Siegmann gab es zu diesem Thema interessante Artikel in "Aufwind" mit theoretischen Geschwindigkeitsberechnungen und praktischen Erfahrungen. Gibt es zur Thematik Profilpolaren und Momentverlauf bei verschiedenen Klappenwinkeln Windkanalmessungen? Welchen Einfluss hat die Art der Ausführung des Ruderscharniers?
Die mir bekannten Messungen von D. Althaus (Stuttgard) sowie die Summary of Low-Speed Airfoil Data geben hierzu keinen Aufschluss.
Es ist mir bewußt, das ein fliegen von ungepfeilten Nurflügeln bei entsprechender Schwerpunktlage mit Höhenruderasschlägen von ca. 4° möglich ist. Die Auswirkungen derartiger Klappenausschläge auf die Profilpolare und den Verlauf des Profilmomentes scheinen mir bisher verhältnismäßig wenig untersucht worden zu sein. Das einzige Beispiel einer theoretischen Betrachtung sind die Polaren für das JWL 104 von J. W. Leinauer.
 

Peter K

Vereinsmitglied
Brettprofile neigen zu Strömungsabrissen bzw Blasenbildung vor den Rudern. Diese Beobachtung habe ich recht deutlich beim Schischi mit dem JWL065 gemacht. Da bricht die HR-Wirkung schlagartig ab und das Modell geht auf die Nase, ohne Trudeltendenz.

Ob dieses Verhalten auch im Schnellflug passieren kann ist zwar nicht ausgeschlossen, aber pure Spekulation meinerseits, ich vermute dass die Blase flacher, aber länger wird und so die HR-Wirkung bzw das positive Profilmoment aufhebt. Dazu müsste man mal mit Wollfäden und ner Videocam die Strömung im Ruderbereich untersuchen.

Was für mich eindeutig für diese Theorie spricht, ist dass das "Allheilmittel" Schwerpunkt-Vorverlegung das Problem nicht behebt.
 
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