You get what you pay
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Liebe Modellflugkollegen,
auch wenn die Überschrift abgedroschen klingt - ich kann Euerer Qualitätsprobleme nachvollziehen, aber die Klagen darüber nicht.
Beruflich habe ich in einer ganz anderen Branche viel mit China zu tun, aber meine Erfahrung lässt sich voll auf den Modellbau übertragen.
Es gibt:
Das billige China und das teuere China.
Im teueren China gibt es Ingeniere, Entwickler und Qualitätsspezialisten, die Ihre Erfahrung darüber, was ein europäischer oder amerikanischer Kunde erwartet, eventuell sogar selbst durch Auslandsaufenthat oder Studium in Europa oder USA erworben haben. Die entwicklen Ware guter Qualität, kosten aber umgerechnet mindestens 4 Euro pro Stunde, die Arbeiter 1,5 €.
Im billiigen China gibt es einen Chef, zwei Mädels im Büro und die Arbeiter. Keiner hat eine Ahnung, oft spricht aber wenigstens eine(r) schlechtes Englisch. Sie machen alle genau das, was der Kunde vorgibt und machmal übersehen oder vergessen sie etwas. Manchmal wollen sie auch etwas übersehen. In den Details, die der Kunde nicht genau vorgibt, machen sie mit 80% Wahrscheinlichkeit Quatsch. Sie kapieren nicht was sie machen und warum. Das liegt nicht daran, dass sie doof sind, sondern daran, dass sie in einem anderen Kulturkreis mit ganz anderen Erfahrungen und Werten aufgewachsen sind. Dafür kosten die Arbeiter nur 1,1 Euro pro Stunde (die Zeiten, als für 50 cent pro Stunde gearbeitet wurde, sind auch in China vorbei). Wenn ein Arbeiter irgendwo anders mehr bekommt, wechselt er den Job. Die Personalfluktuation pro Jahr beträgt 200%!! (Das ist keine Vermutung). Eine vernünftige Einarbeitung lohnt nicht und mehrjährige Erfahrung ist undenkbar.
So, und jetzt reden wir über Namen. Kaufe zum Beispiel ein, sagen wir Kunstflugmodell, von Extreme Flight, Goldwing, Pilot-Rc. Das ist das (etwas) teurere China. Meine Goldwing, zwei Stück eines Vereinskollegen und die Pilot-RC eines anderen Kollegen fiegen Klasse, sind durchdacht (obwohl auch nur aus billig-Sperrholz hergestellt und mit dem üblichen Kaugummi zusammengeklebt), sie kippen beim Aushungern nicht zur Seite ab, pendeln auch beim Hoovern kaum und haben (meist, je nach Variante) Kohlefaserfahrwerk, -holme und sonstiges Zubehör bester Qualität, das man komplett bedenkenlos verwenden kann, sind mit Oracover bebügelt, die Einstellwerte stimmen und - achja, von Goldwing habe ich auch nach 3 Jahren noch Ersatzeile bekommen, das gibt's auch von den anderen genannten. Warum? Vermutlich weil Cheffe oder Entwickler selbst damit fliegen, und aus eigener Erfahrung schlechter Qualität oder schechte Flugeigenschaften nicht mögen, ab und zu selbst Ersatzteile brauchen und alles so lange verbessern (dürfen), bis sie selbst zufrieden sind. Schwachpunkt bei meinem Modell ist die Fahrwerksbefestigung im Rumpf, die habe ich verstärkt, offenbar können Chinesen besser landen als ich :-).
Solch ein Modell (ist zwar billiger als aus europäischer Produktion) kostet meist leerel die Hälfte mehr, als bei den Billigheimern ein gleichgroßes Modell mit eingebautem Motor, Regler und Servos.
Die Billigen könnten auch gute Ware machen, wenn vom Importeur/Auftraggeber aus optimiert würde. Das kostet dann aber mehrere Optimierungsschleifen und viele Überzeugungsversuche, die ersten zwei Seecontainer der Produktion kann man quasi versenken. Und damit wird es eben auch teurer. Die einschlägigen Händlier sind stattdessen darum bemüht, sich gegenseitig im Preis zu unterbieten und darüber hinaus dauernd neue Modelle zu präsentieren. Daher findet eine solche Optimierung nicht statt.
Also haben die Billigmodelle ein bleischweres Fahrwerk aus Weichaluminium, schwere Alu-Steckungsholme, fast unbrauchbares Anlenkungs-Zubehör, manchmal sogar nicht ausprobierte Schwerpunktangaben, und sie fliegen einfach so wie der erste Prototyp, der es überhaupt in die Luft geschafft hat. Also manchmal gar nicht sooo schlecht.
Zum Thema Bausätze: Einzelteile transportsicher zu verpacken kostet in China fast genausoviel, wie sie gleich zusammenzukleben. Zusammengeklebt macht es aber mehr her. Es gibt noch ein Problem: Einzelteile zusammengeklebt sind vollständig und sie passen zusammen. Bei Einzelteilen einzeln ist das meist nicht so.
Im Elektroseglersegment gibt es 3,5 m Segler mit Motor, Regler und Servos für 250 €. Beim ersten Looping kommt das große Flattern und die Balsabeplankung löst sich vom Holm. Wundert mich das? Vor knapp 40 Jahren bekam man für das (inflationsbereinigt) gleiche Geld einen "Schnell"bausatz eines 2,5 m Seglers mit schlecht vorgestanzten Balsateilen und einigen Kieferleisten. Heute ist alles Spottbillig geworden - wir jammern also auf sehr hohem Niveau!
Viele Grüße und viel Glück bei der Fliegerauswahl,
Frank