Schritt 1
Wir stellen uns einen allseits geschlossen stehenden Zylinder vor; Höhe 5 km, Durchmesser 10 km. Dieser Zylinder hat undurchsichtige Wände (man kann also nicht nach außen sehen) und er steht aufrecht auf einem gigantisch großen motorisierten Schiff irgendwo auf dem Meer. Im Zylinder befinden sich ausschließlich Luft, ein eigenstartfähiges Segelflugzeug und ein Pilot und sonst nichts. (Es gibt im Zylinder also keine Ventilatoren, Startwinden, motorisierte Ballone, Laufbänder etc.) Außerdem gibt es innerhalb des Zylinders auch keine Luftdruckunterschiede und auch keine Temperaturunterschiede und damit auch absolut keinen Wind.
Schritt 2
Das Schiff mit dem Zylinder ankert. Der Pilot steigt mit Hilfe des Motors bis kurz unter die Zylinderdecke, klappt seinen Motor ein und kreist mit regelmäßiger, niedriger Fahrt schöne Kreise. Auf dem Fahrtmesser sieht er dabei keine Fahrtschwankungen. Da es im Zylinder keinen Aufwind gibt, sinkt er dabei gemächlich zu Boden und landet. Unser Pilot ist müde und macht ein Nickerchen.
Schritt 3
Während der Pilot schläft, beschleunigt das Schiff auf 100 km/h. Es beschleunigt aber so langsam, dass unser schlafender Pilot nichts davon merkt. Der Pilot wacht auf und bemerkt nicht, dass er sich im Zylinder auf dem Schiff mit 100 km/h auf dem Meer bewegt – er kann es auch nicht bemerken, da die Wände unseres Zylinders ja undurchsichtig sind. Er steigt wieder ins Flugzeug, mittels Motor wieder in luftige Höhen und kreist wieder. Wieder beobachtet er seinen Fahrtmesser und kann keine Schwankungen feststellen.
Schritt 4
Unserem Piloten wird schön langsam langweilig (verständlich: immer nur kreisen und das ohne Aufwind!) und hat folgende Idee: Da er sich ja alleine im Zylinder aufhält besteht keine Kollisionsgefahr mit anderen Luftfahrzeugen und daher möchte er den Blindflug üben. Die dafür notwendigen Instrumente (künstlicher Horizont etc.) sind vorhanden. Damit er nicht in die Wände des Zylinders kracht ist sein Segelflugzeug mit einem ZIPS (Zylinderinternes Positionierungssystem – dieses zeigt also die Position seines Flugzeuges innerhalb des Zylinders an) ausgestattet. ER HAT KEIN GPS! Er wechselt die durchsichtige Plexiglashaube gegen eine undurchsichtige aus.
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Schritt 5
Der Pilot steigt wiederum auf eine komfortable Höhe. Er kann nur mit Hilfe der Instrumentenanzeige steuern weil er ja keine Sicht aus dem Segelflugzeug nach draußen hat. Als ihm sein ZIPS verrät, dass er sich genau über dem Mittelpunkt des Zylinders befindet fängt er wieder an zu kreisen. Er orientiert sich dabei am künstlichen Horizont, an der Kugel (Libelle) und natürlich am Fahrtmesser. Unser Pilot ist hochtalentiert und schafft es wunderschön gleichmäßige Kreise zu fliegen. Der Fahrtmesser zeigt keine Schwankungen und auch das ZIPS meldet eine gleichmäßige SOCG (speed over cylinder ground). Nachdem die Höhe verbraucht ist, landet er. (Nur zur Erinnerung: Das Schiff fährt noch immer die ganze Zeit mit 100 km/h übers Wasser).
Schritt 6
Außerhalb des Zylinders weht ein superlaminarer Wind mit gleichbleibend exakt 100 km/h in genau die gleiche Richtung wie unser Schiff fährt. Die außen am Zylinder angebrachten Windsäcke hängen daher natürlich kerzengerade nach unten. (Käptn Iglo, unser Steuermann des Schiffes, freut sich über den Rückenwind und die daraus resultierende Spritersparnis und zündet sich eine Pfeife an – deren Rauch steigt senkrecht nach oben.)
Dem Piloten hat der Blindflug Spaß gemacht und deshalb startet er zu einem zweiten „Blindkreisflug“. Kurz nachdem er begonnen hat wieder mit Hilfe seiner Instrumente astreine Kreise ohne Fahrtschwankungen zu fliegen passiert etwas ganz unglaubliches, nämlich
Schritt 7
Wie durch Zauberhand lösen sich der Mantel und die obere Kreisfläche unseres Zylinders im Bruchteil einer Sekunde in Luft auf – sie sind weg! (Die Bodenfläche muss bestehen bleiben weil sich in ihrem Randbereich die drei notwendigen Sende-/Empfangsstationen für das ZIPS befinden. Das ZIPS funktioniert also nach wie vor und zeigt dem Piloten die Position innerhalb des nun real nicht mehr existenten Zylinders an. Dem außenstehenden Betrachter bietet sich nun folgendes Bild: Ein riesiges Schiff mit einer kreisrunden Plattform fährt mit 100 km/h übers Meer auf dem man jedoch nicht den Hauch eines Fahrtwindes spürt, weil das Schiff einen Rückenwind von 100 km/h hat. Darüber kreist ein Segelflugzeug langsam sinkend.) Jetzt der Oberclou: Der Pilot merkt von alldem NICHTS. Wie soll er auch; schließlich kann er nicht nach draußen sehen und seine Instrumente (die alle erstklassig funktionieren) zeigen ihm immer noch an, dass er sich innerhalb des Zylinders bewegt und schön runde Kreise völlig ohne Fahrtschwankungen oberhalb des Zylinderbodens fliegt. Er würde also ohne mit der Wimper zu zucken Haus und Hof darauf wetten, dass er sich im Zylinder in ruhender Luft befindet.
Schritt 8
Unmittelbar nach der Landung eilt Käptn Iglo, der alles mit Videokamera aufgenommen hat, zu unserem Kreisflugspezialisten und klärt ihn darüber auf was geschehen ist. Der Pilot kann dies alles nicht so recht glauben und fordert daher einen weiteren Flug, diesmal aber wieder mit der Plexiglaushaube. (Käptn Iglo baut - von unserem Piloten unbemerkt - ein GPS in das Segelflugzeug ein)
Schritt 9
Der Pilot setzt sich also noch einmal in sein Flugzeug lässt aber sein ZIPS trotz bester Sicht nach außen eingeschaltet. Er startet, steigt auf 4900 m über Plattform und fliegt wieder seine gleichmäßigen Kreise ohne Fahrtschwankung. Wenn er nach unten schaut sieht er in der Mitte der Plattform den Käptn und auch das ZIPS bestätigt ihm, dass er RUNDE Kreise fliegt.
Schritt 10
Noch während des Kreisfluges funkt Käptn Iglo dem Piloten nach oben, dass er ihm ein GPS eingebaut hat und er dieses doch bitte einschalten möge. Es ist wenig verwunderlich, dass das GPS
a) eine andauernde Änderung der SOG (speed over ground) anzeigt und
b) der am GPS angeschlossene Logger, der den Flugweg sofort auf einem Display sichtbar macht, keine Kreise sondern eine „verzogene Spirale“ zeigt.
Nun fällt es dem Piloten (er heißt übrigens Thomas) wie Schuppen von den Augen und er geht schleunigst landen. Er bittet den Käptn, ihn an schnellstmöglich an Land zu bringen, da er angeblich mit irgendwelchen Freunden einen Termin zum Steak-Essen hat....