Sorry, jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten.
Die ganzen Diskussionen um EWD, Unterschneiden, Stabilitätsmaße und allem was dazugehört, landen leider immer wieder bei einem Haufen Ungereimtheiten und groben Schätzungen.
Ich gehe mal auf ein paar Punkte ein, die hier leider sehr durcheinandergeworfen wurden.
Zunächst: Unterschneiden ist ein Ausdruck, der total unscharf ist. Was versteht der jeweilige überhaupt darunter? Mangelnde Längsstabilität oder Steuerbarkeitsgrenzen? Verzweigungspunkt in mechanischen Gleichgewichten (Flügelrunternehmen) oder Servokraftgrenzen?
Gehen wir zunächst mal auf diese Punkte ein, ohne zu entscheiden, was unterschneiden wohl sein mag (denn jedes hat seinen eigenen Namen, wozu also versuchen, irgendeinem einen anderen Namen (=Unterschneiden) zu geben?)
Ich halte mich hier mal an die Grundlagen ohne Beispiel und Tiefinterpretationen, weil die Grundlage das wichtigste ist und diese nicht vereinfacht werden kann, sonst kommen immer wieder völlige Misinterpretationen zustande (siehe auch andere Diskussionen zu EWD und Winkel und Stabilitätsmaße)
- Mangelnde Längsstabilität
Die Längsstabilität ist der Gradient der rückführenden Kräfte und Momente bei einer Störung/Zustandsänderung. Es handelt sich nicht um rückführende Kräfte/Momente an sich. Um dies zu verstehen ist ein Segelboot prima. Unten hängt ein Gewicht dran und oben drückt der Wind in die Segel. Betrachten wir zunächst nur das Pendel aus der Bleibombe unter dem Rumpf: Liegt das Segelboot horizontal im Wasser (also 90° Querneigung), so ist es indifferent, liegt es mit etwas über 90° Querneigung im Wasser, sogar labil, denn das rückführende Moment wird mit kleinerer Auslenkung sogar niedriger. Dennoch gibt es ein rückführendes Moment. Zunächst ist dies erstaunlich, aber Stabilität ist nun mal der Gradient und nicht der Wert selbst.
Da ein Segelboot aber nun vom Wind aus der senkrechten gebracht wird (die Segel'last') und der Wind bei horizontal liegendem Boot kein Moment mehr auf das Segel ausüben kann, ist das Gesamtsystem aus Segel und Bleikiel eben doch wieder funktionsfähig.
Der Unterschied wird etwas klarer, wenn man nicht Wind sondern eine nicht vom Wind abhängige Kraft an der Mastspitze ziehen lässt: wenn dies Kraft solange ansteigt, bis das Boot horizontal liegt und dann ohne die Kraft zu verringern über die horizontale geht, dann dreht das Boot wegen gleicher störender Kraft (ist mit dem Hebelarm ein Drehmoment) aber reduzierendem aufrichtendem Moment einfach weiter.
- Steuerbarkeitsgrenzen
Eine einfache Vorstellung für die Steuerbarkeitsgrenze ist ein Strömungsabriss am Leitwerk. Man fliegt immer schneller, die Nickmomente des Flügels werden immer größer, der Auftriebsbeiwert am Leitwerk deswegen ebenfalls und irgendwann ist Schluss für das Leitwerk. Es folgt ein Abriss und damit hat man eine schlagartige Änderung der Momentenbilanz des Fliegers. Dies sollte aber eigentlich durch ziehen zu beheben sein (bei Normalflugzeugen und hinreichender Reaktionsfähigkeit des Piloten), wenn man kein Pendelleitwerk hat, weil durch das dann gewölbte Höhenleitwerk das cA_max höher ausfällt)
Eine andere Variante für Steuerbarkeitsgrenze ist übrigens ein deutlich zu hohes Stabilitätsmaß. Dann kann man nicht so langsam werden, dass der Flügel überhaupt zu seinem maximalen cA kommt, oder ich kann voll gedrückt nicht mehr schneller werden, weil die Längsstabilität gegen meinen Ruderausschlag gewinnt.
- Verzweigungspunkt
Wenn man immer schneller fliegt, werden die Lasten immer größer. Die Torsionslast auf dem Flügel steigt und dadurch verdreht der Flügel. Durch die Verdrehung reduziert sich aussen der Anstellwinkel und die Auftriebsverteilung ändert sich (innen mehr aussen weniger). Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem das Flugzeug zwar noch Auftrieb macht (wir betrachten ja stationäre Zustände, also Auftrieb gleich Gewicht), aber der Flügel keine Aufwärtsbiegung mehr macht, sondern abwärts gebogen wird (die Torsion und Reduzierung des Auftriebes aussen ist soweit gegangen, dass es sogar Abtrieb nacht).
Jetzt kann etwas sehr spannendes passieren, was begünstigt wird, wenn man Spiel in der Flügelaufhängung hat:
Der Flügel biegt etwas nach unten, durch das Spiel sogar mit deutlichem 'Flügelschlagen' (das ist kein Flattern!). Durch die Abwärtsbiegung und eine Biegetorsionskopplung (bei Strukturen mit der Geometrie eine Tragflügels passiert es normalerweise, dass Biegung aufwärts eine Torsion zu größeren Anstellwinkeln bewirkt und umgekehrt) reduziert sich der Anstellwinkel des Aussenflügels noch mehr, der Auftrieb wird reduziert, die Nase geht relativ schlagartig weiter nach unten. Darauf sind besonders torsionsweiche Flugzeuge mit labberiger Flügelaufhängung empfindlich.
- Servokraftgrenze
Dies ist einfach: Man fliegt immer schneller und irgendwann werden die Steuerkräfte so groß, dass das Servo es nicht mehr schafft einen Ausschlag zu geben.
Da alles potentiell mit Unterschneiden bezeichnet wird, aber jedes seinen eigenen Namen hat, macht es nicht wirklich Sinn, Unterschneiden zu benutzen, denn es ist (wie man hoffensichtlich an der Aufzählung sieht) nicht eindeutig, was Unterschneiden sein soll.
Für mich war Unterschneiden immer irgendwas zwischen Steuerbarkeitsgrenze und Verzweigungspunkt. Da aber völlig unterschiedliche Vorgänge vorliegen, macht es mehr Sinn, das wirklich zu trennen, schliesslich sind die zu treffenden Gegenmaßnahmen ja auch unterschiedlich.
Möchte man also überhaupt über Unterschneiden reden, muss man erstmal sagen, welcher Vorgang gemeint ist. Und da könnte man ja gleich den richtigen Namen nehmen (was ich wärmstens empfehle)
Nennen könnte man noch Rezahleffekte und Deadband, aber die sind als ziemlich untergeordnet anzusehen (Micro-Rezahlen von 20g-Balsagleitern sind einfach ein ganz anderes Thema als eine F3B-Fräse bei v_Haumichtot).
Ich hoffe ich habe nicht soweit vereinfacht, dass falsche Schlüsse daraus entstehen.
Dann noch ein paar Punkte, die hier angesprochen wurden:
Die Lo100 hat mit Sicherheit keinen Vorteil im manntragenden Kunstflug wegen des tief liegenden Höhenleitwerkes und der Abwindwinkel in verschiedenen Fluglagen. Ich habe selbst Lo100 geflogen und das ganze (selbst wenn ein solcher Effekt existiert) ist für den Piloten total egal, weil er eh keine Neutralstellung des Knüppels kennt (die Lo100 besitzt keinerlei Trimmung). Der Knüppel wird einfach (nahezu kraftfrei) so dahingestellt, dass das Flugzeug macht, was der Pilot will. Modellfliegen (mit dem eindeutig neutralisierenden Knüppel) und manntragendes Fliegen unterscheiden sich da erheblichst.
Reduziertes Stabilitätsmaß (annähern des SP an den Neutralpunkt) hat zwar reduzierte Ruderwege für die Variation der Fluggeschwindigkeit, aber diese betrifft stationäre Zustände (eingependelte konstante Geschwindigkeit), nicht jedoch das Manöver. Nase aufwärts bewegen ist immer noch ziehen, Nase runter bewegen immer noch drücken. Nur eben danach ist man für den langsameren Flugzustand bei einem gedrückteren Zustand als vorher (bei instabilem Flugzeug).
Ein Kraftumkehr gar bis zum Umschlagen des Ruders gibt es durch eine Änderung der Längsstabilität definitiv nicht!
Warum Unterschnieden bei manntragenden Flugzeugen nicht auftritt (egal was man so bezeichnen mag)? Weil sie begrenzte Betriebsbereiche haben. Modellflieger fliegen Modelle soweit, wie die Physik es erlaubt. Da wird senkrecht beliebig lange gestürzt, Blei reingestopft, mehr Motor montiert, gs gezogen wie die aktuelle Geschwindigkeit und das cA_Max erlauben...
Manntragend ist da ein roter Strich und eine g-Grenze (oder eine Manövergeschwindigkeit), es gibt einen Beladeplan und Kraftforderungen für die Auslegung und deswegen sollten all diese Effekte ausserhalb des Betriebsbereiches liegen.
Dennoch existieren sie, manch einer, der sich über diese definierten Grenzen hinweggesetzt hat, bekam sie dann auch zu sehen. Nicht jeder kann davon berichten.
Ciao, Steffen
Hoffentlich war das jetzt verständlich und fehlerfrei, mein Korrekturleser für soclhe Themen ist nicht da