Ca. 20 Betriebsstunden später von mir auch Neuigkeiten: ENDLICH ist das Thema Temperaturschwankungen vom Tisch!
Der Fehler saß, wie sich das gehört, vor dem Computer. Genauer gesagt, ein Anfängerfehler erster Güte, von dem ich mir aber vorstellen kann, dass er nicht allzu selten ist. Daher etwas ausführlicher; vielleicht kann ich dem einen oder anderen die gleichen Erfahrungen ersparen:
Nachdem sich die anfängliche Hoffnung, die ich in das PID-Tuning gesetzt hatte, ebenfalls als trügerisch erwies, wollte ich mich schon so langsam mit dem Gedanken anfreunden, in naher Zukunft den Thermistor im Hotend austauschen zu müssen. Heute allerdings habe ich dann zum ersten Mal mit 270°C gedruckt (was ich, nebenbei, auf PEI nicht nochmal tun werde - auch das neu gelernt), und dabei überraschte Octoprint mich mit diesem Temperaturgraphen:
Ich konnte es kaum glauben und bin erstmal zum Drucker gelaufen, dessen Display aber dasselbe sagte. Nun kann ja so ein Verhalten nicht mehr auf einen Sensordefekt zurückzuführen sein, das sieht eher so aus, als wäre da eine Überlast-Schutzschaltung aktiv geworden oder so. Also die Prusa-Supportseiten durchsucht und schließlich hier fündig geworden:
https://help.prusa3d.com/l/en/article/RAMPH7jOTm-thermal-runaway-temperature-drops
Zitat:
All hotend heaters are thoroughly tested, so they can run at 200°C with the print cooling fan at a 100% speed (set in Slic3r Filament - Cooling). To print materials that require higher temperatures, the speed of the fan is decreased. For example, PETG requires 240°C, so the fan runs at 40% of its maximum speed. There's a balance between nozzle temperature and fan speed, because higher temperature filaments set more quickly.
Was da allerdings nicht steht: "the speed is decreased" bedeutet nicht, dass der Drucker die Geschwindigkeit selbst abregelt, sondern die Abregelung wird in den G-code geschrieben - natürlich nur dann, wenn man 1. den offiziellen Slic3r PE benutzt und 2. die darin enthaltenen Filamentstandards, ansonsten ist es Sache des Anwenders, dafür zu sorgen.
So einfach kann's sein - das E3D V6.1 kann also Temperaturen über 200°C gar nicht dauerhaft halten, wenn der Bauteillüfter auf höheren Drehzahlen läuft. Dem habe ich bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt und ihn in den meisten Fällen (außer Vasenmodus) ab Layer 6 auf 60-100% laufen gelassen.
Also einfach beim nächsten Druck den Lüfter abgestellt (TPU bei 238°C mit Layerzeiten über 60 Sekunden - da brauche ich den eh nicht), und was soll ich sagen - Perfekt. Nicht nur keine größeren Schwankungen mehr, auch die kleinen Regelschwankungen sind viel feiner geworden.
Als nächstes habe ich mir dann mal die Lüfterkonfigurationen in den Filament Settings der Standardmaterialien von Slic3r PE angeschaut - wow, die sind schon verdammt differenziert und spiegeln genau die obige Aussage wieder. Die werde ich dann wohl zukünftig grundsätzlich benutzen und auch in die anderen Slicer übertragen. Dumm nur, dass weder Cura noch Simplify3D so viel Feintuning in den Filament-Einstellungen gestatten; da muss die Lüftersteuerung in beiden Fällen in jedes Druck-Setup geschrieben werden.
Auf jeden Fall möchte ich nach den gemachten Erfahrungen jedem ans Herz legen, seinen 3D-Drucker am Host zu betreiben, statt per SD-Karte zu drucken. Abgesehen davon, dass es viel komfortabler ist, hätte ich ohne dieses Maß an Überwachung wahrscheinlich jahrelang so weitergedruckt, ohne dass mir die Fehlkonfiguration aufgefallen wäre. Kein sehr schöner Gedanke, was das u.U. bedeutet hätte, wenn ich mal ein Ruderhorn versehentlich teilweise mit 15°C Untertemperatur gedruckt hätte. Und so ein Raspi (nicht den Zero W nehmen, sondern den 3B+!) kostet keine 40 Euro - das Gehäuse druckt man sich selbst, und das Netzteil hat man noch vom vorletzten Handy übrig.
@Matze: Weißt du, warum Thermoelemente statt Heiß- oder Kaltleitern verwendet werden? Liegt das an den Grenztemperaturen der Widerstandsmaterialien? Weil, wenn ich den Wiki-Artikel richtig verstehe, erzeugt ein Thermoelement maximal 10 mV pro 100°C Temperaturdifferenz. Das bedeutet, für unsere Zwecke müssten rund 20 µV aufgelöst werden, was mir verdammt anspruchsvoll vorkommt.
Tschöö
Stephan