"Unterschneiden", wie kommt es dazu?

@dix:
Ist schon mein voller Ernst, schließlich habe ich vor 7 Jahren den PPLA gemacht und noch nie, weder in der Schulung noch am Stammtisch, bei den Manntragenden etwas zu diesem Thema gehört. Seit ein paar Jahren bin ich auch beim Segelflug, speziell Oldtimer, dort dasselbe. Werde aber bei Gelegenheit mal nachfragen und berichte dann.
Eins ist natürlich klar: Eine Konstruktion mit der Möglichkeit des U. bekäme keine Zulassung. Wie dem auch sei, ich habe den Eindruck, das Phänomen des U. ist nur Thema bei den Modellfliegern.

@mike:
Wenn das Unterschneiden allein von der Schwerpunktlage abhängt, stellt sich mir die Frage, wie dies bei(annähernd)korrektem Schwerpunkt möglich sein soll. Daran fügt sich die Frage, ob unsere Modelle denn auch mit richtiger Schwerpunktlage geflogen werden (was ja wohl meistens der Fall ist, sonst gäbe es wohl wesentlich mehr Spektakuläres zu sehen ...).
Nun denn...
Gruß vom Holzflieger
 

jwl

User †
durch die grössere massenträgheit grösser CAs und grösser REzahlen sind beide welten NICHT zu vergleichen.
man kann es zwar tun wird sich dabei keinen gefallen tun. das unterschneiden kommt auch durch die hysterese des cas beim hoehenleitwerk. bzw der beiden flächen.


einfaches beispiel leitwindsegler 20g flächenbelastung wird aufgebleit auf 60g es ist immer noch die selben flieger nur nicht mehr in der luft. der unterschied ist so gewaltig das man glaubt ein ganz anders flugzeug zu bewegen.
von den ruderreaktionen auch die längsstabiltät ist eine andere obwohl der schwerpunkt immer noch an der selben stelle sitzt.

gruss jwl
 

Hans Rupp

Vereinsmitglied
Hallo

Wie dem auch sei, ich habe den Eindruck, das Phänomen des U. ist nur Thema bei den Modellfliegern.
Einige Himmelslaus-Versionen hatten das Problem. Da war das ein Thema. Es rührte von der Verwendung nicht druckpunktstabiler Profile her.

Hans

[ 09. März 2004, 13:06: Beitrag editiert von: Hans Rupp ]
 

Steffen

User
Sorry, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten.

Die ganzen Diskussionen um EWD, Unterschneiden, Stabilitätsmaße und allem was dazugehört, landen leider immer wieder bei einem Haufen Ungereimtheiten und groben Schätzungen.

Ich gehe mal auf ein paar Punkte ein, die hier leider sehr durcheinandergeworfen wurden.

Zunächst: Unterschneiden ist ein Ausdruck, der total unscharf ist. Was versteht der jeweilige überhaupt darunter? Mangelnde Längsstabilität oder Steuerbarkeitsgrenzen? Verzweigungspunkt in mechanischen Gleichgewichten (Flügelrunternehmen) oder Servokraftgrenzen?

Gehen wir zunächst mal auf diese Punkte ein, ohne zu entscheiden, was unterschneiden wohl sein mag (denn jedes hat seinen eigenen Namen, wozu also versuchen, irgendeinem einen anderen Namen (=Unterschneiden) zu geben?)

Ich halte mich hier mal an die Grundlagen ohne Beispiel und Tiefinterpretationen, weil die Grundlage das wichtigste ist und diese nicht vereinfacht werden kann, sonst kommen immer wieder völlige Misinterpretationen zustande (siehe auch andere Diskussionen zu EWD und Winkel und Stabilitätsmaße)

  1. Mangelnde Längsstabilität
    Die Längsstabilität ist der Gradient der rückführenden Kräfte und Momente bei einer Störung/Zustandsänderung. Es handelt sich nicht um rückführende Kräfte/Momente an sich. Um dies zu verstehen ist ein Segelboot prima. Unten hängt ein Gewicht dran und oben drückt der Wind in die Segel. Betrachten wir zunächst nur das Pendel aus der Bleibombe unter dem Rumpf: Liegt das Segelboot horizontal im Wasser (also 90° Querneigung), so ist es indifferent, liegt es mit etwas über 90° Querneigung im Wasser, sogar labil, denn das rückführende Moment wird mit kleinerer Auslenkung sogar niedriger. Dennoch gibt es ein rückführendes Moment. Zunächst ist dies erstaunlich, aber Stabilität ist nun mal der Gradient und nicht der Wert selbst.
    Da ein Segelboot aber nun vom Wind aus der senkrechten gebracht wird (die Segel'last') und der Wind bei horizontal liegendem Boot kein Moment mehr auf das Segel ausüben kann, ist das Gesamtsystem aus Segel und Bleikiel eben doch wieder funktionsfähig.
    Der Unterschied wird etwas klarer, wenn man nicht Wind sondern eine nicht vom Wind abhängige Kraft an der Mastspitze ziehen lässt: wenn dies Kraft solange ansteigt, bis das Boot horizontal liegt und dann ohne die Kraft zu verringern über die horizontale geht, dann dreht das Boot wegen gleicher störender Kraft (ist mit dem Hebelarm ein Drehmoment) aber reduzierendem aufrichtendem Moment einfach weiter.
  2. Steuerbarkeitsgrenzen
    Eine einfache Vorstellung für die Steuerbarkeitsgrenze ist ein Strömungsabriss am Leitwerk. Man fliegt immer schneller, die Nickmomente des Flügels werden immer größer, der Auftriebsbeiwert am Leitwerk deswegen ebenfalls und irgendwann ist Schluss für das Leitwerk. Es folgt ein Abriss und damit hat man eine schlagartige Änderung der Momentenbilanz des Fliegers. Dies sollte aber eigentlich durch ziehen zu beheben sein (bei Normalflugzeugen und hinreichender Reaktionsfähigkeit des Piloten), wenn man kein Pendelleitwerk hat, weil durch das dann gewölbte Höhenleitwerk das cA_max höher ausfällt)
    Eine andere Variante für Steuerbarkeitsgrenze ist übrigens ein deutlich zu hohes Stabilitätsmaß. Dann kann man nicht so langsam werden, dass der Flügel überhaupt zu seinem maximalen cA kommt, oder ich kann voll gedrückt nicht mehr schneller werden, weil die Längsstabilität gegen meinen Ruderausschlag gewinnt.
  3. Verzweigungspunkt
    Wenn man immer schneller fliegt, werden die Lasten immer größer. Die Torsionslast auf dem Flügel steigt und dadurch verdreht der Flügel. Durch die Verdrehung reduziert sich aussen der Anstellwinkel und die Auftriebsverteilung ändert sich (innen mehr aussen weniger). Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem das Flugzeug zwar noch Auftrieb macht (wir betrachten ja stationäre Zustände, also Auftrieb gleich Gewicht), aber der Flügel keine Aufwärtsbiegung mehr macht, sondern abwärts gebogen wird (die Torsion und Reduzierung des Auftriebes aussen ist soweit gegangen, dass es sogar Abtrieb nacht).
    Jetzt kann etwas sehr spannendes passieren, was begünstigt wird, wenn man Spiel in der Flügelaufhängung hat:
    Der Flügel biegt etwas nach unten, durch das Spiel sogar mit deutlichem 'Flügelschlagen' (das ist kein Flattern!). Durch die Abwärtsbiegung und eine Biegetorsionskopplung (bei Strukturen mit der Geometrie eine Tragflügels passiert es normalerweise, dass Biegung aufwärts eine Torsion zu größeren Anstellwinkeln bewirkt und umgekehrt) reduziert sich der Anstellwinkel des Aussenflügels noch mehr, der Auftrieb wird reduziert, die Nase geht relativ schlagartig weiter nach unten. Darauf sind besonders torsionsweiche Flugzeuge mit labberiger Flügelaufhängung empfindlich.
  4. Servokraftgrenze
    Dies ist einfach: Man fliegt immer schneller und irgendwann werden die Steuerkräfte so groß, dass das Servo es nicht mehr schafft einen Ausschlag zu geben.
Da alles potentiell mit Unterschneiden bezeichnet wird, aber jedes seinen eigenen Namen hat, macht es nicht wirklich Sinn, Unterschneiden zu benutzen, denn es ist (wie man hoffensichtlich an der Aufzählung sieht) nicht eindeutig, was Unterschneiden sein soll.

Für mich war Unterschneiden immer irgendwas zwischen Steuerbarkeitsgrenze und Verzweigungspunkt. Da aber völlig unterschiedliche Vorgänge vorliegen, macht es mehr Sinn, das wirklich zu trennen, schliesslich sind die zu treffenden Gegenmaßnahmen ja auch unterschiedlich.

Möchte man also überhaupt über Unterschneiden reden, muss man erstmal sagen, welcher Vorgang gemeint ist. Und da könnte man ja gleich den richtigen Namen nehmen (was ich wärmstens empfehle)

Nennen könnte man noch Rezahleffekte und Deadband, aber die sind als ziemlich untergeordnet anzusehen (Micro-Rezahlen von 20g-Balsagleitern sind einfach ein ganz anderes Thema als eine F3B-Fräse bei v_Haumichtot).

Ich hoffe ich habe nicht soweit vereinfacht, dass falsche Schlüsse daraus entstehen.

Dann noch ein paar Punkte, die hier angesprochen wurden:

Die Lo100 hat mit Sicherheit keinen Vorteil im manntragenden Kunstflug wegen des tief liegenden Höhenleitwerkes und der Abwindwinkel in verschiedenen Fluglagen. Ich habe selbst Lo100 geflogen und das ganze (selbst wenn ein solcher Effekt existiert) ist für den Piloten total egal, weil er eh keine Neutralstellung des Knüppels kennt (die Lo100 besitzt keinerlei Trimmung). Der Knüppel wird einfach (nahezu kraftfrei) so dahingestellt, dass das Flugzeug macht, was der Pilot will. Modellfliegen (mit dem eindeutig neutralisierenden Knüppel) und manntragendes Fliegen unterscheiden sich da erheblichst.

Reduziertes Stabilitätsmaß (annähern des SP an den Neutralpunkt) hat zwar reduzierte Ruderwege für die Variation der Fluggeschwindigkeit, aber diese betrifft stationäre Zustände (eingependelte konstante Geschwindigkeit), nicht jedoch das Manöver. Nase aufwärts bewegen ist immer noch ziehen, Nase runter bewegen immer noch drücken. Nur eben danach ist man für den langsameren Flugzustand bei einem gedrückteren Zustand als vorher (bei instabilem Flugzeug).
Ein Kraftumkehr gar bis zum Umschlagen des Ruders gibt es durch eine Änderung der Längsstabilität definitiv nicht!

Warum Unterschnieden bei manntragenden Flugzeugen nicht auftritt (egal was man so bezeichnen mag)? Weil sie begrenzte Betriebsbereiche haben. Modellflieger fliegen Modelle soweit, wie die Physik es erlaubt. Da wird senkrecht beliebig lange gestürzt, Blei reingestopft, mehr Motor montiert, gs gezogen wie die aktuelle Geschwindigkeit und das cA_Max erlauben...
Manntragend ist da ein roter Strich und eine g-Grenze (oder eine Manövergeschwindigkeit), es gibt einen Beladeplan und Kraftforderungen für die Auslegung und deswegen sollten all diese Effekte ausserhalb des Betriebsbereiches liegen.
Dennoch existieren sie, manch einer, der sich über diese definierten Grenzen hinweggesetzt hat, bekam sie dann auch zu sehen. Nicht jeder kann davon berichten.

Ciao, Steffen

Hoffentlich war das jetzt verständlich und fehlerfrei, mein Korrekturleser für soclhe Themen ist nicht da :)
 

jwl

User †
Original erstellt von Hans Rupp:
Da war das ein Thema. Es rührte von der Verwendung nicht drunkpunktstabiler Profile her.

Hans
die laus ist aerodynamisch mE als nurflügel zu betrachten. durch diese wirken sich dann druckpunktwanderungen tötlich aus.

gruss jwl
 
Hi Folks !

@Steffen: Guter Beitrag - zeigt er doch die vielfältigen Ursachen für mögliches "Unterschneiden". Ein paar ergänzende (hoffentlich vereinfachende :rolleyes: ) Worte noch zum Thema Stabilität.

Das mit dem Gradienten kann man auch anders ausdrücken. Nämlich: Stabilies Verhalten liegt vor, wenn die Nickmomentkurve eine negative Steigung hat. Die Steigung einer Kurve ist dem geneigten leser möglicherweise eher ein Begriff als die mathematische Definiton eines Gradienten ;) Ein Bild dazu:

1078837010.gif


Und noch eine Ergänzung: Das was ich gerade gesagt habe ist eine Bedingung für die stabilität. Das ist was anderes als ein Maß für die Stabilität - ein kleiner aber feiner Unterschied. Letzteres kann ich ganz einfach aus dem Abstand Schwerpunkt / Neutralpunkt (Ges.Flugzeug) bilden.

Grüße Helmut
 

Dieter Wiegandt

Chefmoderator
Teammitglied
Da habe ich ja was Schönes losgetreten, nicht wahr?

Original erstellt von Steffen:
Sorry, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten.
Warum denn zurückhalten, ist doch interessant.

Der Hinweis auf die Definition des Begriffes ist natürlich völlig richtig. Ich nehme aber an, dass ich das ausreichend beschrieben habe, was ich als "Unterschneiden" vermutet habe. Ob´s natürlich korrekt den Begriff trifft, sei dahingestellt.
Stichwort "Verwindung des Flügels":
Mir fehlt ein bißchen die Vorstellungskraft bezogen auf mein Modell.
3-Meter-VollGfk, ca. 3800 g (also ein kleiner "Bleibomber", oder?), Flügelbreite an der Endleiste ca. 12 cm, an der Wurzelrippe ca. 20 cm), Fläche mit Sperrholrippen.
Kann´s da verwinden?
Wobei ich hier unter Verwinden nicht die Aufwärts- und Abwärtsbewegung verstehe.
 

Steffen

User
Hi,

Warum denn zurückhalten, ist doch interessant.
Weil meistens jemand aus der Ecke kommt, fragt, woher man das wissen will, dass das total uninteressant ist oder für einen Modellflieger viel zu kompliziert ist, eine andere viel einfachere aber leider total falsche Theorie als die viel bessere Sichtweise proklamiert.

Ob das um Fasern oder Flugmechanik geht, ob um Konstruktion oder Aerodynamik ist doch immer wieder gleich. Deswegen halte ich mich da inzwischen lieber zurück, wenn ich kann.

Mir fehlt ein bißchen die Vorstellungskraft bezogen auf mein Modell.
3-Meter-VollGfk, ca. 3800 g (also ein kleiner "Bleibomber", oder?), Flügelbreite an der Endleiste ca. 12 cm, an der Wurzelrippe ca. 20 cm), Fläche mit Sperrholrippen.
Kann´s da verwinden?
Sicherlich. Liegt daran, wie der Flügel aufgebaut ist (Material, Faserrichtung, innere Geometrien), welche Profil drauf ist, wie die Wölbklappe steht...

Die 'da biegt sich nix' oder auch die 'da ist nix mit Torsion' Betrachtung eines Modelles liegt oft weit weg von den Realitäten der Lasten im Fluge.

Mal einen Original-Salto gesehen? Der tordiert beim Querruderausschlag in der Rolle mal so um ca 3 Grad!

Wobei ich hier unter Verwinden nicht die Aufwärts- und Abwärtsbewegung verstehe.
Die folgt aber im allgemeinen dann.

@TurboSchroegi:
Stimmt, Steigung ist klarer. Wobei ich es so formuliere, dass die Steigung das Merkmal der Stabilität ist (Maß und auch Kriterium).

Ciao, Steffen
 

tomtom

User
Servus,
hab zwar keine Ahnung von der Theorie, aber nen 2,8KG, 2,9m F3B-Flieger.
Der hat unterschnitten. 30Gramm Blei in die Nase und er fliegt jetzt einwandfrei.
Ohne die 30Gramm war das Abreisverhalten aber auch nicht schlechter als jetzt.
Gruß
Thomas
 

Jan

Moderator
...ein Aspekt ist bisher noch nicht zu seinem Recht gekommen ;) Nämlich Baufehler bzw. unzureichende Baumaterialien. Denn gelegentlich ist auch das Tordieren der Flächen für "Unterschneiden" verantwortlich. Das wirkt dann so ähnlich, wie von Steffen oben geschildert bei einem Strömungsabriss am Leitwerk. Gibt die Fläche nach, entsteht plötzlich ein auf beiden Tragflächenhälften gleichmäßig oder - je nach Baufehler - nur einseitig wirkendes gewaltiges Abwärtsmoment. Der Flieger schlägt ein - gerade oder in einer Spirale. Bei der Spirale heißt es dann noch häufiger "Störung!!!!"...
 

Steffen

User
:) Sach ich doch, unterschneiden ist für alles verantwortlich, was nicht so ist, wie der Pilot es will.

Das andere omnipotente Problemszenario ist die Störung :D

Ciao, Steffen
 
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