Exmatrikulator: Ein Hangflugsegler als Vereinsprojekt

Teil 1: Flugzeugentwurf

von Alexander Guffler.​


"Von liiiinks!" höre ich meinen Kommilitonen rufen. In Vorfreude auf das pfeifende Vorbeirauschen eines Modells beginne ich, linker Hand den Himmel abzusuchen. Doch die Hoffnung auf einen spektakulären Vorbeiflug endet jäh, als ich entdecke, dass da gemächlich von links ein Styropor-Zagi angeschlichen kommt. "Na ja was soll's, Hauptsache er hat Spaß..." denke ich mir. Mein Freund mit dem Zagi kann sich sogar glücklich schätzen, denn in aller Eile konnte er kurz vor dem Aufbruch zum Hangflugwochenende noch dieses Modell zusammenbasteln, sonst hätte er gar nichts dabei gehabt.

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links: Zagi - rechts: Ascender.​

Gebaut hat er das Modell in unserer Werkstatt in Garching, bei der Akademischen Modellfluggruppe München. Wir entwerfen und bauen Modellflugzeuge im wissenschaftlichen Kontext. Wir nehmen regelmäßig an studentischen Wettbewerben teil (Top Platzierungen in der Air Cargo Challenge) oder entwerfen Modelle für existierende FAI Klassen wie F5D (Batleth, Weltmeisterschaft 2006) oder F3K (Ascender). Die Mieten in München sind hoch, der studentische Geldbeutel leer, doch die Motivation ist ungebremst: Also wird gebaut, was die Formen hergeben! Doch bisher sind, was Hangflug angeht, keine passenden Modelle im Portfolio. Deshalb werden vor dem Ausflug zum Hang eben auf unserer Styroschneide Zagikerne geschnitten. Natürlich sind einige Leute auch mit gebrauchten Seglern eingedeckt oder nehmen kurzerhand einfach den Ascender Schleudersegler und befestigen mit Klebeband genügend Ballast, um am Hang überhaupt noch vorwärts zu kommen.
Anmerkung: Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der bisherigen Posts im Forum.


Idee

Schon lange war der Traum geboren, ein vereinseigenes Hangflugmodell zu haben. Also sprich komplett selbst zu entwerfen, Urmodelle zu fräsen, Formen zu bauen und die Modelle selbstverständlich auch in unserer Werkstatt zu laminieren! "Exmatrikulator" bezeichnet einen Professor, durch dessen schwierige Klausuren reihenweise Studenten das Studium nicht schaffen und die Uni wieder verlassen, also exmatrikulierten. Für uns ist der Name trotzdem nicht unbedingt negativ belegt, denn auch ein erfolgreiches Studium endet offiziell mit einer Exmatrikulation.

Was macht ein Hangflugmodell aus? Das ist eigentlich gar nicht so einfach zu beantworten. Kann man nicht alles, was am Hang fliegt, als Hangflugmodell bezeichnen? Der Begriff lässt viel Spielraum. Wenn wir Hangsegler sagen, wird es schon klarer: Das Flugzeug soll sich im Segelflug vorwärts bewegen. Und genau das soll auch der Exmatrikulator hauptsächlich tun, deswegen soll er entstehen und dafür wird er ausgelegt. Aus Verantwortung für die Sicherheit schließen wir einen elektrischen Hilfsantrieb im Konzept mit ein.
Für einen Hangflugmodell ist es naheliegend, sich an einem F3F Flugmodus zu orientieren. Neue Weltrekorde soll der Exmatrikulator trotzdem nicht aufstellen. Er soll möglichst bei jeder Bedingung am Hang einsetzbar sein. Also gut in der Thermik kreisen, schnelle Ablasser überstehen und durch Wendigkeit eine Menge Spaß bringen. Das Modell sollte ein guter Kompromiss aus Materialkosten und Größe bzw. Performance sein. Daher haben wir uns auf eine Spannweite von 2,20 Meter geeinigt.

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Aerodynamische Optimierung

Simulation
Ein eigens programmiertes Tool erstellt ein Flugzeugdesign aus gegebenen Parametern und wertet dieses anhand vorgegebener Kriterien aus. Also sprich, die Flugleistung dieses Entwurfs wird aerodynamisch berechnet. Dies geschieht gleichzeitig für 20 bis 100 Entwürfen pro Iterationsschritt. Mit dem Ergebnis der Evaluierung passt der Optimierungsalgorithmus die Eingabeparameter an und beginnt von vorne. Einige dieser Modifikationen führen zu besseren Flugzeugdesigns als andere. Dieser Schritt wird wieder und wieder durchgeführt. Mit der Anzahl der Iterationen werden die Flugzeugdesigns immer besser, bis irgendwann ein „Optimum“ für unsere vorgegebenen Kriterien erreicht ist. Zu Beginn sind die Entwurfsparameter willkürlich vom Tool gewählt und das Ergebnis ist meistens unbrauchbar. Erst mit steigender Anzahl der Iterationen bekommen wir ein optimiertes Flugzeugdesign. Bevor ein Flugzeug in die Konstruktion geht, werden so insgesamt mindestens 10.000 verschiedene Entwürfe durch den Computer laufen.

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Um einen F3F Kurs zu simulieren, wurde eine Simulation charakteristischer Punktleistungen erstellt:

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0. - Das Modell wird gestartet und muss mit Geschwindigkeit A
1. - 30 s im geringsten Sinken verbringen (d.h. Höhe aufbauen am Hang), muss aber nach 100 m Strecke wieder umdrehen, um nicht zu weit weg zu fliegen. Also haben wir Geradeausflug und eine Kurve jeweils im geringsten Sinken. Die dabei verlorene Höhe wird aufsummiert.
2. - Anstechen bis eine Geschwindigkeit B erreicht ist, die dabei verlorene Höhe wird weiterhin aufsummiert.
3. - Ein Kurs mit 10 x 100 m Strecke und neun Turns muss mit Geschwindigkeit B in möglichst kurzer Zeit absolviert werden. Die dabei verlorene Höhe wird aufsummiert.

Heraus kommt die insgesamt verlorene Höhe und die Zeit für den Kurs. Also zwei "Kosten", die gegeneinander abgewogen werden müssen. Simuliert man zahlreiche Flugzeugentwürfe, dann ergibt sich eine Grenzlinie, die sogenannte "Pareto-Front". Hier sieht man, dass langsame Entwürfe weniger Höhe verlieren als schnelle und umgekehrt.

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"Das ist auch ohne Simulation einleuchtend" würde vermutlich der ein oder andere sagen. Wo aber liegt jetzt der attraktivste Kompromiss? Da bildet sich oft eine Stelle in der "Pareto-Front" aus, die in allen "Kosten" eigentlich ganz in Ordnung ist. Hier um die 40 s Rundenzeit bzw. 300 hm. Aus diesen Lösungen wurde der finale Entwurf ausgesucht. Die Ergebnisse erscheinen für eine vereinfachte Simulation akzeptabel, wenn man echte F3F Zeiten ansieht und im Hinterkopf behält, dass es sich um ein 2,2 m Modell handelt.


Kritik
Natürlich muss dazu gesagt werden, dass es sich bei solch einer Simulation um eine stark vereinfachte Abbildung der Realität handelt.
Manöver, wie das "Pumpen" im F3F, können so nicht dargestellt werden, weil der Rechenaufwand dafür immens höher ausfallen würde. Selbst heutzutage hat man nicht unendlich viel Rechenleistung und komplexere Modelle müssen auch nicht unbedingt näher an der Realität sein. Sie müssen erst durch Messungen verifiziert werden.

Die Ergebnisse werden nicht immer quantitativ 100%ig stimmen, die qualitative Vergleichbarkeit von verschiedenen Flugzeugparametern und Profilen reicht aus, um eine Optimierung vorzunehmen. Die Kunst ist es, einerseits die richtige Vereinfachung zu wählen, andererseits die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und nachzuvollziehen. Das Werkzeug ist also nur so gut, wie es benutzt wird. Die Optimierung wird laufend kontrolliert und gegebenenfalls angepasst und neu gestartet. Der Optimierungsalgorithmus ist nämlich gnadenlos: Schlupflöcher, wie negative Widerstände durch Rechenfehler in XFOIL, werden gefunden und verfälschen die Flugleistungen. Auch extreme Laminarprofile sind erfahrungsgemäß eher unerwünscht und müssen in der Optimierung vermieden werden.

Alle interessanten Ergebnisse werden daher unabhängig vom Optimierer in XFLR5 manuell kontrolliert. Tatsächlich kommt erfahrungsgemäß aus einer solchen Optimierung oft etwas heraus, was man so in der Art schon vermutet hätte oder bereits von gängigen Entwürfen kennt. So ist der finale Exmatrikulator-Entwurf am Ende zahlenmäßig auch nicht weit ab von vergleichbaren Modellen.


Ergebnis
Der Flügelgrundriss ist durch eine überelliptische Funktion mit Zuspitzung generiert. Die Klappentiefe ist dabei relativ auf den gesamten Flügel bei 70%, also an dieser Linie sind die Profile ausgerichtet. Beim Höhenleitwerk weicht das der Optik halber ein bisschen ab, ansonsten gibt es hier auch eine Über-Ellipse. Größen- und Hebelverhältnisse basieren auf Erfahrungswerten.

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Die Flügelprofile sind, wie schon erwähnt, Ergebnis aus der gleichen Optimierungsrechnung. Blau: Innen, Grün: Außen. Verlauf von Dicke, Dickenrücklage und Wölbung ist so, wie man es bei einem passenden Profilstrak erwarten würde. Das kommt so aus dem Optimierer, wird aber erst dann besonders spannend, wenn man prüft, ob diese Profile wirklich zur Flügelgeometrie und diese auch zu den Profilen passt. Ziel ist es, neben der Re-Zahloptimierung auch günstige Abreißeigenschaften und ein gutes Handling zu erreichen.

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Der Rumpf wird nach den zu erwartenden Stromlinien beim getrimmten Geradeausflug geformt, die Optik ist aber am Ende auch wichtig.

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Teil 2 wird sich mit Konstruktion und Detaillösungen befassen. Wer möchte, kann sich bis dahin gerne im Exmatrikulator Thread umsehen und die Bilder von den ersten Urmodellen finden.
 
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