"It's Christmas everyday"

Andy Park sitzt auf seinem Sofa im Wohnzimmer, hinter ihm leuchtet ein schneeweißer Plastikweihnachtsbaum, über ihm, an der Decke, blinkt eine Lampe in Form eines Weihnachtssterns, erst rot, dann grün, dann gelb. Am Kamin hängen 24 handgroße Weihnachtsmänner an einer Schnur. Im Wintergarten steht ein zweiter Plastikweihnachtsbaum, auch er ist weiß, geschmückt mit Kugeln und Kerzen. Unter dem Baum liegen Geschenke, sorgfältig eingepackt, mit bunten Schleifen. Es ist noch eine gute Woche bis zum Fest.


Park hat die Geschenke unter dem Baum selbst ausgesucht, gekauft, verpackt. Er wird sie sich selbst schenken, alle. Gestern hat er eins geöffnet, eins von den großen. Es war eine elektrische Gitarre, eine Fender Stratocaster. Park hat sich trotzdem gefreut, sagt er.

Auch heute hat er ein Geschenk geöffnet, ein kleines. Eine goldene Halskette, schwer und wuchtig, passend zu seinem Hals. Morgen wird Park auch ein Geschenk öffnen, und übermorgen, überübermorgen, natürlich an Weihnachten, aber auch an Silvester, am 1. Januar, am 2. Andy Park, 45 Jahre alt, selbständiger Elektriker in Melksham, in der englischen Grafschaft Wiltshire, feiert Weihnachten jeden Tag. Seit 12 Jahren.

Jeder seiner Tage beginnt mit einem Truthahnsandwich, ein paar Hackfleischröllchen und einem Glas Sherry. Dann verlässt er das Haus, repariert ein paar Waschmaschinen, kehrt gegen 11.30 Uhr zurück und schiebt einen Truthahn in den Ofen. Ist der Vogel gar, legt Park ein paar Kartoffeln neben das Fleisch, Erbsen, gibt Bratensaft darüber und genehmigt sich ein Glas Rotwein.

Nach dem Essen geht Park ins Wohnzimmer, wo das ganze Jahr über der weiße Plastikweihnachtsbaum steht, schaltet den Videorecorder ein und sieht sich die Weihnachtsrede der Queen an. Er nimmt sie jedes Jahr am 25. Dezember auf. Im vergangenen Jahr sagte die Queen etwas über das friedliche Miteinander der Kulturen. Nach der Rede nimmt sich Park ein Geschenk und packt es aus. Dann zündet er ein paar Zimmerböller, aus denen Konfetti regnet. Manchmal singt er. Allein.

Park hat eine Freundin, aber sie feiert selten mit ihm. Er hat auch eine erwachsene Tochter. Sie kommt selten zu Besuch. Park beschenkt in der Regel nur sich selbst. Caz, seine Tochter, sagt über ihren Vater, er sei ein "Crackpot", ein Spinner.

Fährt Park in Urlaub, fragt er vorher, ob er im Hotel täglich Truthahn und Kartoffeln bekommen kann, hindert ihn die Arbeit am Kochen, kümmert sich eine Nachbarin ums Essen, laden Freunde ihn zum Essen ein, verlangt er Truthahn. Das Ganze hat etwas Verbissenes.

Park feierte sein erstes tägliches Weihnachten am 14. Juli 1993, er war 33 Jahre alt, saß in seinem Wagen und verfluchte die Hitze des Sommers, seinen Job und sein Leben, das aus einer endlosen Reihe defekter Waschmaschinen, Geschirrspüler, Herde zu bestehen schien. Da musste mehr sein, aber was? Park versuchte sich an außergewöhnliche Tage zu erinnern, an Tage, an denen er sich gut gefühlt hatte. Weihnachten fiel ihm ein. Der Baum, der Duft des Essens, Lieder, Gelächter und natürlich die Geschenke. Weihnachten hatte er sich immer gut gefühlt.

Auf dem Weg nach Hause kaufte er einen Truthahn und ein Geschenk. Er weiß nicht mehr, was es war, aber er weiß, dass der Tag von diesem Moment an schön war. So begann Parks Obsession. Er sagt, er finanziere sie mit seiner Arbeit als Elektriker, außerdem lege er an drei Abenden in der Woche Platten auf in lokalen Clubs.

Anfangs war Parks Obsession seine Privatangelegenheit. Doch bald erfuhren seine Nachbarn davon, die Menschen in seiner Straße, in seiner Stadt. Sie begannen über ihn zu reden, über den seltsamen Kerl, der selbst im Hochsommer einen Weihnachtsbaum in seinem Haus stehen hat und allein feiert. Ein Pfarrer empörte sich über ihn, sprach von einer Entweihung des Festes. Park freute sich darüber, er fand Gefallen an der Aufmerksamkeit.

Er war nicht länger nur ein unbekannter Elektriker, er wurde zu Mr Christmas, verlacht, aber prominent, in seiner Stadt. Irgendwann war er im Lokalradio zu hören, mit einem Weihnachtslied, später rutschte er ins nationale Programm, als Teil der vorweihnachtlichen Freakshow.

Mittlerweile hat Park es ins Fernsehen geschafft. Er war in einer Kochshow zu sehen, am Nachmittag, er trat bei "Top of the Pops" auf, nicht als Sänger, als Ansager, auf dem Kopf trug er einen roten Zylinder. Park gibt viele Interviews, jetzt, in der Vorweihnachtszeit. Er verlangt 100 Pfund für zwei Stunden seiner Zeit. Sein tägliches Weihnachtsfest scheint ihm nicht mehr wirklich wichtig zu sein. Er ist zum Manager seiner Obsession aufgestiegen, sie zu vermarkten ist sein Job. Er jongliert mit Interview-Anfragen aus Italien, Australien, den Niederlanden, Deutschland. Er hofft, den Elektrikerjob endgültig hinter sich lassen zu können, es auf die Bühne von "Top of the Pops" zu schaffen und nur noch prominent zu sein. Ein Lied soll ihm dabei helfen, er hat es selbst komponiert, es trägt den Titel: "It's Christmas everyday". Man kann es im Radio hören, er hofft auf einen Weihnachtshit.

Fragt man Park, wie er seine Chancen einschätzt, wiegt er den Kopf hin und her und sagt: "Das Rennen ist noch offen." Es gebe ein paar ernsthafte Konkurrenten: den "Crazy Frog" und ein paar Schafe, die "Jingle Bells" blöken.


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